Kino-Prequels – Der leichte Weg zum Kinofilm?

Kino-Experte Sidney Schering zeigt die geschichtliche Entwicklung der Prequels auf und erklärt, ob diese Fortsetzungen ein Glücksgriff für Hollywood sind.

Diesen Sommer blickte «X-Men: Erste Entscheidung» von Kritikern umfeiert auf die Formierung der legendären Mutanten-Heldengruppe. Mit dem von einer großen Werbekampagne zu «Planet der Affen: Prevolution» wird auch den letzten Ahnungslosen der Schlusstwist eines Sci-Fi-Klassikers gespoilert und im Oktober folgt das Prequel zu John Carpenters «Das Ding aus einer anderen Welt». Prequels, also in die Vergangenheit blickende Fortsetzungen, sind dieses Jahr stark im Kinoprogramm vertreten, und dass obwohl viele Leute aufgrund der «Star Wars»-Prequels eher geringschätzige Meinungen zu diesen filmischen Vorgeschichten hegen.

Quotenmeter.de blickt zurück: Woher stammt das Konzept, wie erfolgreich sind Prequels eigentlich und welche Möglichkeiten bieten sie den Filmemachern?

Das Konzept und sein Ursprung
Wie bereits bei vielen anderen narrativen Konzepten oder Stilmitteln, lässt sich auch der Ursprung des Prequels bis auf das antike Griechenland zurückführen. Die den trojanischen Krieg schildernden Ereignisse aus Homers «Ilias» und «Odyssee» erhielten mit der epischen Dichtung «Kypria» eine Vorgeschichte. In der Literatur sind Prequels vor allem in der Abenteuer- und Fantasyliteratur aufzufinden. Die «Chroniken von Narnia» des Fantasyautors C.S. Lewis begannen aus inhaltlich-chronologischer Sicht mit dem zweiten Band («Der König von Narnia»), auf den der vierte bis sechste folgten, bevor im Band «Der Ritt nach Narnia» eine Geschichte folgte, die während des letzten Kapitels von «Der König von Narnia» spielt. Daraufhin erzählte Lewis in «Das Wunder von Narnia» von der Genese Narnias und wie die Hauptantagonistin der Reihe zu dem wurde, was sie den Rest der Reihe über darstellte. Somit bediente sich Lewis als einer der ersten Autoren des möglicherweise meistgenutzten Prequel-Konzepts. Das siebte und letzte Buch der «Narnia»-Reihe stellte dann auch den inhaltlichen Abschluss dar. Ähnlich gestaltete es sich auch mit der Romanreihe rund um Horatio Hornblower. Die Romanreihe über einen britischen Marineoffizier zu Zeiten Napoleons erhielt dreizehn Jahre nach dem Erstlingswerk «Der Kapitän» ein Prequel, in dem Autor C. S. Forester den Beginn der Seefahrerkarriere seines Helden nachzeichnete.

Auf der Theaterbühne war die Stückeschreiberin Lillian Hellmann eine der ersten Autoren, die Prequels schrieb. Ihr Drama «The Little Foxes» aus dem Jahre 1939 erzählte eine tragische Geschichte über eine Fabrikantenfamilie aus den Südstaaten der USA. 1946 folgte die zwanzig Jahre früher spielende, melodramatischere Vorgeschichte mit «Another Part of the Forest». Beide Stücke wurden auch fürs Kino adaptiert, so dass «Another Part of the Forest» zu einem der frühsten Prequels wurde.

1966 brachte Sergio Leone mit «Zwei glorreiche Halunken» das Finale seiner «Dollar»-Trilogie heraus. Dieses Finale spielt allerdings vor «Für eine Handvoll Dollar» und «Für eine Handvoll Dollar mehr». Anders als die meisten aktuellen Prequels wird dieser Fakt jedoch nur sehr subtil angeschnitten, wenngleich mit umso größerem Effekt für die Vorgängerfilme, da durch «Zwei glorreiche Halunken» die Charakterisierung des Antiheldens der Spaghettiwestern-Saga an Tiefe gewinnt.

Mit dem Prequel aus einer Ecke fliehen
Das Prequel, wie es der heutige Kinogänger kennt, wurde von den aus der New-Hollywood-Bewegung stammenden Regisseuren Francis Ford Coppola, George Lucas und Steven Spielberg geprägt. Coppolas «Der Pate - Teil II» setzte 1947 dort an, wo das Original aufhörte und durchsetzte diese Geschichte zugleich mit einem Rückblick, wie sich ein junger Vito Corleone in der Welt des organisierten Verbrechens hocharbeitet. Ironischerweise noch sehr zur Kritik von niemand geringerem als George Lucas. Dieser taufte diesen Kunstgriff kurzerhand Prequel und verwendete ihn 1984 gemeinsam mit Spielberg intensiv während der PR-Tour zu «Indiana Jones und der Tempel des Todes».

Diesen siedelten Lucas und Spielberg unter anderem vor den Ereignissen von «Jäger des verlorenen Schatzes» an, weil sie sowohl Indiana Jones’ Charakterentwicklung aus dem Vorgänger ignorieren wollten. Eine löbliche Entscheidung, da sie zynische Dialoge ermöglichte und dennoch logisch blieb. In vielen Fortsetzungen wird die Lektion des Vorgängerfilms ignoriert, ohne eine solche Erklärung parat zu haben. So griffen Spielberg und Lucas zwar dem Ende von «Indiana Jones und der Tempel des Todes» vorweg, als dass ihrem heldenhafter Archäologe wohl kaum etwas wirklich übles zustoßen kann, allerdings wurde mit dem kindlichen Sidekick Short Round eine andere Figur geschaffen, um die sich der Zuschauer sorgen soll. Was nur bedingt gelang, da der Knirps nicht gerade zu den beliebtesten Randfiguren der Blockbuster-Geschichte gehört.

Somit machten Spielberg und Lucas, sicherlich ungewollt, Prequels als Möglichkeit populär, aus einem vorherigen (nicht glaubwürdig fortsetzbaren) Erfolg weiter Kapital zu schlagen. Erfunden haben sie ihn jedoch nicht: Der mit einem legendären Ende gesegnete Western-Erfolg «Zwei Banditen» von Anno 1969 erhielt zehn Jahre später ein Prequel mit jüngeren Versionen seiner Helden. Dieses wurde von Kritikern verrissen und Kinogängern ignoriert; ganz anders als «Indiana Jones und der Tempel des Todes». Seither wird in langlebigen Filmreihen gerne die Uhr zurückgedreht, wenn eine Fortsetzung durch Storyereignisse wie aufgelöste Konflikte, gebrochene Flüche oder gestorbene Helden so hanebüchene Züge annehmen müsste, dass sie kaum jemand akzeptieren würde. Zu solchen, stellenweise herbe Logikbrüche provozierenden, Prequels zählen «Eiskalte Engel 2», «Tremor 4 - Wie alles begann» oder «Scorpion King - Aufstieg eines Kriegers», die alle bezeichnenderweise auf Video erschienen. Im Kino geht man seltener diesen Weg. Nennenswerte Ausnahmen sind «Fast & Furious» sowie «Fast & Furious Five», die beide vor dem dritten Teil der Reihe spielen müssen, da in ihnen das Schicksal einer der Figuren noch nicht besiegelt ist.

Kino-Experte Sidney Schering zeigt die geschichte Entwicklung der Prequels auf und erklärt, ob diese Fortsetzungen ein Glücksgriff für Hollywood sind.

Der Aufstieg des Bösen
Sicherlich ein wenig von «Der Pate - Teil II» inspiriert, verfasste Joseph Stefano, der Autor des Hitchcock-Klassikers «Psycho» von 1959 das Drehbuch zu einer Fernsehfortsetzung mit dem gealterten Anthony Perkins in seiner Paraderolle als Norman Bates. Der 1990 erstmals ausgestrahlte «Psycho IV - The Beginning» fungierte zugleich als Prequel: Bates ruft in einer Seelsorge-Radiosendung an, wo er der Moderatorin von seiner (dem Zuschauer in Rückblenden gezeigten) Kindheit und seinem Ödipuskomplex erzählt. Drehbuchautor Stefano ignorierte aus zutiefst persönlicher Abneigung die in «Psycho II & III» etablierte Kontinuität, was bei den professionellen Kritikern zwiegespaltene Reaktionen hervorrief – ein Problem, dem sich Prequels sehr häufig stellen müssen.

«Psycho IV - The Beginning» markierte den Beginn einer ganzen Reihe von Horror-Prequels, die von Fans allesamt sehr schlecht aufgenommen wurden. Ob der von Michael Bay produzierte und in Deutschland stark gekürzte «Texas Chainsaw Massacre: The Beginning», die eine faszinierende Produktionsgeschichte teilenden «Der Exorzist»-Prequels «Dominion: Exorzist – Der Anfang des Bösen» und «Exorzist: Der Anfang», «Ginger Snaps III: Der Anfang» oder «Hannibal Rising», sie alle fielen bei Kritikern und dem Publikum durch. Einzig der japanische Horrorfilm «Ring 0» erhielt wegen seiner dichten Atmosphäre im Vergleich zu anderen Horror-Prequels richtig positive Reaktionen.

Die praktisch universell verhassten Horror-Prequels werden durch mehrere Kritikpunkte vereint. Zunächst sind sie zumeist nachgeschobene Fortführungen ausgetretener Filmreihen und leiden dadurch an den selben Schwächen, wie aus kommerziellem Kalkül gedrehte Fortsetzungen: Es fehlt an künstlerischer Ambition, an dem nötigen Budget und zumeist an den Talenten, die diese Reihe erst groß gemacht haben. Dem ist jedoch noch nicht genug, und so müssen diese Prequels ein weiteres Päckchen tragen: Sie graben in der Mythologie ihrer beliebten Filmreihe, und von den viel zu schnell verbrochenen Angriffen auf die Kontinuität machen sie sich dadurch schnell eines anderen Verbrechens schuldig. Sie nehmen dem Bösen, sei es ein blutdurstiger Killer oder ein schwer erklärlicher Fluch, den Schrecken. Was nicht nur in einen schwachen Film resultiert, sondern im übelsten Fall auch die zuvor verwirklichten Produktionen in einem schlechteren Licht dastehen lässt.

Dass trotz der regelmäßigen Fanschelte immer wieder Prequels im Horror-Sektor entstehen, ist schnell erklärt. Einerseits sind sie viele von ihnen natürlich nichts weiteres als schnell und mühelos verdientes Geld. Die grobe Hintergrundgeschichte ist eventuell schon vorgegeben, weshalb das Drehbuch schnell geschrieben ist, und durch den Zeitsprung zurück hat man auch eine perfekte Ausrede, weshalb man jemanden wie Anthony Hopkins durch wesentlich jüngere und günstigere Darsteller ersetzt. Aber man muss nicht völlig in die zynische, doch häufig leider auch wahre, Ecke der reinsten Kommerzgier drängen, um Beweggründe für Prequels zu finden. So üben die Schurken in Horrorfilmen und Thrillern oft die größte Faszination auf die Zuschauer aus. Es klingt viel versprechend, diesen Figuren einen ganzen Film zu widmen und ihre erschreckende Vergangenheit auszuleuchten. Manche Filmemacher streben damit vielleicht sogar an, diesen schurkischen Figuren etwas Menschlichkeit zu verleihen. Nur wirkt diese Schöpfung neuer Charaktertiefe viel häufiger gezwungen, als natürlich. Was Sergio Leone in «Zwei glorreiche Halunken» in einem eigenständigen Film en passant vollbrachte, ist in den meisten Prequels der alleinige Dreh- und Angelpunkt. Das ist nicht nur forciert, sondern schreckt auch unwissende Zuschauer ab.

Kino-Experte Sidney Schering zeigt die geschichte Entwicklung der Prequels auf und erklärt, ob diese Fortsetzungen ein Glücksgriff für Hollywood sind.

Das Prequel als Blockbuster
Selbstverständlich muss in einem Rückblick auf Prequels auch das Augenmerk auf die «Star Wars»-Prequels gelenkt werden. Und obwohl sie gewiss nicht diesem Genre angehören, so passen sie durchaus bis zu einem gewissen Grade an die zuvor angeschnittenen Horrorfilmen. Nach «Psycho IV - The Beginning», aber vor dem großen Horror-Prequel-Boom auf die Filmwelt losgelassen, erzählen auch «Star Wars: Episode I - III» vom Werdegang eines berühmt-berüchtigten Bösewichts.

«Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung» nahm im Sommer 1999 über 920 Millionen Dollar ein, die weiteren Prequel-Episoden kamen auf ca. 650 Millionen sowie auf ca. 850 Millionen Dollar. Der kommerzielle Erfolg reflektiert nicht im geringsten die polarisierende Natur dieser drei Prequels, über die bis heute von «Star Wars»-Fans und passionierten Filmliebhabern hitzig diskutiert wird. Gegner der Prequel-Trilogie bringen vor allem jene Kritikpunkte an, die zuvor besagte Horror-Prequels befallen: Es gibt eklatante Logikprobleme (zu den harmlosesten gehört, dass sich in den Prequels Figuren begegnen, die sich in der Original-Trilogie nicht zu kennen scheinen), durch den längst bekannten Handlungsverlauf fehle jegliche Spannung und sowohl die Figur des Darth Vader, als auch die gesamte Jedi-Mythologie würden eingerissen. Jedoch stehen die «Star Wars»-Prequels handwerklich weit über den günstig runtergedrehten Horror-Prequels und ganz gleich, was man über sie denken mag, man merkt diesen bunten Filmen an, dass George Lucas mit Passion an ihnen arbeitete.

Möglicherweise war es tatsächlich der stellenweise wahrhaft verbitterte Fanhass, der Hollywood davon zurückschrecken ließ, sehr zeitnah an die «Star Wars»-Prequels mit einem weiteren Blick zurück in die Vergangenheit eines bereits etablierten und wertvollen Blockbuster-Franchises zu wagen. Oder die großen Studios waren zu sehr mit Remakes, Reboots, Fortsetzungen und Comicverfilmungen beschäftigt. Jedenfalls gingen nach «Star Wars: Episode III - Die Rache der Sith» vier Jahre ins Land, bis 2009 mit «X-Men Origins: Wolverine» ein ansatzweise vergleichbar großes Prequel auf die Kinoleinwand kam. Wie bei «Star Wars» stand 20th Century Fox hinter dem Projekt, erneut konnte ein kommerzieller Erfolg gefeiert werden (373 Mio. Dollar weltweit) und ein weiteres Mal waren die Kritiken durchwachsen.

2011 könnte tatsächlich das Durchbruchsjahr für Prequels werden. «X-Men: Erste Entscheidung» berücksichtigte die Kritikpunkte am letzten «X-Men»-Prequel und erhielt konsequent bessere Rezensionen sowie euphorischere Fan-Reaktionen. Die Kinoeinnahmen liegen im Bereich des Erwarteten und in den USA überraschte vergangenes Wochenende «Planet der Affen: Prevolution» sowohl mit sensationellem Presse-Echo, als auch mit einem äußerst starken Startwochenende von rund 55 Millionen Dollar. Diese beiden Filme sind zwar deutlich offensichtlicher als Prequels angelegt, als der vielfach zitierte Leone-Kultwestern, aber sie funktionieren auch als eigenständige Werke, die nicht nur bekanntes nacherzählen, sondern neues bieten. Selbst wenn es dadurch kleinere Kontinuitätsprobleme gibt, so sind diese für Fans dieser Reihen leichter zu schlucken, als George Lucas’ Revisionen des «Star Wars»-Kosmos.

Was bedeutet dies für die Zukunft? Es ist wohl nahe liegend, dass Prequels niemals in solchen Massen erscheinen werden, wie normale Fortsetzungen. Dafür bieten sich schlicht viel zu wenig Stoffe an, allein schon, weil viele Action- und Superheldenfilme bereits im ersten Teil die Entstehungsgeschichte ihrer Kernfiguren erzählen, wodurch ein Prequel überflüssig wird. Allerdings besteht zu hoffen, dass sich künftige Prequels stärker an den diesjährigen Erfolgen orientieren. Hollywood mag ja geldgierig sein, aber nicht völlig lernresistent. Comicverfilmungen sind ja auch längst nicht mehr der Schund, den sie mal darstellten. Und wenn das Publikum aufhört, die ganzen Schund-Prequels zu kaufen, lässt sich der Wunsch nach brauchbaren Prequels umso deutlicher vermitteln.
08.08.2011 10:57 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/51289