Europa League-Start, oder: Sport1 spielt auf Zeit

Der Europapokal-Auftakt bei Sport1 offenbarte viele gute Ansätze, zum Beispiel eine tolle Einbindung von Sport1.fm. In der aufgeblähten Programmdauer findet sich jedoch das große Manko. Ein Nachbericht.

Bereits Ende Juli zeichnete sich ab, welch großer Coup Sport1 mit dem Rechteerwerb für die Europa League-Saison gelang. Damals führte bereits der 1:0-Sieg von Borussia Dortmund im Play-Off-Spiel gegen Wolfsberg zu fantastischen 9,4 Prozent im Gesamtmarkt und zu mehr als zwei Millionen Interessierten vor den Empfängern. Das sind Werte, die beim Münchner Sender sonst nur der Doppelpass generiert. Allerdings stellten sie vielleicht nur einen Vorgeschmack dessen dar, was Sport1 in dieser neuen Europa League-Saison mit den beim deutschen Publikum sehr beliebten Teilnehmern wie Dortmund und dem FC Schalke 04 erwarten darf.

Zum ersten Spieltag der Gruppenphase im Europapokal wollte Sport1 den nächsten Schritt gehen. Der Donnerstagabend war ein Abend der Premieren. Der erste Protagonist, der bei der Übertragung neu auf der Bildfläche erschien, war das neue, eigens für den Europapokal hergerichtete, Studio in München. Auf den ersten Blick erinnerte dies von Größe, Farbgebung und Aufbau an das Europa League-Studio von kabel eins aus der Vorsaison. Auch hier dominierten warme Orange-Töne, die für eine gewisse Gemütlichkeit sorgten, während das helle und starke Gelb des Sport1-Senderlogos eher für Frische und Vitalität steht. Auch bei Sport1 füllte ein moderner, langer Moderationstisch große Teile des Raumes aus, davor wurde eine kleine Rampe angebracht.

Satte sechs Stunden, inklusive des Auftaktspiels des FC Schalke 04 gegen Nikosia, sendete Sport1 am Donnerstagabend über die Europa League. Dass den Experten und Moderatoren ein anstrengender Abend bevorstand, rührte nicht nur von der Sendezeit her, sondern auch vom (fehlenden) Studiointerieur. Die Moderatoren Oliver Schwesinger und Giovanni Zarrella, die ihren Platz am linken und rechten Ende des Studios einnahmen sowie die Experten Olaf Thon und Andreas Möller zwischen ihnen, mussten im Stehen ihre Ansichten und Informationen zum Besten geben. Abgesehen davon funktionierte das Zusammenspiel der Beteiligten recht reibungslos. Schwesinger wirkte zu Beginn der Übertragung noch etwas nervös, der erfahrene Moderator, der sich unter anderem bei «Bundesliga aktuell» und dem «Doppelpass» seine Sporen verdiente, führte danach jedoch, wie später Kommentator Markus Höhner auch, gewohnt souverän durch die Übertragung.

Zarrella übernahm als Co-Moderator eine ähnliche Aufgabe wie beispielsweise beim «Bitburger Fantalk». Der Sänger und Entertainer hielt die Zuschauer hin und wieder über die Ereignisse im bereits ab 19 Uhr laufenden Duell zwischen Borussia Dortmund und FK Krasnodar auf dem Laufenden, stellte die Aufstellungen der deutschen Teams vor und gab überdies den Mann für die Zahlen und harten Fakten. Schon bei der Ankündigung, dass Sport1 Zarrella für die Europa League engagiert habe, rieben sich einige Beobachter am eventuell mangelnden Sport-Bezug in der Vita Zarrellas. Dass der Italiener sehr wohl Fußballsachverstand besitzt, bewies er bereits in anderen Sport1-Formaten, in der ersten Europa League-Sendung waren jedoch ohnehin die zwei Experten für Prognosen und tiefgreifendere Analysen zuständig.

Am ersten Europa League-Spieltag gastierten Olaf Thon und Andreas Möller im Münchner Studio, die neben Fredi Bobic als Experten für diese Saison verpflichtet wurden. Ihr Engagement liegt nahe - Thon und Möller gewannen bereits den UEFA Cup, den Vorläufer der Europa League. Bobic stand immerhin schon einmal im Finale. Darüber finden sich in den Fußball-Sachverständigen Ex-Fußballer von Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 wieder, die beide in der Europa League antreten - Möller streifte sich sogar bereits das Trikot beider Mannschaften über. Zwischen Thon und Möller offenbarten sich jedoch schon früh in der Sendung sichtbare Diskrepanzen. Während Thon bereits öfter Sendungen von Sky oder Sport1 beehrte, stellt der Experten-Job für Möller eine weitestgehend neue Erfahrung dar.

So übernahm Thon den deutlich dominanteren Part der beiden und kam der Bezeichnung ‚Experte‘, aufgrund von tiefgreifendem Wissen zu Taktik, Aufstellung und Spielweise von Schalke oder Augsburg sowie durch einige Mutmaßungen zu noch offenen Fragen und eine klare Meinung über die Partien, eher nach als Möller. Letzterer wirkte im Vergleich dazu zuweilen etwas schüchtern, seine Aussagen zu wenig aussagekräftig bis phrasen-lastig. Eventuell lernt der ehemalige Spielmacher im weiteren Umgang mit der Kamera etwas dazu.

Hinter den Protagonisten im Studio wurden rechts und links je zwei große Bildschirme platziert, unter denen jeweils vier Symbole aufblinkten. Co-Moderator Giovanni Zarrella kam die Aufgabe zu, den Sinn dahinter zu erklären. Die Symbole stehen für die vier Sport1-Plattformen – TV, die Sport1-App, Sport1.fm sowie die Internet-Seite Sport1.de. Während der größere der beiden Bildschirme, der hinter Moderator Oliver Schwesinger angebracht wurde, Themen mit Fotomontagen grafisch untermalt oder zuvor geführte, kurze Interviewbeiträge mit Personen wie Klaas-Jan Huntelaar, Markus Weinzierl oder André Breitenreiter abspielt, wechselt der Bildschirm hinter Zarrella je zwischen den einzelnen Plattformen hin und her. Aufgrund der Größe des Bildschirms und dem Kamera-Fokus auf dem davorstehenden Zarrella blieb die technische Spielerei bis zum Einsatz von Sport1.fm jedoch weitestgehend wirkungslos.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Sport1.fm die Berichterstattung aufwertete, warum die lange Programmdauer den größten Kritikpunkt darstellt und wo Sport1 noch an ein paar Stellschrauben drehen könnte.

Die Einbindung des Sport-Radios kennzeichnet die große Stärke der Berichterstattung. Bei Toren und ansonsten etwa alle 20 Minuten schaltete das Studio zu der von Christoph Fetzer kommentierten Sport1-Berichterstattung im Hörfunk. Weniger der grüne Rasen als Hintergrund, vor dem Fetzer das Spiel begleitete, als vielmehr sein emotionaler und mitreißender Kommentar zeigten einmal mehr die Stärken der Sport1-Plattform. Die Entscheidung auf Sport1.fm zu setzen, wenn auf Live-Bilder von den anderen Partien der deutschen Teams verzichtet werden muss, ist für den Zuschauer ein toller Kompromiss, setzt Synergien zwischen den Plattformen frei und bewirbt sie zugleich bei einem größeren Publikum. Zur Krönung des Ganzen wurden Sport1-Zuschauer gegen 20.45 Uhr live Zeuge des Last-Minute-Siegtreffers der Dortmunder Elf. Gleichzeitig stellt der schnelle Wechsel zum Radiobeitrag bei Torerfolgen die Moderatoren und Experten aufgrund der raschen Unterbrechung aber auch vor kleinere Herausforderungen und sorgt für Unterbrechungen des Redeflusses.

Mehr von den kurzweiligen Wortbeiträgen aus Sport1.fm stünden der Fernseh-Übertragung gut zu Gesicht, bewahrheitete sich doch, was die meisten bereits im Vorfeld befürchteten: Die Sendedauer von sechs Stunden ist deutlich zu lang, die Versuche diese zu füllen teilweise misslungen. So besprach das vierköpfige Studio-Team zunächst 40 Minuten lang die generelle Ausgangssituation der drei deutschen Teams, wo beispielsweise die mittlerweile vollends und ausführlich aufgearbeitete Causa Julian Draxler thematisiert wurde, ohne dass die Meinungen der Protagonisten diesem Thema einen neuen interessanten Blickwinkel verliehen. Neben gelegentlichen (Interview-)Einspielern oder einer Wiederverwertung der «Bundesliga Aktuell»-Meldungen des Tages, wurde die Sendezeit beispielsweise auch mit musikalischen Neuinterpretationen ausgewählter Vereinshymnen der deutschen Europa League-Teilnehmer seitens Zarrella und seiner Band überbrückt, über deren Mehrwert sich sicher streiten lässt.

Insgesamt bemühte sich Sport1 die modernen Medien so gut es geht in die Sendung miteinzubinden. Hier und da blendete man am rechten unteren Bildschirmrand Twitter-Meldungen von Vereinen oder Spielern ein, zuweilen meldete sich sogar die aus dem Stadion berichtende Laura Wontorra auf diese Weise mit Kurznachrichten wie: „Horst Heldt bei mir. Grüße Laura.“ Bei diesem ansprechenden und gewitzten Einsatz moderner Technik könnte der Dialog zwischen Wontorra und Redaktion künftig noch reger sein, denn tatsächlich stieg Horst Heldt erst knapp acht Minuten später vor den Sport1-Kameras aus dem Mannschaftsbus. Schade auch, dass der Tochter des Sport1-Urgesteins Jörg so wenige Aufgaben zu Teil wurden. Die im Vergleich zu ihren Sky-Kolleginnen recht leger im T-Shirt gekleidete Moderatorin, sprühte in ihren drei kurzen Beiträgen vor Spielbeginn vor Energie und erbte zweifellos den Charme ihres Vaters. In der Halbzeit kam Wontorra aufgrund der ausgedehnten Werbeblöcke schließlich gar nicht zum Einsatz. Ihr Job beschränkte sich auch nach dem Spiel weitestgehend auf Stimmenfang.

Trotz der Technik-Verliebtheit der Übertragung wurde auch auf Video-Analysen bis auf einen kurzen Beitrag weitestgehend verzichtet. Der Einsatz selbiger ist mittlerweile das Steckenpferd von Sky. Unterdessen müssen die Sport1-Experten meist versuchen, ihre Gedankenzüge zu Taktik und Spielzügen allein durch Wörter zu verbildlichen. Dabei ist der Einsatz von Videoanalysen beim Münchner Free-TV-Sender doch durch die «Telekom Spieltaganalyse» gelernt und drängt sich für künftige Übertragung als zusätzliche Visualisierungshilfe auf.

Natürlich resultiert die Entscheidung die Europa League-Berichterstattung auf sechs Stunden auszudehnen auch aus der Überlegung, durch mehr Werbeblöcke in einem so attraktiven Programmumfeld mehr Geld einzunehmen. So ließ man sich bis zum Ende der Sendung Zeit, bis man endlich die Highlights des Dortmund-Spiels zeigte, um so natürlich möglichst viele Zuschauer lange vor den Empfängern zu halten. Diese Entscheidung erzeugt sicher Unmut bei vielen Fans. Statt sich in eine zu großen Teilen wenig ergiebige Fragerunde zu stürzen, hätte man in den Vorberichten auch den anderen Europa League-Partien abseits der deutschen Mannschaften mehr Zeit einräumen oder öfter aus Zypern senden können. Über Zwischenstände aus anderen Stadien informierte bloß ein Ticker am unteren Spielfeldrand, kaum mehr als ein Dutzend Silben aus dem Mund Giovanni Zarellas entfielen vor dem Schalke-Spiel auf die Begegnungen.

Die betont ruhigere Gesprächsatmosphäre des sportlichen Quartetts, die bei einer kürzeren Sendezeit sicherlich einwandfrei funktionieren würde, kam der langgestreckten Sendung ebenfalls nicht entgegen. Während beliebten Sport1-Formaten wie dem «Bitburger Fantalk» oder dem «Mobilat Fantalk» zurecht Stammtischcharakter attestiert wird, woraus launige Diskussionen entstehen, bestritt Sport1 die Europa League-Berichterstattung seriöser. Eventuell hätte man sich auf die Qualitäten der Sport1-Leuchttürme besinnen sollen, denn auf diese Weise geht meist auch eine größere Kurzweiligkeit einher, die allein den langen Vorlauf von zwei Stunden hätte kaschieren können. Man spürte, dass der betont gut gelaunte Oliver Schwesinger versuchte, die Runde manches Mal aufzulockern, indem er den Experten scherzhaft Bälle zuspielte. In den vorwiegend auf den Sport fokussierten Kollegen fand der Moderator jedoch selten einen Abnehmer.

In der ersten Sport1-Übertragrung der neuen Europa League-Saison fanden sich viele gute Ansätze, der Sportsender fand jedoch nicht die richtige Aufteilung zwischen Gesprächsrunden, Mazzen und Schalten ins Stadion. Schon jetzt wurden in den sozialen Medien Stimmen laut, dass die sechsstündige Berichterstattung zu aufgebläht sei. Dies muss man nicht ändern, kann man aber durch einen veränderten Fokus im Zusammenspiel der Sendungselemente verändern. Weitere Europapokal-Abende werden zeigen, ob Sport1 diese televisionäre Spielverlagerung gelingt.
18.09.2015 01:21 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/80848