«The Big Bang Theory» am Nachmittag: Warum schauen wir’s?

ProSiebens Allzweckwaffe holt nicht nur in neuen Folgen großartige Zahlen, sondern auch mit Reruns am Nachmittag. Was könnte medienpsychologisch hinter dem Erfolg der Nerds am Tage stecken?

Zur Medienpsychologie

Die Medienpsychologie ist ein Zweig der Psychologie, der sich in der Forschung mit der Beschreibung, Erklärung und Prognose des Erlebens und Verhaltens, das mit Medien verknüpft ist, beschäftigt. Kern der Medienpsychologie als psychologische Teildisziplin, ist die Untersuchung des Handelns, des Denkens und des Fühlens im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien.
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Mit reichlich Häme begleiteten anspruchsvolle Fernsehzuschauer in den vergangenen Jahren ProSiebens Sendestrategie im Rahmen seines Serienhits «The Big Bang Theory». Neue Folgen der Warner Bros.-Produktion sorgen am Montagabend für ProSieben bereits seit Jahren für Traumquoten, längst setzt der Unterföhringer Sender Sheldon und Co. jedoch auch zu anderen Gelegenheiten ein, schließlich muss der Privatsender nach Sendung neuer Episoden regelmäßig warten, bis frische Ware nachkommt. So baute ProSieben zuletzt jeweils am Montag- und Dienstagabend in Mehrfachprogrammierungen auf seine Nerds sowie montags bis samstags am Nachmittag. Vom «Big Bang Theory»-Overkill war in den vergangenen Jahren schnell die Rede, als ProSieben vorgeworfen wurde, zu einer bloßen Abspielstation der US-Serie zu verkommen.

Warum ProSieben beispielweise auch in Konkurrenz zum übermächtigen Dschungel-Camp oder als Ersatz für die sich häufenden Flops im Serienbereich die Dosis der Sitcom erhöht, wird schnell klar, wenn man auf die Einschaltquoten des Formats blickt. Seit 2014 stellt «The Big Bang Theory» die beliebteste Serie der werberelevanten Zielgruppe im deutschen Fernsehen dar, auch in den USA nimmt die CBS-Serie mit knapp 20 Millionen Zuschauer pro Folge die Spitzenposition ein, was CBS zuletzt dazu veranlasste ein Spin-Off zur Vorgeschichte von Protagonist Sheldon Cooper zu bestellen.


«The Big Bang Theory»: Der wundersame Erfolg von Wiederholungen am Nachmittag


Eines ist nicht von der Hand zu weisen: «The Big Bang Theory» scheint einen Nerv getroffen zu haben und inhaltlich ungemein viele Zuschauer anzusprechen. So erklären sich die herausragenden Werte der Erstausstrahlungen am Abend. Wiederholungen der Nerd-Sitcom rangieren bei ProSieben abends jedoch meist nur leicht über Senderschnitt, während das Interesse an der Comedy-Serie am werktäglichen Nachmittag bei ProSieben quotentechnisch ungleich höher ist. Vier Folgen zeigt ProSieben von seiner Lieblingsserie mittlerweile am Nachmittag – heraus springen trotz häufiger Redundanz aufgrund schnell wiederkehrender Folgen derart konstante Zahlen von bis zu 17 Prozent beim jungen Publikum, dass Konkurrenzsender nur neidisch auf die Nerds blicken können. Dies könnte daran liegen, dass «The Big Bang Theory» nicht einfach nur sehenswert für viele Zuschauer ist, sondern auch aus einer medienpsychologischen Betrachtungsweise eine ganz bestimmte Funktion für einige Fernsehende übernimmt.

In der Regel setzt ProSieben zwischen 15.15 Uhr und 17 Uhr am werktäglichen Nachmittag auf vier Folgen «The Big Bang Theory». Dieser Umstand schränkt die Zuschauergruppen ein, die sich dem Format zu dieser Uhrzeit widmen können. In Frage kommen Hausfrauen, halbtags Arbeitende, Arbeitslose und – die Kernzielgruppe, um die sich diese Erörterung drehen soll – Schüler und Studenten, von denen obendrein ein überwältigender Großteil zur werberelevanten Altersgruppe zählt. Wieso fühlen sich also täglich prozentual so viele junge Menschen zur ProSieben-Sitcom hingezogen und nicht etwa zu den Konkurrenzprogrammen anderer jugendaffiner Privatsender?

Mood Management – Stimmungsaufhellung dank Medien?


Eine wichtige Erklärung könnte in einer von US-Forscher Dolf Zillmann im Jahr 1986 formulierten Theorie liegen, die die Medienpsychologie als „Mood Management“ beschreibt. Diese besagt, dass Menschen Medien nutzen, um ihre Stimmung ("mood") zu regulieren ("manage"), sie geht also davon aus, dass die Wahl von Medienangeboten bzw. medialer Unterhaltung von Emotionen bzw. von der Stimmungslage des Rezipienten beeinflusst wird. Daher seien Menschen darauf bedacht, in als unangenehm wahrgenommenen Geisteszuständen Medien zu konsumieren, die das größtmögliche Potenzial besitzen, diese Stimmung in einen als positiv wahrgenommenen Zustand umzukehren. Mediennutzer versuchen also, ihre Umgebung so zu gestalten, dass negative Zustände minimiert und positive Zustände maximiert werden.

Was ist operante Konditionierung?

Operante Konditionierung ist ein Paradigma der behavioristischen Lernpsychologie und betrifft das Erlernen von Reiz-Reaktions-Mustern (Stimulus-Response) aus ursprünglich spontanem Verhalten. Die Häufigkeit dieses Verhaltens wird durch angenehmen Konsequenzen nachhaltig erhöht oder durch unangenehme Konsequenzen verringert. In der Alltagssprache entspricht diese Theorie dem „Lernen durch Belohnung/Bestrafung“.
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Dieser Einfluss auf die Medienselektion geschehe nach Zillmann allerdings unbewusst, wobei dieser Vergleiche mit dem Prinzip der operanten Konditionierung zieht, die Skinner 1978 beschrieb (siehe Info-Box). Nach Zillmanns Theorie hinterlassen Medienselektionen - sowohl solche, die als positiv als auch solche, die als negativ wahrgenommen werden - Gedächtnisspuren, die die Wahrscheinlichkeit der erneuten Auswahl des gleichen Medienstimulus durch negative Bekräftigung verringern oder durch positive Bekräftigung erhöhen. Etliche Studien bestätigten die Theorie Zillmanns, besonders interessant gestalteten sich die Studienergebnisse in Bezug auf komödiantische Medieninhalte.

Zillmann und sein Kollege Bryant zeigten schon 1985, dass sich Personen in negativ empfundenen Stimmungen besonders oft Comedy-Formaten zuwandten, gestresste Probanden in einem Versuch von Anderson, Collins, Schmitt und Jacobvitz (1996) wählten ebenfalls vorwiegend komödiantische Inhalte. Die Forschung in diesem Bereich hat mittlerweile für verschiedenste Arten von Medienangeboten und verschiedenste situative Bedingungen nachgewiesen, dass situative Befindlichkeiten das Auswahlverfahren mitprägen.

Zurück zu «The Big Bang Theory»: Wohl ein Großteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird in den vergangenen Jahren zwangsläufig einmal mit der Comedy-Serie in Berührung gekommen sein, die nicht nur im Fernsehen über eine Art Omnipräsenz verfügt, sondern auch die Internet- und Popkultur dominiert. Wendet man diese Tatsache auf die Theorie des Mood Management ein, so würden Personen, die «The Big Bang Theory» bei der Ansicht als angenehm stimulierend empfanden, auch künftig in unangenehmen Zuständen unbewusst die Nerd-Sitcom auswählen, um ihre Stimmung zu verbessern.

«The Big Bang Theory» – der mediale Anti-Stress-Ball?


Dies träfe natürlich auch auf alle möglichen anderen Fernsehformate zu. Zum einen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen, deren Fernsehnutzung im Laufe der jüngeren Vergangenheit ohnehin massiv zugunsten von Streaming-Angeboten abnahm, schon einmal eine Episode «The Big Bang Theory» gesehen haben deutlich höher als beispielweise in Bezug auf Scripted Reality-Formate bei RTL oder Sat.1, die am Nachmittag zeitgleich laufen. Tatsächlich spielt die Uhrzeit hierbei jedoch eine wesentliche Rolle. Im Zeitraum zwischen 15.15 und 17 Uhr kehren etliche Schüler und Studenten werktäglich von Schule oder Universität zurück. Hinter ihnen liegen dann mindestens über Stunden aufrecht erhaltene Konzentration, allemal ein Geisteszustand, von dem es erstmal Abstand zu gewinnen gilt, und im schlimmsten Fall richtiger Stress.

Besonders interessant gestalten sich die Ergebnisse, die die Medienpsychologie zur Medienauswahl in Stresszuständen fand – ein eigenes Forschungsfeld, das unter dem Namen „Recovery-Forschung“, also Erholungs-Forschung, betrieben wird. Der noch junge Forschungsstrang brachte bereits einige Befunde hervor, die bewiesen, dass der Konsum von Unterhaltungsmedien zum Stressabbau führen können und gaben damit bereits erste Antworten auf die Frage, ob beispielsweise die feierabendliche Fernsehnutzung auf der Couch tatsächlich für Erholung sorgt.

Dezidierte Experimente in Bezug auf Fernsehserien und verschiedene Genres blieben bis heute noch weitestgehend aus, im Rahmen seiner Abschlussarbeit an der Universität Würzburg widmete sich der Autor dieses Artikels jedoch der Frage, ob «The Big Bang Theory» tatsächlich ein derartiges Erholungspotenzial besitzt. Zufällig ausgewählte Versuchsteilnehmer erhielten in einem Experiment Matheaufgaben, die sie unter Zeitdruck bewältigen sollten. So wurde das Stresslevel der Probanden erhöht, was durch einen ersten Fragebogen nach der Aufgabenbearbeitung bestätigt wurde.

Während eine Gruppe der Versuchsteilnehmer nach den Matheaufgaben die Pilotfolge von «The Big Bang Theory» ansah, verbrachte eine andere Gruppe die Zeit damit, auf einem Blatt Papier ihr Abschneiden beim vorangegangenen Mathe-Test einzuschätzen. Nachdem beide Gruppen später wieder auf einem Fragebogen ihr Stresslevel einstufen sollten, zeigte sich, dass die Sitcom-Zuschauer signifikant entspannter aus dem Versuch herausgingen. Das Experiment stellte damit nur einen der ersten Schritte in einem Forschungsfeld dar, dessen Erkundung in den kommenden Jahren einige hochinteressante Erkenntnisse zu den psychologischen Beweggründen unserer Seriennutzung geben könnte.

Ob unbewusste medienpsychologische Prozesse die Medienselektion maßgeblich beeinflussen, bleibt weiterhin kontrovers diskutiert. Dennoch können selbst Medienwissenschaftler dieser Tage immer noch nicht greifen, warum manche Formate größere Erfolge erfahren als andere und was unterhaltende Medieninhalte und ihre Wirkungen beim Zuschauer überhaupt ausmacht – der Fernsehnutzer bleibt vorerst eine ‚Black Box‘. Die große Popularität von «The Big Bang Theory», dem sich ein Großteil der jungen „Serien-Generation“ schon aussetzte, sowie das erwiesene Potenzial von Comedy-Formaten, unangenehme Geisteszustände wie Erschöpfung beispielsweise nach anstrengenden Schultagen umzukehren, scheinen «The Big Bang Theory» im deutschen Fernsehen am werktäglichen Nachmittag jedoch zumindest aus medienpsychologsicher Sicht einen Auswahlvorteil gegenüber Konkurrenzprogrammen zu verschaffen.
22.03.2017 14:16 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/91976