Wenn die abenteuerlustige Disney-Prinzessin plötzlich wieder langes, blondes Haar hat

Disney erzählt «Rapunzel – Neu verföhnt» mit einer munteren, bildhübschen Trickserie weiter, die Wege beschreitet, die für eine Disney-Fernsehserie ungewohnt sind …

Hinter den Kulissen von «Rapunzel – Für immer verföhnt»

  • Regie: Tom Caulfield, Stephen Sandoval
  • Idee: Shane Prigmore, Chris Sonnenburg
  • Story: Jase Ricci
  • Musik: Alan Menken, Glenn Slater
  • Laufzeit: 55 Minuten
Zeiten ändern sich – und Serien, die auf Filmen basieren, ändern sich mit der Zeit. Nun, da wir im Zeitalter des 'Marvel Cinematic Universe' leben, dreht sich alles um eng verknüpfte Erzählungen. Auch abseits des Multi-Milliarden-Dollar-Franchises oder des Disney-Konzerns. So gehen die Macher der «Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen»-Fernsehserie die Extrameile und erklären in ihrer Prequelserie ausführlich sämtliche potentielle Kontinuitätsprobleme mit dem gleichnamigen Computeranimationsfilm hinfort. Diese Mühe war den Verantwortlichen von Trickserien, die auf animierten Kinofilmen basieren, lange Zeit fremd.

Ein Blick auf das Disney-Serienarchiv genügt bereits, um aufzuzeigen, wie unbedeutend ein stimmiger Kanon einst war. «Käpt'n Balu und seine tollkühne Crew» nahm einige der tierischen Figuren aus «Das Dschungelbuch» und verpflanzte sie in eine völlig andere Welt. Der faule, sich im indischen Dschungel herumtreibende Bär Balu lebt nun in einer von anthropomorphen Tieren bevölkerten Küstenstadt in den 1930er-Jahren, wo er für ein kleines Luftfrachtunternehmen arbeitet. «Abenteuer mit Timon und Pumbaa» verpflanzt die «Der König der Löwen»-Sidekicks in die Gegenwart, lässt sie mit Menschen interagieren und verändert den Humor im Vergleich zur Vorlage völlig – hin zu einem frenetischen, wilden Cartoon-Slapstick. Die «Hercules»-Serie dagegen nimmt eine Montagesequenz aus dem Originalfilm und sagt sich: "Halt, halt, halt, in der Zwischenzeit ist sehr, sehr viel mehr passiert, selbst wenn es Kontinuitätsfanatikern immense Kopfschmerzen bereiten dürfte!" Und allen, die «Kuzcos Königsklasse» inhaltlich sinnvoll mit ihrem Vorgänger «Ein Königreich für ein Lama» verbinden wollen, dürfte ebenfalls schwindlig werden.

Auf die Qualität der Serien hat die Vorlagentreue nie Einfluss gehabt. «Käpt'n Balu» etwa ist ein wahres Serienmeisterwerk, «Hercules» hat trotz etwas wackligem Produktionsniveau einige wirklich tolle Folgen zu bieten, «Kuzcos Königsklasse» hingegen ist bestenfalls nette Hintergrundbeschallung. Dennoch ist es faszinierend, wie sehr sich die jüngste Disney-Trickserie, die einen Kinofilm aus dem Haus der Maus als Sprungbrett nimmt, von der früheren TV-Vorgehensweise distanziert: «Rapunzel – Die Serie» präsentiert sich trotz völlig neuem Look als höchst konsequente Fortführung von «Rapunzel – Neu verföhnt», die sich zudem überaus liebevoll der Figuren aus dem Original annimmt und deren Gefühlslagen stimmig weiterspinnt.

Im Gegensatz zum computeranimierten Kinoerfolg von 2010 ist «Rapunzel – Die Serie» nicht in einer dreidimensionalen Ästhetik gehalten, die märchenhaft-naturalistische Hintergründe und karikierte Figuren stimmig verbindet. Stattdessen ist die TV-Serie vollauf im hochstilisierten 2D-Look gehalten, der sich sehr eng an den «Rapunzel»-Konzeptzeichnungen von Claire Keane (Tochter der lebenden Disney-Legende Glen Keane) orientiert, welche sich wiederum zu ähnlich großen Teilen von Skizzen aus dem Mittelalter, Gemälden des Rococo und den Werken des Illustratoren Charley Harper inspirieren ließ.

Dieser Stilwechsel gestattet es den Serienschöpfern Shane Prigmore und Chris Sonnenburg, mit einem TV-Budget eine visuell beindruckende Produktion abzuliefern – Computeranimation im Disney-Kinolook ist mit TV-Serien-Kosten nämlich noch immer nicht auf prächtigeem Niveau möglich. Der Stilbruch gegenüber der Filmvorlage ist insofern genehm, dass ja erstens wenigstens die konzeptuelle Idee, wie sich die Figuren und ihre Welt durch ihr Äußeres "anzufühlen" haben, kohärent gegenüber dem Leinwanderfolg bleibt. Und zweitens: Die einstündige Pilotfolge erklärt, dass Rapunzel und Flynn die Ereignisse der Serie nacherzählen, und zwar während sie einem ungesehenen Publikum Rapunzels Zeichnungen über diese Zeit vorführen. Dass Rapunzels künstlerische Handschrift der von Claire Keane gleicht, etablierte ja bereits der Original-Kinofilm …

Dass dieser Rückblick von Rapunzel und Flynn auf ihre Zeit zwischen ihrem Kennenlernen und ihrer Hochzeit tatsächlich so wirkt, als sei er aus demselben Guss wie «Rapunzel – Neu verföhnt», kommt angesichts der ersten Einblicke in das Format überraschend. Als Disney frühe Bilder und dann auch Trailer zur Serie veröffentlichte, dürften nicht wenige Fans gestutzt haben: Rapunzel hat wieder ihre lange, blonde Mähne, obwohl sie diese doch in ihrem Kinofilm verloren hat? Woche für Woche erleben sie und Flynn Rider alias Eugene Fitzherbert verrückte Abenteuer, mit neuen und alten Bekannten? Da durfte schon die Frage aufkommen: Haben wir es etwa mit einem neuen «Aladdin»-Fall zu tun, wo die amüsante Serie das Ende der Filmvorlage in eher groben Pinselstrichen weitergemalt hat und die Figuren für den Serienverlauf in einen recht starren Status quo festzurrte?

Aber der bezaubernde Pilotfilm «Rapunzel – Für immer verföhnt» gibt sinnvolle Antworten darauf, wie es den Hauptfiguren nach dem Ende von «Rapunzel – Neu verföhnt» ergangen ist und wieso sich eine neue Abenteuerserie über sie gerechtfertigt: Sechs Monate nach Rapunzels erfolgreicher Befreiung aus ihrer Gefangenschaft in einem verborgenen Turm soll das frühere Blondchen bei einem feierlichen Anlass zur Prinzessin des Königreiches Corona gekrönt werden. Aber der 18-jährige Freigeist hat nicht nur Probleme damit, in so kurzer Zeit die versäumten Jahre an Erziehung in Sachen Adelsgepflogenheiten nachzuholen. Sie fühlt sich obendrein in den Mauern Coronas eingepfercht. Ja, Rapunzel mag nun weitaus mehr Freiraum zu haben als einst im Turm – trotzdem fühlt sich das abenteuerlustige Bündel Frohsinn eingeengt. Nur, dass sie in Eugene einen Gleichgesinnten gefunden und in ihrer querdenkenden Hofdame Cassandra geduldige Unterstützung gefunden hat, macht Rapunzel Mut für die Zukunft.

Doch dann macht ihr Eugene bei einem Bankett einen Heiratsantrag – und die Formulierung dieser romantischen Geste lässt in Rapunzel einen Schwall der Unsicherheit hochkommen: Jetzt schon niederlassen, den Mittelpunkt des Lebens ins Schloss ihrer Eltern verlegen, nur noch an die Zukunft und sichere Planungen denken? Bei aller Liebe für den Ex-Dieb – dafür hat Rapunzel gerade keinen Nerv, sie will einfach nur ihr Leben leben. Cassandra bemerkt, wie sehr bei ihrer neuen Freundin die Moral durchhängt, also schlägt sie ihr vor, bei Nacht auszubüxen und an einen mysteriösen Ort zu reiten, um den Kopf frei zu kriegen. Doch dort kommt es zu einem seltsamen Ereignis, wodurch Rapunzel ihr magisches Haar wiedererlangt – und es ist widerstandsfähiger denn je.

Durch diesen Kniff schafft Storyautor Jase Ricci die Grundlage für die Abenteuerstorys in der Serie. Rapunzels magisches, meterlanges Haar ermöglicht originelle Actionszenen und erschafft sowohl Episodenplots, da immer wieder Schurken versuchen, an dieses Zauberhaar zu gelangen, als auch einen der seriellen Grundkonflike: "Wie befreien wir Rapunzel von diesem ungewöhnlichen Problem?" Was «Rapunzel – Die Serie» von "Vorgängern" wie den Serien zu «Hercules» und «Aladdin» abhebt, ist, dass auch ein emotionaler roter Faden gegeben ist. Denn Eugene/Flynn hatte, im Gegensatz zu Rapunzel, bereits ein Abenteurerleben und will sich daher lieber schon jetzt als erst später einem gemächlicheren Lebensstil hingeben.

Diese Grunddifferenz zwischen Rapunzel und ihrem Herzensdieb sorgt für eine reife, facettenreife Dynamik, die nicht disneytypisch ist – die Liebenden zanken sich nämlich dem Dilemma zum Trotz nicht. Sie lieben sich weiterhin bedingungslos, und versuchen, mit dem "Ich kann deinen Wunsch nicht vollauf teilen"-Ärgernis umzugehen. Zusammen mit der ausdrucksstarken Figurenanimation und den hingebungsvollen Sprecherleistungen schwingen sich Rapunzel und Flynn somit zum komplexesten, hinreißendsten Paar unter den Disney-Märchenpaaren auf.

Auch Rapunzels Eltern gewinnen im Pilotfilm an Dimension hinzu. Zudem gibt es mit der tätowierten Lady Caine eine neue, kesse Schurkin, die Rache an Rapunzels Vater nehmen will, weil dieser einst nach Rapunzels Entführung zu einem harschen, selbst Kleinstkriminelle überaus streng bestrafenden König wurde. Von solch einer interessanten Motivation können diverse Disney-Leinwand-Fieslinge nur träumen – schade, dass Lady Caine in der «Rapunzel»-Serie nicht die reguläre Rolle spielt, die der Pilotfilm suggeriert.

Mit strammem Pacing und dezent eingesetztem, energiereichem Slapstick rund um die aus dem Originalfilm bekannten, tierischen Sidekicks Maximus und Pascal wird «Rapunzel – Für immer verföhnt» endgültig zu einem starken Stück Disney-Fernsehunterhaltung. Die größte Schwäche sind überraschenderweise ausgerechnet die Songs: Disneys Hofkomponist Alan Menken und Songtexter Glenn Slater, die bereits die Lieder zu «Rapunzel – Neu verföhnt» beisteuerten, verfassten drei neue Stücke für den Film. Diese sind jedoch wenig einprägsam – da haben sie für die Musical-Realserie «Galavant» (die ebenfalls die Geschichte nach einem Märchenende erzählt) deutlich schmissigere Arbeit geleistet.

«Rapunzel – Für immer verföhnt» ist am 29. September 2017 um 20.15 Uhr im Disney Channel zu sehen. «Rapunzel – Die Serie» läuft ab dem 9. Oktober 2017 montags bis freitags um 18.40 Uhr im Disney Channel.
25.09.2017 18:08 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/96047