InterviewJulian F. M. Stoeckel: ,Das klassische Tunten-Heul-Klischee erfülle ich nicht'

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Wir haben mit dem Künstler und ehemaligen Dschungelcamper Julian F. M. Stoeckel über Auswirkungen der Corona-Krise und Reality TV gesprochen. Warum er beim «Kampf der Realitystars» abgesagt hat und was er sich von Sender-Chefs für die "Lieblinge des Boulevards" wünscht, verrät er hier.

Zur Person: Julian F. M. Stoeckel

Julian F. M. Stoeckel wurde 1987 in Berlin geboren. Einem breiteren Publikum wurde er 2014 durch die Teilnahme an der Reality-Show «Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!» bekannt. Seitdem war der Designer und Schauspieler immer wieder in diversen Sendungen zu sehen, u.a. in der RTL-Serie «Berlin Models» oder auch beim RTLZWEI-Format «Ich liebe einen Promi». In den vergangenen Jahren war er immer wieder auch zu Gast in der RTLplus-Dschungelsendung «Die Stunde danach». Für den «Kampf der Realitystars», der aktuell bei RTLZWEI läuft, wurde er zwar angefragt, eine Teilnahme lehnte er aber ab.
Julian, die Corona-Krise und ihre Folgen haben Millionen von Menschen in Deutschland hart getroffen. Wie geht es Dir persönlich mit dieser „neuen Normalität“, die seit März vorherrscht?
Das ist eine gute und berechtigte Frage, ich kann sie eigentlich gar nicht allgemein beantworten. Auf der einen Seite wünsche ich mir mein altes, kosmopolitisches, offenes und unbeschwertes Leben zurück, auf der anderen Seite bin ich froh, dass meine Familie, Freunde, Wegbegleiter und ich bis jetzt von dem Coronavirus verschobt geblieben sind. Anders gesagt: Zwischen himmelhochjauchzend und tief betrübt geht es mir mal besser und mal schlechter...

Wie zufrieden bist Du mit dem Handeln der Politiker auf Landes- und Bundesebene in der Krise? Wird an freischaffende Künstler wie Dich gedacht?
Ich finde das Handeln unser Politiker, und vor allem von Angela Merkel und Markus Söder, vorbildlich. Natürlich muss man eine Lösung finden mit dem größtmöglichen gemeinsamen Nenner und natürlich werden dabei manche Berufsgruppen und Branchen besser bedacht als vielleicht die der Künstler! Das Problem an einem Künstlerleben ist, dass man zum großen Teil eben ,frei' ist. Freiheit aber hat einen hohen Preis und will finanziert werden. Ich finde schon, dass einiges für Künstler gemacht wurde. Allerdings kann ich nicht verstehen, dass Restaurants und Hotels ab Mai wieder öffnen durften und Kinos und Theater teilweise erst ab Juli. Das verstehe ich nicht und ich hoffe, dass man dort ein Stück Normalität zurückschaffen kann. Definitiv möchte ich in diesen Zeiten aber nicht in Amerika, Russland oder Brasilien leben.

Ich finde das Handeln unser Politiker, und vor allem von Angela Merkel und Markus Söder, vorbildlich. Natürlich muss man eine Lösung finden mit dem größtmöglichen gemeinsamen Nenner und natürlich werden dabei manche Berufsgruppen und Branchen besser bedacht als vielleicht die der Künstler! Das Problem an einem Künstlerleben ist, dass man zum großen Teil eben ,frei' ist. Freiheit aber hat einen hohen Preis und will finanziert werden.
Julian F. M. Stoeckel über die Corona-Krise
Gab es größere Projekte, die Du für dieses Jahr geplant hattest und wegen Corona schon absagen musstest?
Leider musste ich dutzende Projekte absagen! Ich hatte dieses Jahr eine große Tour geplant, dazu die Regenbogenparade in Wien, den CSD in Berlin, Köln und Hamburg - alles musste ich leider absagen. Des Weiteren sind mir wahnsinnig viel Events, Moderations-Jobs und Auftritte abgesagt worden. Jetzt geht es langsam wieder los mit TV-Produktionen, aber im Grunde genommen ist das Jahr schon wieder vorbei und ich kann bald meine Weihnachtsshows planen. Schade, in vielerlei Hinsicht ein verlorenes Jahr…

Während des Lockdowns hast Du Dich an einer Show via Instagram versucht, in der Du Freunde von Dir wie Micaela Schäfer auf digitalem Weg empfangen hast. Wie gut hat Dir dieses Konzept rückblickend selbst gefallen und wie kam es bei Deinem Publikum an?
Als der Lockdown mit großen Schritten auf uns zukam, war mir klar: Wenn Du jetzt nichts macht’s, dann fliegt Dir die Decke auf den Kopf! Also entschied ich mich kurzerhand dazu, eine Talkshow zu machen! Talken wollte ich schon immer, jetzt hatten alle Zeit und das Publikum saß zu Hause und wartete in dieser schwierigen Zeit auf gute Unterhaltung, Ablenkung und Spaß. 50 Sendungen in 50 Tagen mit 50 Gäste aus Show, Unterhaltung, Schauspiel, Film, Fernsehen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben mich unbeschadet durch diese Zeit gebracht. Ansonsten wäre ich wahrscheinlich verrückt geworden.

Finanziell wirft so eine Online-Show aber vermutlich kaum etwas ab, oder?
Ich habe mit Sponsoren und Investoren gesprochen und habe es geschafft, in kürzester Zeit die Instagram-Produktion auf sichere Füße zu stellen!

Kannst Du uns schon verraten, mit welchen Events es bei Dir in den kommenden Wochen und Monaten weitergehen soll?
Das kann ich Euch ehrlich gesagt nicht sagen! Ich lebe im Moment von Tag zu Tag und denke nur an morgen, aber nicht an September, Oktober oder gar ans kommende Jahr 2021. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir alle möglichst unbeschadet durch diese für uns alle schwierige Zeit kommen.

Ich lebe im Moment von Tag zu Tag und denke nur an morgen, aber nicht an September, Oktober oder gar ans kommende Jahr 2021. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir alle möglichst unbeschadet durch diese für uns alle schwierige Zeit kommen.
Julian F. M. Stoeckel
Im letzten November bist Du ja auch unter die Musiker gegangen und hast Deine Debutsingle ,Wodka für die Königin‘ veröffentlicht. War das ein einmaliges Experiment oder willst Du zukünftig weitere Songs covern und neu interpretieren?
Singen - oder besser gesagt interpretieren - macht mir wahnsinnigen Spaß. Als junges Mädchen wollte ich immer Opernstar werden - wie Maria Callas. Bis an die ,Met' in New York habe ich es zwar nicht geschafft, aber ich darf ,Wodka für die Königin' von Peter Thomas interpretieren. Leider ist Peter Thomas vor kurzem gestorben, aber sein Sohn bot mir an, auch weitere Songs aus dem schöpferischen Erbe seines Vaters zu singen. Ich habe noch zwei weitere Songs aufgenommen und arbeite zur Zeit an einem vierten Song! Mal schauen, wohin mich die Musik noch bringen wird, mir macht das Spaß.

Lass uns noch etwas über das Fernsehen reden. Die Verantwortlichen bewiesen in der Corona-Krise Spontanität und dachten sich quasi über Nacht Unterhaltungsformate wie «Die Quarantäne-WG» (RTL) oder «Luke, allein zuhaus» (Sat.1) aus. Hast Du das verfolgt?
Ich habe das natürlich alles verfolgt und war fasziniert bis schockiert, was da auf kurzen Wegen und mit heißer Nadel aus dem Boden gestampft worden ist. Dabei ist mir aufgefallen, dass viele Sender immer auf die selben Gesichter setzen. Ich glaube, viele Sender-Verantwortliche machen sich gar keine Gedanken, welche Stars das Publikum wirklich sehen will. So viele Fans schreiben mir jeden Tag, sie wünschten sich sich ein Format mit mir, Micaela Schäfer, Angelo Conti, Désirée Nick oder Ross Anthony. Aber warum baut man uns eigentlich kein unterhaltsames, glamourös-buntes Format? Wo liegen eigentlich die großen Hemmschwellen, mal etwas Wildes, Experimentelles und Anderes zu gestalten? Oftmals bin ich sehr enttäuscht von der Zurückhaltung vor den Lieblingen des Boulevards! Aber die Hoffnung stirbt zuletzt…

Lesen Sie auf Seite zwei, warum Julian F. M. Stoeckel das Comeback von «Big Brother» nicht gefallen hat und wieso er eine Teilnahme am «Kampf der Realitystars» abgelehnt hat.

Wo liegen eigentlich die großen Hemmschwellen, mal etwas wildes, experimentelles und anderes zu gestalten? Oftmals bin ich sehr enttäuscht von der Zurückhaltung vor den Lieblingen des Boulevards!
Julian F. M. Stoeckel
Viel diskutiert wurde zuletzt auch über «Promis unter Palmen». Die Show wurde zunächst gefeiert, weil unheimlich viel passierte, im Laufe der Staffel aber zunehmend kritisiert - vor allem wegen der fünften Folge, in der Claudia Obert unter anderem von Bastian Yotta und Matthias Mangiapane massiv gemobbt wurde. Haben die Promis mit Ihrem Verhalten eine Grenze überschritten? Und hätte das Sat.1 so zeigen dürfen?
Meine Meinung ist: Was nicht gesagt wird, kann auch nicht gesendet werden! Daher bin ich immer der Meinung, dass viele Kollegen - und ich will bewusst keine Namen nennen - sich auch im Klaren sein müssen, was sie von sich geben. Mobbing - in welcher Form auch immer - gehört in meinen Augen sowieso nicht ins Fernsehen. Wir machen Fernsehen, weil wir Menschen, unser Publikum, gut unterhalten wollen und nicht, weil wir sie oder andere pausenlos denunzieren, beleidigen oder fertig machen. Das ist und war nie mein Anspruch an Unterhaltung! Ich orientiere mich an den Großen unseres Business: Karl Lagerfeld, Grace Jones, Helmut Berger, Carmen Nebel oder Harald Juhnke. Für diese Urgesteine war die stilvolle Unterhaltung immer im Vordergrund und an diesen Grundsätzen orientiere ich mich!

«Big Brother», die Mutter aller Realityshows, ist in Sat.1 in der ersten Jahreshälfte aus Quotensicht grandios gescheitert. Zurecht?
Darf ich ehrlich sein? Ich fand den Großteil der Kandidaten sooo belanglos, uninteressant und unglamourös. Warum waren keine ,älteren' Menschen dabei? Der Durchschnitt unserer Gesellschaft muss doch in einem «Big Brother» mit normalen Kandidaten widergespiegelt werden. Wir leben nicht alle in einer Instagram-Like-Selfie-Community, wo es nur auf Schönheit, Banalität und Doofheit ankommt. Ein Format wie «Big Brother» - und auch Dschungelcamp - leben von Geschichten, von gelebten Leben. Aber was will man mit 21 oder 22 Jahren erzählen? Wie das Abitur war? Wie die letzte Klassenfahrt nach Mallorca gewesen ist? Wer will das wissen? Ich vermisse sowieso die Alten im Showbusiness! Immer nur Junge? Das ist öde und beliebig! Schade, aber sie wollen es scheinbar nicht anders!

Ein Format wie «Big Brother» - und auch Dschungelcamp - leben von Geschichten, von gelebten Leben. Aber was will man mit 21 oder 22 Jahren erzählen? Wie das Abitur war? Wie die letzte Klassenfahrt nach Mallorca gewesen ist? Wer will das wissen?
Julian F. M. Stoeckel
«Promi Big Brother» kehrt im August zu Sat.1 zurück und wird mit drei Wochen länger denn je laufen. Hättest Du sechs Jahre nach dem Dschungelcamp eigentlich nochmal Lust, an einer solchen Show teilzunehmen? Oder fühlst Du Dich in der Expertenrolle in der «Promi BB Late Night Show» inzwischen wohler?
Ihr werdet lachen, aber ich bin noch nie für «Promi Big Brother» angefragt worden! Ich werde jedes Jahr zu allen Formaten rund um «Promi Big Brother» als Expertin eingeladen, was mir by the way auch wahnsinnigen Spaß macht, aber als Kandidatin bin ich (scheinbar) vom Endemol-Chef Rainer Laux noch nie in Betracht gezogen worden. Das kann aber auch daran liegen, dass sie wissen, dass ich nicht das klassische Tunten-Heul-Klischee erfülle, was sie sich ja teilweise für diese Formate wünschen. Ich bin eine Diva und die kannst du in keine Ecke stellen! (lacht)

Für «Kampf der Realitystars» bei RTLZWEI warst Du angefragt worden, allerdings hattest Du abgesagt. Wieso?
Ich bin angefragt worden und hatte dann ein erstes Vorgespräch mit einer sehr undifferenzierten und teils sehr unhöflichen Redakteurin, die mir keinerlei Informationen zu diesem Fernsehformat zukommen lassen wollte oder konnte. Und anhand wahnsinnig weniger Informationen und Details hatte sie gedacht, dass ich mich in ein für mich vollkommen unbekanntes Format stürze. Leider nein - da hatte sie die Rechnung nicht mit mir gemacht! Die Redaktionen müssen mal registrieren, dass Künstler wie Julian F.M. Stoeckel, Désirée Nick oder Micaela Schäfer pausenlos der ,leichten Muse' und dem Boulevard zugeordnet werden, aber wir durchaus viel im Köpfchen haben!

Zum Schluss noch ein Blick in die Glaskugel: Wie gut stehen Deiner Meinung nach die Chancen, dass unser aller Trash-TV-Liebling, das Dschungelcamp, im nächsten Januar in einigermaßen gewohnter Form trotz Corona produziert werden kann?
Ich denke, dass das Dschungelcamp auf jeden Fall stattfinden wird. Es ist für RTL ein wichtiges Projekt, welches auch wahnsinnig viel Geld in die Kassen spielt und darauf und kann man sicherlich nicht verzichten!

Julian, wir danken Dir für das Gespräch und wünschen Dir alles Gute für die kommende Zeit.