Die Kino-Kritiker

Frauenpower neu gedacht: «Late Night»

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Nah am Zeitgeist und trotzdem zeitlos – Regisseurin Nisha Ganatra trifft mit «Late Night», ihrem ersten Kino-Spielfilm seit 2005, gleich mehrere Nerven auf einmal.

Filmfacts: «Late Night»

  • Start: 29. August 2019
  • Genre: Tragikomödie
  • FSK: o.Al.
  • Laufzeit: 102 Min.
  • Kamera: Matthew Clark
  • Musik: Lesley Barber
  • Buch: Mindy Kaling
  • Regie: Nisha Ganatra
  • Darsteller: Emma Thompson, Mindy Kaling, John Lithgow, Hugh Dancy, Reid Scott, Denis O’Hare, Max Casella
  • OT: Late Night (AUS 2019)
Im Gegensatz zu den USA steht es in Deutschland nicht so gut um das Gebiet der Late-Night-Talkshows. Seit sich die Moderatorenlegende Harald Schmidt vor einigen Jahren zur Ruhe setzte und seither immer mal wieder sporadisch in den Medien gegen seinen früheren Beruf wettert, machen Namen wie Jan Böhmermann oder Klaas Heufer-Umlauf vor allem Fernsehen für die Nische respektive für die jungen Zuschauer. Und das hat mit dem, was man früher unter Late Night verstand, kaum mehr was zu tun. In den Vereinigte Staaten dagegen treten sich die Late-Night-Hosts regelrecht auf die Füße; einer erfolgreicher als er andere. Clips mit zum Kult gewordenen Interviews oder anderweitigen Aktionen erreichen dank des Videodienstes YouTube sogar längst unsere Gefilde. Das mag auch ein wenig der Grund dafür sein, weshalb einen die simpel «Late Night» betitelte Komödie der gebürtigen Kanadierin und Serienregisseurin Nisha Ganatra («Brooklyn Nine-Nine») vor allem an zwei Filme erinnert, die wiederum so gar nichts mit dem Thema Late Night zu tun haben: An «Morning Glory», einen Wohlfühlfilm über das Phänomen Frühstücksfernsehen, und «Der Teufel trägt Prada» über die toughe Chefin eines Modemagazins, verkörpert von der für ihre Rolle für den Oscar nominierten Meryl Streep.

Beide Filme interessieren sich vor allem für das Innenleben ihrer Figuren sowie deren Außenwahrnehmung – genau wie im Falle von «Late Night». Und noch dazu bieten sie allesamt einen intimen Einblick hinter die Kulissen verschiedener Entertainmentbereiche.

Eine frauenhassende Moderatorin


Das Image der erfolgreichen Late-Night-Hostin Katherine Newbury (Emma Thompson) gerät gewaltig ins Wanken, als bekannt wird, dass die Fernsehmoderatorin eine echte Frauenhasserin sein soll. Ihr Team besteht lediglich aus Männern, auch ihre Gags setzen langsam Staub an. Um ihren Ruf zu retten, beordert sie die tollpatschige, aber hochtalentierte Nachwuchsautorin Molly (Mindy Kaling) in ihr Team. Sie soll frischen Wind in die alteingesessene Runde bringen und Katherines Show wieder auf den richtigen Kurs führen. Das ist auch bitter nötig, denn wie Katherine mittlerweile mitgeteilt wurde, bleibt ihr nur noch ein Jahr bei ihrem Sender. Aufgrund kontinuierlich sinkender Quoten hat man dort beschlossen, sie zu ersetzen. Also muss Katherine fortan tatsächlich mit Molly an einem Strang ziehen, um die Show, vor allem aber die Karriere der TV-Legende zu retten. Aus einem Marketing-Stunt wird ein eingeschworenes Team und aus der zurückhaltenden Molly eine echte Kämpferin…



«Morning Glory» und «Der Teufel trägt Prada» heranzuziehen, ist auf keinen Fall negativ zu verstehen; im Gegenteil. Dieser Vergleich dient vor allem der tonalen Einordnung. Selbst wer mit dem Themengebiet der Late-Night-Shows bislang wenig am Hut hatte, wird sich von der Begeisterung von Cast und Crew für die Materie alsbald anstecken lassen. Ganz so, wie es eben auch schon für das Guten-Morgen-Fernsehen oder das weite Feld des Modejournalismus galt. Genau wie die Regiearbeiten von Roger Michell und David Frankel profitiert der Zuschauer auch im Falle von «Late Night» von einem mit großer Beobachtungsgabe verfassten Skript, das sich die Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin Mindy Kaling («Ocean’s Eight») auf den Leib geschrieben hat. Sich und ihrer Kollegin Emma Thompson («Kindeswohl»), die sich hier gegenseitig zu verbalen Höchstleistungen animieren.

Thompson verkörpert ihre knallharte Geschäftsfrau nicht als festgefahrenes Karrierebiest, sondern als bisweilen hilflos im Quotendruck verlorene Frau, die jedoch im Zweifelsfall alles unternimmt, um ihr Umfeld davon zu überzeugen, dass sie zwar tough, aber nicht böswillig ist – und was es mit ihrem Ruf der „Frauenhasserin“ auf sich hat, wollen wir an dieser Stelle besser auch nicht verraten, denn allein schon die Tatsache, dass der Konflikt in «Late Night» darauf fußt, dass hier ausgerechnet eine Frau das Klischeebild des „alten weißen Mannes“ erfüllt und obendrein nur ebenjene zu ihrem Team gehören, lässt den Film weitaus komplexer mit dem Thema der männerdominierten Entertainmentbranche umgehen, als stünde hier tatsächlich ein männlicher Host im Mittelpunkt.

Witzig und mit Köpfchen


Denn ja, natürlich trifft Nisha Ganatra mit ihrer erst vierten Kinofilm-Regiearbeit den von #MeToo und Co. geprägten Zeitgeist, aber anstatt einfach nur einmal mehr mit dem Finger auf Missstände zu zeigen, hat sie sichtbar Spaß daran, auf Lösungswege zu verweisen, das komplette System zu hinterfragen und sich nicht bloß an einem bestimmten Feindbild festzubeißen. Und so wirkt Mindy Kaling als tapsiger Neuling im Team zunächst fast verloren gegenüber der resoluten, in ihrer Trockenheit aber auch verdammt witzigen Katherine Newbury (die eher noch als eine Frau lieber einen Schwulen eingestellt hätte, um zu beweisen, dass sie aufgeschlossen gegenüber Neuem ist!) beziehungsweise dem in festgefahrenen Abläufen denkenden Autorenteam. Doch die vierzigjährige Mimin spielt den Wandel zur sich nach und nach aufgrund ihres Könnens auf der Karriereleiter emporschwingenden Gagschreiberin, die mit ihrer ihr zunächst scheinbar haushoch überlegenen Chefin immer wieder aneinander gerät, jedoch schon bald an einem Strang zieht, absolut souverän und mit viel Gespür für richtiges Comedy-Timing.

Auch die Tatsache, dass sich Kalings Molly bisweilen auf ihrem Status als Frau ausruht, gehört zu der möglichst komplexen Auseinandersetzung mit dem Thema nun mal dazu. So ist eine Szene, in der ein Kollege Molly darauf hinweist, dass sie sich hier eben mit ihrem Talent und nicht ihrem Frausein an sich Respekt verschaffen muss, zu den stärksten des gesamten Films.

All das beweist: Mindy Kaling weiß nicht nur als Schauspielerin, sondern erst recht als Autorin ganz genau, wie sie sich glaubhaft und ohne Mitleidsbonus dem Thema zu nähern hat. Dabei geht es ihr nicht darum, wahlweise Männer oder Frauen vor den Kopf zu stoßen. Stattdessen versteht sie «Late Night» als einen #MeToo-Film, der nicht die Opfer, sondern das System thematisiert – und wodurch die handelnden Figuren permanent nach vorne blicken, anstatt der Faszination zu erliegen, einfach nur immer wieder zu betonen, wie schlimm der Status Quo gerade ist. Damit das gelingt, lässt Kaling keine Gelegenheit aus, um den Einblick hinter die Kulissen des Entertainment-Business mit möglichst viel Liebe zum Detail abzubilden. Es geht um Quotendruck, darum, was man vor laufender Kamera sagen darf und was nicht, und auch darum, wie schnell die Karriere einer Person der öffentlichen Wahrnehmung vorbei sein kann, sofern man nur einmal etwas Falsches tut. Genau an diesem Punkt spielt es dann auch überhaupt keine Rolle mehr, welches Geschlecht die im Mittelpunkt stehenden Personen besitzen. Dinge wie Slut- und Bodyshaming werden sowohl von Männern als auch von Frauen als abwertend empfunden. Und sind heutzutage genauso Bestandteil eines Lebens als VIP, wie die Tatsache, dass es die Konkurrenz bisweilen mit viel weniger Talent aber viel mehr Fans auf dieselbe Position schafft, wie man selbst.

Zwischen den vielen, vielen gesellschaftsrelevanten Themen versucht sich Nisha Ganatra auch noch an der Einbettung einer Romanze. Vielleicht hätte sie das besser gelassen, denn in Ermangelung an Zeit kommt dieser Subplot in «Late Night» einfach ein bisschen kurz. Doch um Kaling nicht nur in ihrer Position als Frau und Nicht-Weiße Gehör zu schenken, damit sie an den Zuständen von «Tonight with Katherine Newbury» etwas ändert, sondern eben auch als ganz normale Person, ist es nur konsequent, ihr Privatleben nicht völlig außer Acht zu lassen. So gesehen hätten dem Film ein paar zusätzliche Minuten zur nahezu vollständigen Perfektion verholfen.

Fazit


Ohne stets den unangenehmen Zeigefinger zu schwingen und die Schuld für das stete Abfallen des Sendungsimages bei den „alten weißen Männern“ zu suchen, ist Kalings Geschichte ein charmanter Appell an Diversität und das, was folgt, wenn man diese wie selbstverständlich auslebt. Die Pointen treffen ins Schwarze, die emotionalen Aspekte der Geschichte zünden ebenfalls und am Ende steht das unbedingte Streben nach Harmonie und gegen die ausgeprägte Ellenbogengesellschaft. Richtig gut!

«Late Night» ist ab dem 29. August in den deutschen Kinos zu sehen.

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