Die Kino-Kritiker«Encanto» - Neues Disney-Märchen aus Kolumbien

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Der 60. Animationsfilm von Disney kommt von den Regisseuren Jared Bush («Zoomania»), Byron Howard («Rapunzel – Neu verföhnt») und Charise Castro Smith.

Mit «Encanto» feiern die Walt Disney Animation Studios 2021 ein besonderes Jubiläum. Es ist der 60. abendfüllende Animationsfilm, der zur Meisterwerk-Reihe gehört, die 1937 mit «Schneewittchen und die sieben Zwerge» begann und uns zuletzt im Frühjahr «Raya und der letzte Drache» bescherte. Erstmals wird das Disney-Publikum nun nach Kolumbien entführt, wo im wahrsten Sinne des Wortes eine zauberhafte Familiengeschichte entwickelt wird, die passend zur Weihnachtszeit mit den richtigen Botschaften kommt, um sowohl Gemeinschaftssinn als auch Individualismus in Einklang zu bringen. Dabei funktioniert «Encanto» wie so viele Disney-Filme mit weiblichen Hauptfiguren wie ein Musical. Immer wieder wird die Handlung durch Songs unterbrochen, um vorherrschende Emotionen zu bestärken. Für die englische Sprachfassung wurden u.a. die argentinischen Seriendarstellerin Stephanie Beatriz («Brooklyn Nine-Nine») und der kolumbianische Kinostar John Leguizamo («John Wick») verpflichtet, für die deutsche Synchronisation verzichtete man indes leider völlig auf große Namen.

Willkommen in einem wundersamen Haus
In Kolumbien lebt in der Abgeschiedenheit der Berge eine Großfamilie in einem verwunschenen Haus. Die alte Abuela Madrigal ist das Oberhaupt des Clans, in dem jedes Mitglied mit einer jeweils anderen Gabe beschenkt wurde. Während die eine stark wie ein Bär ist, kann der andere den Körper einer jeden beliebigen Person annehmen. Andere Familienmitglieder verfügen über spezielle Heilkräfte und ein Junge kann sogar mit Tieren sprechen. Nur Mirabel scheint keine übernatürliche Besonderheit abbekommen zu haben, weshalb sie sich zwischen ihren Geschwistern, Cousinen und Neffen, Onkel und Tanten oft ziemlich allein fühlt. Aber sie versucht, mit ihrem Schicksal nicht zu hadern. Doch eines Tages wird sie von einer ziemlich schrecklichen Vision heimgesucht. Sie sieht wie das magische Familienhaus immer mehr Risse bekommt und alle Bewohner dadurch ihre besonderen Kräfte verlieren. Kann Mirabel womöglich in die Zukunft blicken? Aber Freunde macht sie sich damit nicht, und wer weiß: vielleicht denkt sie sich das nur aus, um endlich dazuzugehören. Doch sie sorgt sich wirklich und wie sich bald herausstellt, liegt ein schmerzvolles Geheimnis über die Familie Madrigal.

Farben für den Frohsinn
Was als Erstes auffällt, ist der unglaubliche Reichtum an Farben. «Encanto» schwimmt regelrecht in einem Meer aus Kolorierungen, um das Publikum in eine phantastische Welt zu entführen, in der alles so viel schöner und paradiesischer erscheint. Für einen Animationsfilm mag das generell nichts Ungewöhnliches, aber hier haben die drei Regisseure Jared Bush («Zoomania»), Byron Howard («Rapunzel – Neu verföhnt») und Charise Castro Smith (Debüt) nochmals zusätzlich die Farbpaletten gefüllt, um einen ungeheuren Frohsinn auszustreuen, der manchmal gar zu viel des Guten ist. Einzig die Figur oft betrübten Mirabel ist fehlplatziert und damit aber die treibende Kraft der Handlung. Denn empfindet sofort Sympathie und oft auch Mitleid, weil ein jeder schon mal erfahren hat wie es sich anfühlt, wenn man nicht wirklich dazugehört. Dennoch ist Mirabel alles andere als schwach. Im Gegenteil, sie strotzt zugleich mit einem gesunden Urteilsvermögen und Selbstbewusstsein. Überhaupt zeigt man bei Disney inzwischen immer wieder ein Händchen für kraftvolle weibliche Figuren wie zuvor schon «Mulan», «Die Eiskönigin» und «Vaiana», die über sich hinauswachsen, weil sie die Dinge selbst in die Hand nehmen und längst nicht mehr auf den rettenden Ritter warten.



Familiendrama nach Disney-Art
Damit gehen aber zugleich auch Konflikte mit der eigenen Familie einher, die ebenfalls gelöst werden wollen. Letztlich muss das heranwachsende Mädchen seinen Platz in der Gemeinschaft finden, nachdem es sich behauptet hat. Ein beherztes Familiendrama nach klassischer Disney-Art, dass auch noch durch eine Vielzahl von Songs gefallen will, die schnell ins Ohr gehen. Allerdings sollte man Musicals nicht abgeneigt sein, um sich der Magie des Films vollends hingeben zu können. Bleibt nur noch die richtige Mixtur aus Emotionen und Humor, die auch diesmal hinhaut, weil man bei Disney nun man weiß, wie man Entertainment für die ganze Familie zaubert. Da gibt es für jeden etwas, und auch wenn erneut ein Mädchen im Mittelpunkt steht, werden es Jungs ganz toll finden, mit welchen Superkräften die einzelnen Familienmitglieder ausgestattet sind. Das erinnert ein wenig sogar an Superhelden aus den Marvel-Verfilmungen von «Avengers» bis «Eternals», womit Disney momentan wohl das meiste Geld verdient.

Fazit: Disneys 60. abendfüllende Animationsfilm besticht mit einer herzerwärmenden Familiengeschichte. Dabei steht ein Mädchen im Mittelpunkt steht, das wie seine Verwandten ebenfalls von der Magie geküsst werden will. Angereichert mit schmissiger Musik werden der Phantasie keine Grenzen gesetzt, um große und kleine Zuschauer gleichsam mitzureißen.

«Encanto» ist im Kino zu sehen.