«Altes Geld», frischer Wind – Wie Österreich uns den Mut zum Risiko vorlebt

Mit der Miniserie, die am Mittwoch bei One im Free-TV startet, macht der Österreicher David Schalko den Deutschen erneut vor, wie man mit kleinen Mitteln großartige Serien schaffen kann.

Der Weg deutscher Serien in den vergangenen Jahren ist mit vielen Fehlschlägen und nur wenigen Treffern gepflastert, noch viel schwerer wiegen jedoch die am Wegesrand verpassten Chancen: Ambitionierte Ideen, auch mal gewagte Stoffe, denen deutsche Sender kein Vertrauen entgegenbrachten oder die schlicht nicht vorhanden waren – so genau kann man das als bloßer Zuschauer ja nicht sagen. Das vergangene Jahr brachte im deutschen Serienfach eine zarte Aufbruchsstimmung, doch die Angst vor Misserfolgen treibt die Sender weiter um. Es fehlt an Kreativen, auf die man sich bedingungslos verlassen kann. Das deutlich kleinere und in seinen Mitteln wesentlich beschränktere Österreich hat diesen Kopf schon spätestens im Jahr 2012 gefunden: David Schalko.

Gewagt gewinnt: Der unwahrscheinliche Aufstieg des David Schalko


Der geborene Wiener, der sich nicht nur als Drehbuchautor, sondern auch als Verfasser von Romanen, Werbetexten und Lyrikbänden kurz nach der Jahrtausendwende einen Namen in Österreich machte, entwickelte sich von dort an zum Liebling des Feuilletons. Unter anderem durch seine mehrfache Zusammenarbeit mit dem auch über die Landesgrenzen hinaus bekannten Kabarettist und Schauspieler Josef Hader oder durch seine Mockumentary «Das Wunder von Wien: Wir sind Europameister» im Zuge der Fußball-Europameisterschaft 2008. Nach diversen Fernsehsendungen, die er ab 1997 inszenierte und später immer häufiger konzipierte, darunter, Late-Night-Shows, Kultursendungen oder Satire-Formate, folgte 2012 mit «Braunschlag» seine erste Fernsehserie.

Das Format über einen Bürgermeister in der titelgebenden Marktgemeinde, der eine Marienerscheinung fingiert, um seine insolvente Heimat zum wohlhabenden Wallfahrtsort werden zu lassen, zeigten bereits, welche Chancen in der Kreation zunächst eigentümlich wirkender Stoffe liegen. Selbst der Stab der Serie gab sich zur Präsentation des Formats im März 2012 skeptisch ob des Erfolgs des Formats. Als „nicht breitenwirksam“ bezeichnete etwa Darsteller Manuel Rubey das Format, die Refinanzierbarkeit oder einen möglichen Erfolg auf dem internationalen Markt sprach unterdessen ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz «Braunschlag» ab. Doch die Serie machte deutlich, wie eine originelle und ambitionierte Produktion für den einheimischen Markt auszusehen habe. Herrlich absurde Figuren, großartige Ideen und reichlich Lokalkolorit ließen «Braunschlag» schnell zum Kult werden, obendrein versammelte das Format das „Who is Who“ der österreichischen Schauspielszene. Schnell kündigte das US-Fernsehen eine Adaption an. „Nicht breitenwirksam“? Von wegen!

Schalko schien gefallen am Seriengeschäft gefunden zu haben und kündigte schließlich an, eine Serientrilogie zum Thema Gier und Korruption zu planen. Auf «Braunschlag» folgte «Altes Geld», das im März 2015 in Österreich erstmals auf der Filmplattform Filmmit erschien und dieser Tage auf die gleiche Art und Weise wie «Braunschlag» seinen Weg ins deutsche Free-TV findet. Auch hier übernahm RTL Crime ab Februar 2016 die deutsche Erstausstrahlung, One, das ehemalige Einsfestival, sendet «Altes Geld» nun ab Mittwoch frei empfangbar.

«Altes Geld»: „Keiner geniert sich ein Arschloch zu sein“


«Altes Geld»: Cast & Crew

Vor der Kamera:
Udo Kier, Sunnyi Melles, Nicholas Ofczarek, Edita Malovcic, Manuel Rubey, Nora von Waldstätten, Yohanna Schwertfeger, Florian Teichtmeister, Thomas Stipsits u.v.m.

Hinter der Kamera:
Produktionsunternehmen: ORF/Superfilm; Regie & Drehbuch: David Schalko; Produktion: David Schalko & John Lueftner; Musik: Kyrre Kvam; Kamera Marcus Kanter

«Altes Geld» handelt vom Industriemagnaten Rolf Rauchensteiner der aufgrund einer Hepatitis-Erkrankung schnellstens eine neue Leber benötigt und anbietet, einen Beschaffer mit seinem gesamten Vermögen zu entlohnen. Die für ihn naheligendste Herangehensweise schlägt fehl: Der Leiter der Transplatationsverteilungsliste will auf seinen Bestechungsversuch nicht eingehen – Skandal! Schließlich offenbart Rauchensteiner auch seiner zerrütteten und hoch dysfunktionalen Familie seine prekäre Situation und das unmoralische Angebot. Die Zusammenkunft lässt den Blick auf das Seelenleben einer durch und durch kaputten Familie zu.

Schalko kündigte an und die erste österreichische Schauspielgarde folgte. «Braunschlag»-Hauptdarsteller Robert Palfrader, den Schalko bereits in den 90er Jahren als Wirt seines Stammlokals kennenlernte und der später nach einem Job bei «Nur die Liebe zählt» entdeckt und zu einem der größten Schauspielstars Österreich aufsteigen sollte, schloss sich dem Cast an, genauso wie der gefeierte Burgtheater-Schauspieler Nicolas Ofczarek, Manuel Rubey und Simon Schwarz, die bereits alle an «Braunschlag» mitwirkten. Mit dem Engagement einiger deutschstämmiger Darsteller wie Udo Kier entfernte sich «Altes Geld» gleichzeitig etwas vom teilweise breiten Dialekt, der in «Braunschlag» zu Tage trat und deutschen Zuschauern das Verständnis erschwerte.

In «Altes Geld» bekommen es deutsche Fernsehzuschauer mit einer Milieustudie im Umfeld der Superreichen zu tun – Dekadenz, Intrigen und von der Gier verwässerte bis ganz und gar ausgewaschene moralische Grundsätze inklusive. Somit steht «Altes Geld» als leuchtendes Beispiel für unverbrauchte Themen, die die eingerostete deutsche Serienlandschaft in ihrem Krimiwahn in den vergangenen Jahren nicht mit Handschuhen angefasst hätte. Dysfunktionale Familien kennzeichnen insbesondere im Comedy-Bereich zwar einen der liebsten Themenanker, an die gefühlskalte Verkommenheit und den tiefschwarzen Humor in «Altes Geld» müssen sich aber selbst serienerfahrene Zuschauer zunächst gewöhnen.

„Es ist ein Schauermärchen über eine Welt, die völlig ohne Liebe auskommt“, sagte Schalko selbst über den zweiten Teil der angekündigten Serien-Trilogie. Gleichzeitig konterkarieren die beruhigenden Klaviertöne der Klassik-Idole, mit denen Patriarch Rauchensteiner so gerne spazieren fährt, den Wahnwitz einer Serie, die auch vor Themen wie Inzest, dem Vermächtnis des Nationalsozialismus, Sexsucht, Suizidalität und eiskalten Mordkomplotten nicht zurückschreckt. Dass die Verbrechereien der derart wohlhabenden Familiendynastie nicht justizial zum Verhängnis werden, wird dabei wie selbstverständlich durchgewunken und lässt sich als stiller Kommentar auf die Vetternwirtschaft Österreichs lesen, ohne das «Altes Geld» damit eine weltverbessernde Sozialkritik üben will.

«Altes Geld» - Sendetermine

One zeigt «Altes Geld» ab dem 29. März immer mittwochs ab 21.50 Uhr in Doppelfolgen. Jeweils donnerstags strahlt außerdem RTL Crime derzeit eine Episode ab 21.05 Uhr im Pay-TV aus. Sowohl «Altes Geld» als auch «Braunschlag» stehen außerdem auf Netflix vollständig zum Abruf bereit.
David Schalko zeichnet ein extravagantes Bild einer Lebenswirklichkeit, die sich Normalverdiener in ihren kühnsten Träumen nicht vorzustellen wagen, die nach Ansicht der bitterbösen Komödie letztlich aber doch irgendwie glaubhaft wirkt. Als Familiensaga beschreibt man Serien wie «Altes Geld» gerne in so wenigen Worten wie möglich – eine Formulierung, die häufig viel zu kurz greift. Bezieht man sich auf die klassische literarische Definition dahinter, wonach es sich bei der Saga um eine Erzählung handelt, in der unterschiedlichste Stoffe mit Hilfe verschiedener Figuren in einer Geschichte verarbeitet werden, scheint es dieses eine Wort hierbei jedoch auf den Punkt zu bringen. Jeder Charakter in «Altes Geld» erfüllt eine Funktion, nahezu alle tragen eine Maske, denn das wahre Gesicht erzeugt angesichts der sich offenbarenden Fratze wahre Abgründe beim Beobachter. Für den Fernsehzuschauer bedeutet das jedoch knapp 375 Minuten Unterhaltung mit moralischem Ekelfaktor, die er aufgrund ihres Risikoreichtums in deutschen Serien nie erfahren würde. Oder wie es eine der Figuren ausdrücken würde: „Das ist der Vorteil in dieser Familie: Keiner geniert sich, ein Arschloch zu sein.“
28.03.2017 15:06 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/92113