HintergrundDas Jüngste Quoten-Gericht: Fußball-WM – widrige Anstoßzeiten zum Trotz

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Montags blickt Quotenmeter auf aktuelle Quoten-Highlights und Marktanteil-Flops und ordnet diese ein. Diesmal steht das Fußballturnier in Australien und Neuseeland im Fokus.

Der DFB steckt ein Jahr vor der Heim-Europameisterschaft 2024 in einer prekären Krise – sowohl sportlich als auch in der Außendarstellung. Die Mannschaft von Trainer Hansi Flick gewann nur eines seiner fünf Länderspiele in diesem Jahr bei drei Niederlagen und einem Unentschieden. Die letzten drei Turniere mündeten in großen Enttäuschungen. Von Kritik will der Bundestrainer aber nichts wissen. Auch die U21-Mannschaft erlebte bei der EM zuletzt ein Debakel und schied sieglos als Gruppenletzter in der Vorrunde aus. Für die Männermannschaften läuft es also nicht gut, aber – was häufig in Vergessenheit gerät – das ist nur die eine Hälfte des Verbandes.

Die Frauen-Nationalmannschaft sorgt dagegen für Furore. Nach den sportlich eher enttäuschenden 2010er-Jahren – wobei hier der EM-Titel 2013 und der Olympia-Sieg 2016 nicht unerwähnt bleiben soll – stieg in den vergangenen Jahren das Interesse massiv an und mündete in einer grandiosen Europameisterschaft 2022, dessen Finalspiel im Londoner Wembley-Stadion rund 18 Millionen Menschen verfolgten. Ein Jahr später geht es für die Mannschaft von Martina Voss-Tecklenburg erneut um einen Titel, diesmal um den Weltpokal. Trotz der enorm gestiegenen Bedeutung des Frauenfußballs in Deutschland und Europa zögerten die öffentlich-rechtlichen Sender diesmal fast unverschämt lange, um sich mit der FIFA auf einen Rechtedeal zu einigen. Die FIFA wollte bekanntlich mehr Einnahmen generieren, indem der Verband die Rechtevergabe vom Männer-Turnier entkoppelte und das Turnier auf 32 Mannschaften aufstockte. Die Befürchtungen vieler Beobachter bewahrheiteten sich bislang nicht, Kantersiege vermeintlich turmhoher Favoritinnen sind bislang eher die Ausnahme. Auch hochgehandelte Teams wie Spanien, das am Montag mit 0:4 gegen Japan verlor, sind nicht von klaren Niederlagen gefeit.

Ein Sieger steht aber bereits jetzt fest: das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Die übertragenden Sender Das Erste und ZDF können sich trotz des zähen Rechtehandels über ein großes Zuschauerinteresse freuen und fahren zu den ungewohnten Anstoßzeiten stets Marktanteile oberhalb des jeweiligen Senderschnitts ein. Im Schnitt verfolgten die bisherigen Spiele 1,40 Millionen Zuschauer, was vermeintlich nach einer niedrigen Reichweite klingt, aber darin eingerechnet sind eben auch Partien, wie Südkorea gegen Marokko vom gestrigen Sonntag, der Anstoß erfolgte um 6:30 Uhr. Die 90 Minuten sahen entsprechend „nur“ etwas mehr als eine halbe Million Zuschauer, ein Marktanteil von 16,8 Prozent spricht eine gewichtigere Sprache. Zumal um 9:00 Uhr das Spiel von Gastgeberin Neuseeland 2,33 Millionen Menschen sahen – wohl auch in Vorfreude auf das Spiel der deutschen Mannschaft. Im Schnitt liegt der Marktanteil bei diesem Turnier bei 21,1 Prozent – die Deutschland-Spiele rausgerechnet.

Der bisherige Höhepunkt ohne deutsche Beteiligung wurde am Samstag, 29. Juli, gemessen, als um 12:00 Uhr die beiden Topfavoriten und möglichen deutschen Achtelfinal-Gegnerinnen Frankreich und Spanien aufeinandertrafen. Mit 2,49 Millionen Zuschauern übertrumpfte man sogar so manche Partie der umstrittenen Herren-WM in Katar. Es wurde ein Marktanteil von 28,5 Prozent gemessen und damit mehr als beim Eröffnungsspiel am 20. November 2022, als sich am Sonntagvorabend Katar und Ecuador duellierten.

Vor allem aber die deutschen Spiele sind nach der etwas verkorksten Vorbereitungsphase besonders gefragt. Das erste Gruppenspiel verfolgten 5,61 Millionen Zuschauer. Wohlgemerkt am Montagvormittag um 10:30 Uhr. Der Marktanteil wurde Anfang der Woche auf 60,4 Prozent beziffert. Bei den 14- bis 49-Jährigen waren 55,2 Prozent drin. Nicht einberechnet sind die Abrufzahlen in der ZDFmediathek, die die Reichweite vermutlich noch deutlich in die Höhe treiben dürfte – so manch ein Fußballfan hat im Büro im Livestream zugesehen. Diese Vermutung legt das Ergebnis des zweiten Gruppenspiels nahe, das am Sonntag um 11:30 Uhr gespielt wurde. Die deutschen Fußballerinnen verloren zwar mit 1:2 gegen Kolumbien, doch Das Erste durfte sich über 10,36 Millionen Zuschauer freuen. Die erste WM-Vorrunden-Niederlage einer deutschen Frauennationalmannschaft seit 28 Jahren kam auf Marktanteile von 61,6 respektive 58,3 Prozent. Auf dem Gesamtmarkt übertrumpfte man damit schon jetzt jedes Spiel der Männer-WM vor einem halben Jahr.

Bei der vergangenen Frauen-WM 2019 in Frankreich lag das höchste der Gefühle bei 7,90 Millionen Zuschauer während des Viertelfinals zwischen Deutschland und Schweden. Das deutsche Ausscheiden kam am Samstagvorabend, 29. Juni, auf einen Marktanteil von 43,2 Prozent. Im vergangenen Jahr brauchten die DFB-Übertragungen etwas Anlaufzeit, bis man die Zehn-Millionen-Marke knackte. Diese fiel erst im Halbfinale mit 12,19 Millionen. Das Viertelfinale gegen Österreich markierte 9,50 Millionen. Auffällig bei den Werten der EM in England war, dass sich die Partien ohne deutsche Beteiligung auf dem Quotenmarkt etwas schwerer taten. Dies lag vor allem an der härteren Konkurrenz, denn die Spiele wurden entweder um 18:00 oder um 21:00 Uhr übertragen, wenn die privaten Sender ihrerseits ihr bestes Programm auffuhren.

Die nun schon im zweiten Gruppenspiel erreichten zehn Millionen Zuschauer zeugen von etwas, das sich Männer-Bundestrainer Hansi Flick derzeit nur erträumen kann: eine nachhaltige Welle der Euphorie. Auch wenn den Frauen wie den Herren 2018 mit einer Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea das Vorrunden-Aus droht, könnte die Stimmungslage zwischen den beiden Lagern derzeit nicht unterschiedlicher sein. Das lässt hoffen, dass das Ende der Fahnenstange für die Frauen-WM trotz widriger Anstoßzeiten noch nicht erreicht ist – und auch generell das volle Potenzial des Frauen-Fußballs noch nicht ausgeschöpft ist.