Die Kritiker«Raised by Wolves» Ridley Scotts Sci-Fi-Epos fürs Heimkino

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In Zeiten, in denen immer mehr Fließbandware von den etablierten Streaminggrößen auf den Markt geworfen wird, ist HBO MAX mit «Raised by Wolves» offensichtlich gewillt sich vom Einheitsbrei abzuheben.

Mit Ridley Scott hat man sich hierfür einen der bekanntesten Namen im Produzentengeschäft gesichert und ihm erzählerisch scheinbar völlig freie Hand gelassen. Bezugnehmend auf dessen Vita findet mit «Raised by Wolves» eindeutig eine Vermischung seiner Interessensgebiete statt.

So hat der Schöpfer von Filmen wie «Gladiator» und «Alien» hier die Möglichkeit erhalten, sowohl sein Faible für das historisch Religiöse als auch das modern Wissenschaftliche in einem großen Werk zu vereinen. Nach Sichtung der gesamten, aus zehn Episoden bestehenden ersten Staffel scheint es unweigerlich so, als sei diese nichts weiter als der Prolog zum ersten Kapitel einer großen Geschichte, deren genaue Ausrichtung dem Zuschauer aber erst mit Staffel zwei deutlich werden dürfte. Gerade im ersten Dreiviertel der Staffel ist das Erzähltempo als äußerst gemächlich zu bezeichnen. Während sich die eine Hälfte der Zuschauer wohl ein für Ridley Scott gewohntes, weitaus schnelleres, actionreicheres Pacing gewünscht hätte, streut der detailverliebte Regisseur für die andere Hälfte des Publikums eine Unmenge von versteckten Hinweisen und Rätseln, die weitere Handlung betreffend, über die bis zur Ausstrahlung der nächsten Folgen ausgiebig debattiert werden kann.

Dem geschichtsinteressierten Zuschauer etwa wird die Romulus-und-Remus-Analogie der beiden Kindsprotagonisten Campion (Winta McGrath) und Paul (Felix Jamieson) nicht entgangen sein. So wurden die Gründer der Stadt Rom von der kapitolinischen Wölfin gesäugt, worauf offensichtlich auch der Titel der Serie Bezug nimmt. Dass sich der atheistisch erzogene Campion und der streng gläubig erzogene Paul letztlich, wie die Zwillinge in der altrömischen Vorlage, auf gegnerischen Seiten befinden werden, scheint unausweichlich. Da selbst die Religion der Gläubigenfraktion innerhalb der Serie, die an einen Gott namens „Sol“ glaubt, einer römischen Vorlage entstammt, nämlich dem Mithraismus, deren Gott Mithras synonym für den Sonnengott „Sol“ steht, wird Scotts Begeisterung für die historischen Vorlagen abermals überdeutlich gemacht.

Konträr hierzu steht die atheistisch-wissenschaftliche Seite der Serie, die nicht nur allen Fans von düsteren androidbevölkerten Zukunftswelten, wie in Scotts Frühwerk «Blade Runner», allzu bekannt vorkommen dürfte, sondern auch im späteren Verlauf der Staffel die «Alien»-Begeisterten mit ins Boot holen soll. Die Inspiration, die Scott hier aus seinen eigenen Werken zieht, wirkt für Kenner der beiden genannten Filme nicht gerade subtil, insbesondere die Alienkomponente hätte allerdings nicht unbedingt bis zum Finale der Staffel aufgespart werden müssen, da sie auch diejenigen, die mit dem langsamen Erzähltempo der Serie Probleme haben, zum Dranbleiben animiert.

Schauspielerisch überzeugt insbesondere Amanda Collin als androide „Mutter“, die dem vermeintlichen Hauptdarsteller Travis Fimmel, der mehr durch pures Charisma als große schauspielerische Breite punkten kann, durch ihre ambivalente Darstellung etwas die Show stiehlt. Würde Fimmel plötzlich die Wikingeraxt ziehen, so wäre dessen Darstellung kaum von der des Ragnar Lodbrok in seiner vorausgehenden Serie «Vikings» zu unterscheiden. Trotzdessen verkörpert er neben dem androiden „Vater“ (Abubakar Salim) eine der wenigen Rollen, die auch nur den Ansatz von Sympathiepunkten beim Publikum sammeln kann. Es ist relativ bezeichnend, wenn der mordende Anführer der Gläubigentruppe, der allmählich dem Wahn verfällt, noch zu den unterhaltsameren Darstellungen der Serie gehört. Es vermag möglicherweise sogar das Ziel von Scott gewesen sein, eher die Schattenseiten der handlungstragenden Personen herauszustellen, um auf keiner der konträren Seiten der Gläubigen und Atheisten beim Publikum Pluspunkte sammeln zu können; beide Fraktionen sollen eben gleichermaßen „fehlerbehaftet“ sein, kein richtig oder falsch darstellen. Problematisch ist hierbei allerdings, dass beim Publikum keine oder kaum Bezugspunkte zu den handlungstragenden Personen geschaffen werden, sie sind schlicht austauschbar.

Der triste Erzählstil, das weitestgehend emotionsgedämpfte Schauspiel und der über die Kamera gelegte Schleicher, der als Stilmittel die Farbe aus der gesamten Verfilmung heraussaugt, ergeben allerdings eine perfekte Symbiose für diese wenig Hoffnung erweckende neue Welt. Die Darstellung dieser Welt gehört zumindest auf technischer Seite zum Besten, was das Medium TV aktuell aufzubieten hat. Die wie zuvor erwähnt etwas spärlichen eingesetzten CGI- und Actionszenen sind, wenn sie denn vorkommen, fast auf Blockbusterniveau. Hier wurde das Budget offenbar an genau den richtigen Stellen gut dosiert investiert.

«Raised by Wolves» dürfte im Verlauf der ersten Staffel einige Zuschauer mit der komplexen Geschichte und den aufgrund Empathiemangels schwer zugänglichen Figuren vergraulen. Für alle, die dranbleiben, deutet sich aber spätestens mit dem Finale ein echtes Sci-Fi-Epos an, dass insbesondere das aufmerksame Publikum belohnen wird. Leichte Kost zum Nebenbeischauen liegt hier definitiv nicht vor, allerdings gibt es davon mittlerweile beileibe genug. «Raised by Wolves» hebt sich schon mit dieser Primärstaffel trotz erzählerischer Schwächen qualitativ vom Einheitsbrei des quantitativ immer weiterwachsenden Streamingkosmos ab, das unerschöpfte Potential für weitere Staffeln lässt zudem auf Großes hoffen.

«Raised by Wolves» ist bei SkyQ und iTunes jederzeit erhältlich.