360 Grad

Breaking the German Bad

von

Warum man das Ziel, eine kompromisslos erzählte horizontale Serie zu konzipieren, in Deutschland so oft verfehlt, versucht Julian Miller diese Woche in einer fiktiven Spielszene zu ergründen.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen rein zufällig, aber vielleicht unvermeidlich.

Wir befinden uns in einem Konferenzraum, wie man ihn in jedem größeren deutschen Unternehmen finden kann.

Am Konfi-Tisch sitzen JÖRG, STEFAN und TIMO, drei Männer mittleren Alters, immer am Puls der Zeit, immer bereit für geiles Fernsehen.

JÖRG: Ich hab' am Wochenende wieder 'nen Marathon gemacht, mir das ganze Zeug reingezogen wie früher das Koks. «Boardwalk Empire», «Mad Men», «Blacklist», wie ein Besessener hab' ich das geguckt, zehn Stunden am Stück.

STEFAN: Ich bin jetzt mit der zweiten Staffel von «House of Cards» durch.

TIMO: Habt ihr «Borgen» schon gesehen?

JÖRG: Nee, bin noch nicht mal mit «Sleepy Hollow» durch.

STEFAN: Ich bin schon bei «The Following» längst nicht mehr auf dem Laufenden.

TIMO: Mensch, wir müssten auch mal sowas entwickeln. So ein «House of Cards» oder ein «Homeland» oder ein «Breaking Bad».

STEFAN: Pfff. Sollen die Öffentlich-Rechtlichen machen. Schließlich ist das denen ihr Job.

TIMO: Is' klar.

JÖRG: Aber wenn wir so weitermachen wie jetzt, kriegen wir nie den Grimme-Preis für Fiction.

STEFAN: Wer will den schon? Dann haben wir zwar dieses hässliche Ding aus Marl, müssen dafür aber die Hälfte unserer Sendungen absetzen.

JÖRG: Ich denke, wir konzentrieren uns da lieber auf den Deutschen Fernsehpreis. Da hat sogar RTL II mal einen für Fiction abgeräumt.

TIMO: RTL II hat 'nen Deutschen Fernsehpreis für Fiction?

JÖRG: Ja, klar. Für «Berlin - Tag und Nacht».

TIMO: Nee, da waren sie nur für nominiert. Und außerdem war das die Doku-Kategorie.

STEFAN «Berlin - Tag und Nacht» ist 'ne Doku?

JÖRG: Anscheinend. Das könnte erklären, warum es den Deutschen Fernsehpreis bald nicht mehr gibt.

TIMO: Anyway, wir brauchen Fiction, Leute. Richtige Fiction, so wie in Amerika, so ein deutsches «Breaking Bad» oder ein deutsches «House of Cards». Denk nur mal an die Credibility, die wir da kriegen, von heute auf morgen sind wir dann der hammergeile Innovationssender, wir pusten alle anderen Weg.

JÖRG: Deutsches «Breaking Bad», deutsches «House of Cards». Wenn ich das schon höre. Das guckt in Deutschland doch kein Schwein. Guck dir die Marktforschung an.

STEFAN: Vergiss die Marktforschung. Wäre es nach der Marktforschung gegangen, wäre von «Seinfeld» keine einzige Folge gelaufen.

JÖRG: Ja, in Amerika. Die stehen auf so ein Zeug. Aber hier in Deutschland funktioniert das nicht.

STEFAN: Wie soll das auch gehen? Ein deutsches «House of Cards»? Wie sollen wir das überhaupt nennen? "Ha-Pe Friedrich schlägt zurück"?

TIMO: Ich notier' mir das schon mal.

JÖRG: Oder ein deutsches «Breaking Bad». Ulla, die olle Chemielehrerin kocht sich in der Lüneburger Heide Crystal Meth? Dat funktioniert doch nicht.

STEFAN: Ulla? Wieso Ulla?

JÖRG: Ja, so heißen die doch immer.

STEFAN: Nee, mit 'ner Ulla läuft das nicht. Da kannste sie gleich Trude nennen.

JÖRG: Wie willst du sie denn nennen? Summer-Cheyenne?

STEFAN: Nee, irgendwas Moderneres. Modern, aber nich' assi.

TIMO: Anne.

STEFAN Nee, so heißen doch nur traumatisierte Polizistinnen montags im ZDF.

JÖRG: Tamara.

STEFAN: Tamara?

JÖRG: Tamara.

TIMO: Tamara.

JÖRG: Also Tamara kocht in der Lüneburger Heide Crystal Meth.

TIMO: Sollen wir da nich' doch lieber 'nen Typen für die Hauptrolle nehmen?

JÖRG: Nee, Frauen funktionieren besser. Die können besser heulen.

STEFAN: Und gleich in der ersten Folge sagt man ihr, dass sie unheilbar krank ist.

JÖRG: Nee, das kannste nich' machen.

TIMO: Wieso nicht?

JÖRG: Das ist zu hart für den Einstieg.

TIMO: So haben die das in Amerika aber auch gemacht bei «Breaking Bad».

JÖRG: Ja, in Amerika. Aber in Deutschland geht das nicht. Das machen unsere Frauen nicht mit.

STEFAN: Warte, ich hab' was: Die Tamara is' geschieden. Und ihr Ex-Mann, sagen wir mal: Er is' Metzger von Beruf, will Tamara wieder zurück haben. Und während Tamara gerade ihre neunte Klasse in Chemie unterrichtet, weißte, so ganz zugeknöpft is' die da, bricht der Metzger, nennen wir ihn mal Torben, bei ihr zu Hause ein und klaut ihren Hund.

TIMO: Und Tamara is' davon dann so schockiert, dass sie... Crystal Meth kocht?

STEFAN: Ja, nee, Crystal Meth jetz' nich' direkt. Das geht in Deutschland wahrscheinlich auch gar nicht wegen Jugendschutz. Aber sie könnte sich ja zu Hause auf den Schock 'nen Joint anzünden, verstehste? Dann haste gleich so 'nen Mörderkonflikt am Anfang: In der Schule is' Tamara voll zugeknöpft, aber zu Hause, wenn sie mit privaten Problemen konfrontiert is', da dübelt sie sich dann erst mal zu.

JÖRG: Das finden sicher auch unsere Frauen geil.

STEFAN: Genau.

TIMO: Aber das hat doch mit «Breaking Bad» nichts mehr zu tun.

STEFAN: Na, weißte, ich sag mal so: Man muss so ein amerikanisches Hammer-Format schon leicht verfremden für den deutschen Markt. Das kann man nicht Eins zu Eins machen, das läuft nicht.

JÖRG: Wird aber auch so voll teuer.

STEFAN: Na ja. Fiction geht auch für die Hälfte.

TIMO: Sieht dann aber auch so aus.

JÖRG: Egal. Das merkt doch keiner.

TIMO: Das Feuilleton schon.

JÖRG: Wen interessiert schon das Feuilleton?

TIMO: Dann machen wir's doch gleich als Scripted-Reality.

STEFAN: DAS is' mal 'ne Idee.

JÖRG: «Breaking Bad» als Scripted-Reality. Doll. Da wär' ich nie drauf gekommen.

STEFAN: Dann aber eher mit 'ner Summer-Cheyenne als mit 'ner Tamara.

JÖRG: Jo. Und tätowiert muss sie sein.

STEFAN: Unbedingt!

JÖRG: Großartig. Ich ruf' gleich mal ein paar Produktionsfirmen an, die sollen was entwickeln und pitchen.

STEFAN: Und ich lass' eine PM verfassen. Deutsches «Breaking Bad» in Planung.

JÖRG: Sensationell wird das.

TIMO: Und so innovativ.

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