Hingeschaut«Balls» bei ProSieben: Unterhaltung ohne Haltung

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Die Studio-Show, die ProSieben seit letzter Woche am späten Dienstagabend zeigt, fordert ihre Teilnehmer für einige hundert Euro zu absurden Mutproben auf. Darf man über so eine spätpubertäre und entwürdigende Hardcore-Trash-Sendung lachen?

Würden Sie vor hunderttausenden TV-Zuschauern einen Vortrag über das Liebesleben von Faultieren halten, sich dabei ausziehen und am Ende splitterfasernackt durchs TV-Studio springen? Die neue ProSieben-Show «Balls - Für Geld mache ich alles» stellt ihre Kandidaten vor genau diese Aufgaben. Was auf dem Papier witzig klingen mag, erweist sich in der Realität als erschreckend großer Irrsinn, der lustig sein könnte, wenn er nicht so entwürdigend für seine Teilnehmer wäre. Die wiederum scheinen jede noch so absurde Mutprobe für einige hundert Euro mitzumachen. Oder besser: Über sich ergehen zu lassen.

Das Konzept hinter dem neuen ProSieben-Format «Balls» ist dabei denkbar einfach. Die Show, die zurzeit am späteren Dienstagabend im Anschluss an «Joko & Klaas gegen ProSieben» zu sehen ist, fordert ihre Akteure - 50 freiwillige Männer und Frauen - zu verschiedenen Mutproben auf. Diese werden stufenweise präsentiert und eskalieren mit der Zeit immer weiter. Wer am Ende noch bereit ist, beim Komplett-Paket mitzumachen, drückt auf einen Buzzer. Für das Absolvieren der Pflichten bietet Moderator Christian Düren den Freiwilligen schließlich Geld an - bestenfalls 3.000 Euro. Wer als erster buzzert, darf sich an der Mutprobe versuchen. Kurzum: «Balls» ist ein bisschen wie Wahrheit oder Pflicht ohne Wahrheit.

Und so kommt es, dass ein junger Mann aus Köln für sein Geld Milch trinken muss, die seit einigen Wochen abgelaufen ist, während sich ein anderer einen Hodensack auf eine kahle Stelle am Hinterkopf tätowieren lässt. Es sind Mutproben, die man eher auf Vor-Abi-Partys von Jugendlichen als im Abendprogramm von ProSieben erwarten würde, wobei selbst in erstgenanntem Kontext so manche Challenge an die Grenzen des guten Geschmacks stoßen würde.

Als Zuschauer weiß man derweil nicht so recht, ob man lachen darf oder lieber doch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen sollte, weil man weiß, dass dieser Mann, der gerade auf einer gefrorenen Kloschüssel singend im Borat-Anzug sitzt, eines Tages Grundschullehrer werden möchte. Vergleichsweise glimpflich trifft es da schon eine Dame, die zur Erfüllung ihrer Pflicht eine andere Frau vor laufenden TV-Kameras mit der Zunge küssen muss. Einfacher und billiger kann man eine TV-Show kaum gestalten.

Tatsächlich ist «Balls» ein bisschen wie ein Unfall. Auf der einen Seite ist die Show derart plump, dass man am liebsten umschalten würde, andererseits weckt sie in einem doch die allerniedersten Begierden und verleitet zum Gaffen. Nur so lässt sich erklären, warum für die erste Folge der Sendung am vergangenen Dienstag nach Joko und Klaas noch knapp eine Million Zuschauer wachblieben. Auch wenn man im Privat-Fernsehen in den vergangenen Jahren schon viel gesehen hat, wundert man sich immer wieder, wie weit Menschen für 2000 bis bestenfalls 3000 Euro gehen.

Und nein: Natürlich wird in «Balls» niemand zu irgendetwas gezwungen. Trotzdem fragt sich der Zuschauer stellenweise, ob man sich diesen Hardcore-Trash guten Gewissens anschauen darf. Christian Düren betont zwar, dass die Kandidatinnen und Kandidaten im Studio alle freiwillig dabei sind. Auch die Mutproben, um die es gehe, könne man ohne Bedenken zuhause nachmachen. „Lassen Sie nur keinen dabei zugucken“, rät Düren. Er weiß, dass den Teilnehmern die Total-Blamage für ein paar Hunderter-Scheine bevorsteht, er lässt die Männer und Frauen in ihr selbstgewähltes Verderben laufen. Das löste bei vielen schon in der vergangenen Woche Kopfschütteln aus. „Alles an dieser Show ist hässlich“, schrieb Spiegel-Autorin Anja Rützel in ihrer TV-Kritik zur ersten Folge der Sendung.

Handwerklich ist zu bemängeln, dass die Produktion auf jede Form von Ironie oder klugen Anspielungen verzichtet. Sie ist kein besonders durchdachtes Trash-Format, das mit Hintergedanken entwickelt wurde, sie ist schadenfroh und verkörpert diese Ausrichtung in dem Verhalten von Christian Düren regelrecht perfekt. Düren wird in seiner Position als Moderator nicht müde, die Normalos zu motivieren und während der Aufgaben bei Laune zu halten. Ekel und peinliche Mutproben sind in der Show kein Mittel zum Zweck, sie sind der einzige Grund, warum dieses Format existiert. Da hilft es wenig, dass «Balls» die einzelnen Aufgaben, die es zu absolvieren gilt, nie überstreckt, eine flotte Grunddynamik aufweist und - eine wahre Rarität dieser Tage - sogar noch mit Studio-Publikum vor der Corona-Krise produziert wurde. Die Sendung bleibt spätpubertärer Fernseh-Trash - Unterhaltung ohne jegliche Haltung.

«Balls» läuft auch in den kommenden Wochen immer dienstagabends im Anschluss an die Primetime-Show «Joko & Klaas gegen ProSieben» - natürlich bei ProSieben.