InterviewFrauen in der ARD-Unterhaltung: 'Wenn ich mir beim Suchen die Augen zuhalte, finde ich auch nichts'

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Podcasterin und Moderatorin Ariana Baborie spricht über das Fehlen von Frauen in der ARD-Unterhaltung. Das Problem gehe zurück auf die gedruckten Benimmregeln der 60er, sagt sie.

Zur Person: Ariana Baborie

Die Hörfunk- und TV-Moderatorin, die in Berlin lebt, ist unter anderem bekannt für ihren Podcast "Herrengedeck" - sie moderierte in Sat.1 einige Zeit lang die nächtliche «Dinner Party». Sie ist als Comedian unterwegs, hat ein Buch geschrieben und arbeitete als Radiomoderatorin (unter anderem beim hessischen Jugendsender You FM).
Wie erleben Sie denn die Medienwelt heute: Gibt es denn bei Besetzungen von wichtigen Positionen, etwa Haupt-Moderationen großer Formate, eine echte Gleichberechtigung? Wie präsent sind Rollenbilder, klassisch oder modern, noch in den Köpfen der Entscheider?
Man kann da natürlich nicht verallgemeinern, aber ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass diese Rollenbilder definitiv noch bei Entscheidern präsent sind und teilweise auch mit viel Leidenschaft gepflegt und aufrechterhalten werden. Da ist dann die Rede von männlichen Stimmen, die mehr Kompetenz ausstrahlen und von Zuschauer*innen und Zuhörer*innen als seriöser und glaubhafter empfunden würden, sodass bestimmte Positionen ja nur mit Männern besetzt werden könnten. Oder auch das alte Lied, man würde ja gerne mit Frauen besetzen, aber es gebe einfach keine geeigneten. Tja – wenn ich mir beim Suchen die Augen zuhalte, finde ich auch nichts, das stimmt.

Volker Herres, Programmchef des Ersten, hat mit seiner Aussage, er würde kein weibliches Pendant zu Kai Pflaume sehen, eine Debatte ausgelöst. Mal vorne weg gefragt: Sehen Sie ein weibliches Pendant zu Herrn Pflaume, Barbara Schöneberger, die Volker Herres ja selbst erwähnt hat, mal ausgenommen?
Ob es Frauen gibt, die mit „Empathie und Zugewandtheit große Mehrheiten für sich begeistern können“ und denen ich zutraue, die große Samstagabendshow zu moderieren? Absolut: Aminata Belli, Hazel Brugger, Ines Anioli, Katrin Bauerfeind, Giulia Becker, Ronja von Rönne – soll ich weitermachen?

Es fängt an bei gedruckten Benimmregeln aus den 1960er Jahren, die besagen, dass „die Dame sich bei Tisch mit der Darbietung von Scherzen zurückzuhalten habe“, über zahlreiche Studien, die zeigen, dass männliche Stimmen mit Eigenschaften wie Stärke, Kompetenz, Dominanz und Erfolg assoziiert und als Sprecher bevorzugt werden, bis zu der Tatsache, dass diese konservativen Rollenbilder bis heute gefördert werden, indem man sie weiterhin so vermittelt.
Ariana Baborie
Dieses Problem, dass die ARD-Unterhaltung so männlich dominiert ist, besteht ja nicht erst seit heute. Wenn wir nach den Wurzeln suchen, müssen wir Jahre zurück gehen. Wurde zu wenig gefördert, wurde – vielleicht ohne bösen Willen – auch zu wenig darüber nachgedacht?
Wenn man nach den Wurzeln sucht, wird man sehr schnell fündig. Es fängt an bei gedruckten Benimmregeln aus den 1960er Jahren, die besagen, dass „die Dame sich bei Tisch mit der Darbietung von Scherzen zurückzuhalten habe“, über zahlreiche Studien, die zeigen, dass männliche Stimmen mit Eigenschaften wie Stärke, Kompetenz, Dominanz und Erfolg assoziiert und als Sprecher bevorzugt werden, bis zu der Tatsache, dass diese konservativen Rollenbilder bis heute gefördert werden, indem man sie weiterhin so vermittelt.

Dieser Zustand beschränkt sich nicht nur auf die Unterhaltung – Maria Furtwängler zeigt beispielsweise immer wieder auf, wie unterrepräsentiert Frauen in Film und Fernsehen sind. Wenn sie dann vertreten sind, sieht man sie oft in veralteten Rollenmustern oder klischeehafter Darstellung. Viele Stereotype werden auch unterbewusst vermittelt, zum Beispiel der wortgewandte, humorvolle Moderator, der die Show präsentiert und an seiner Seite die lächelnde blonde Assistentin im Glitzerkleid, die keinen Wortanteil hat und nur die Buchstabentafeln dreht während sie freudig dabei klatscht.

Aus der Masse solcher Darstellungen ergibt sich im Kopf der Zuschauer ein Bild, das so subtil entsteht, dass ich sogar Verständnis dafür habe, dass Medienkonsument*innen nicht wirklich erklären können, warum sie den männlichen Kollegen mehr Kompetenz zusprechen. Es ist vor allem die Aufgabe der Sendeanstalten, die mit ihrem Programm diese gesellschaftlichen Rollenbilder maßgeblich beeinflussen, dieses Problem zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Mit einem ausgeglicheneren Männer-Frauen-Anteil und verantwortungsbewussten Entscheidungen, in welchen Rollen diese Männer und Frauen dargestellt werden. Das fängt bei den Nachrichtensendungen an und hört eben bei der großen Samstagabendshow auf.

Wie stehen Sie zu dem – ebenfalls recht starren – Bild, dass Doppelmoderationen meist von Mann und Frau kommen? Ist dies dann nicht auch überaltet?
Bei Joko und Klaas beispielsweise sieht man ja, dass gleichgeschlechtliche Doppelmoderation hervorragend funktioniert. Ich bin mir ganz sicher, dass sich das auch mit zwei Frauen umsetzen ließe! Ines Anioli & ich testen ein weibliches Moderationsduo momentan auch schon regelmäßig in Form eines Livetalks auf Instagram aus – uns beide (lacht).

Die Debatte, die Volker Herres nun ausgelöst hat, wird Ihrer Meinung nach zu was führen?
Zu was sie führt, kann ich leider nicht sagen, denn diese Thematik wird ja nicht zum ersten Mal groß und vor allem kontrovers diskutiert, sodass man meinen sollte, mittlerweile gibt es dafür ein größeres Bewusstsein. Aber wie wir sehen, wird die Meinung, es gebe keine Frauen, die fähig genug sind, trotzdem weiterhin von obersten Entscheidungsträgern vertreten. Was ich mir aber wünschen würde: dass das Problem jetzt mal langsam erkannt und vor allem auch angegangen wird.

Um den Status Quo zu ermitteln, genügt ein Blick auf die Zahlen. In Deutschland leben mehr Frauen als Männer, je nach Genre sieht man in Sendeprogrammen jedoch bis zu 80% Männer. Während im echten Leben 50% der Richter*innen Frauen sind, sind nur 24% der Rechtsexpert*innen im deutschen Fernsehen weiblich (Universität Rostock). Und so weiter, die Liste ist lang. Und die Veränderung kommt nicht von alleine – sie muss umgesetzt werden. Zum Beispiel von Entscheidern wie Volker Herres, der sich vorher jedoch vielleicht erstmal mit den Zahlen und deren Entstehung vertraut machen sollte.

Wie sehen Sie Deutschland in diesem Punkt eigentlich im Vergleich mit anderen Ländern? Ich meine da nicht einmal die Länder, in denen Frauenrechte noch eine untergeordnetere Rolle spielen, sondern durchaus große und freiheitliche Staaten. Es ist ja nach wie vor so, dass es auch in den USA weniger Preisträgerinnen bei den Oscars gibt als Preisträger…
Soweit ich es mitbekomme, wird in den USA ein ähnlicher Kampf geführt wie bei uns in Deutschland. Immer wieder kommen Bewegungen ins Rollen, die sich für gleichberechtigte Bezahlung von US-amerikanischen Schauspielerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen einsetzen, für ausgeglichenere Besetzungen, bei denen die Hauptdarsteller momentan meist männlich sind und Frauen häufiger nur die Nebenfiguren spielen, sowie beim Anteil an Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen, der um ein Vielfaches geringer ist, im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen. Wie auch bei der Aussage von Volker Herres, bin ich der Meinung, „Ich würde ja gerne mit einer Frau besetzen, aber es gibt keine für diese Position“ hat mehr mit nicht wollen zu tun, als mit nicht können. Ich erinnere mich noch, wie ich zu Schulzeiten an meinen Mathe-Hausaufgaben saß (Mathe war mein Hassfach), und meine Mutter, nachdem ich laut gejammert habe, dass es sich einfach nicht lösen ließe, fragte: „Hast du es denn überhaupt ernsthaft versucht?“

Diese Frage würde ich den Entscheidern beim Fernsehen auch gerne mal stellen.

Danke für Ihre Antworten.