Popcorn und filmische Richtersprüche

Unser Kinokolumnist ist von den jüngsten "Streitfragen" aus der Welt des Films genervt und spricht daher endgültige, unumstößliche Urteile.

Euer Ehren, Disney macht Arielle, die Meerjungfrau zu einer Schwarzen. Dürfen die das?
Ja. Das nennt sich künstlerische Freiheit. Nächste Frage!

Aber: Arielle ist doch Dänin!
Nein, sie wurde bloß von einem Dänen erfunden. Und selbst wenn sie Dänin wäre, so könnte sie dessen ungeachtet schwarz sein. Ganz davon abgesehen, dass man eine dänische Figur auch einfach uminterpretieren könnte. Ein Konzern, der in «Doctor Strange» einen alten Mann aus dem Himalaya-Gebirge als Frau mit keltischen Wurzeln uminterpretieren kann, kann auch eine dänische Meerjungfrau sonst wo hin packen.

Aber im alten Zeichentrickfilm war sie weiß mit roten Haaren! Das zu ändern ist inakkurat.
Und in alten Märchenbuchillustrationen war sie zumeist blond, zudem ist sie am Ende gestorben. Und vor ihrem Tod kam sie niemals in den Genuss von Calypsomusik. Disney hat all das geändert, das nennt sich kreative Freiheit, und damit hatten Sie bisher offensichtlich kein Problem. Jetzt ändert Disney halt wieder was. Wer das nicht sehen will, kann sich ja noch immer eine der unzähligen anderen Meerjungfrau-Produktionen anschauen. Das Gericht hat gesprochen, ich haue nun mit meinem Hammer genervt auf den Tisch. Nächster Fall??!

Euer Ehren: Haben wir nun den Beweis, dass DC-Fans aggressive Monster sind? Auf der Comic Con wurde der künftige Batman-Regisseur Matt Reeves beschimpft!
Das ist Unsinn: Wie zahllose Comic-Con-Berichterstattungen festgehalten haben, war das eine ironische Gageinlage, initiiert von Komponist Michael Giacchino, der mit Reeves befreundet ist. Wer das in seiner Berichterstattung nur in Halbsätzen oder gar nicht erwähnt hat, will nur verzweifelt seine Klicks in die Höhe treiben! Nächster Fall!

Euer Ehren, sind Marvel-Fans nicht dumm, wie die nun auf die Comic-Con-Ankündigungen abgehen? Die Bestätigung neuer Marvel-Filme ist doch ungefähr so unerwartet wie "Ein neuer Tag, eine neue «Tagesschau» um 20 Uhr im Ersten"?
Die Marvel-Fans feiern nicht, dass überraschenderweise neue Marvel-Filme kommen, sondern freuen sich darüber, nun zu erfahren, was als nächstes kommt. Das lässt sich mit der Auslosung der Fußball-WM-Partien vergleichen, die Sportverrückte doch jedes Mal jauchzen lässt. Niemand denkt da: "Oh, wie toll, es wird wieder Fußballspiele geben!" Das überrascht keine Seele. Der Gedanke hinter der Diskussion ist: "Oh mein Gott, Deutschland wird gegen Südkorea antreten!" oder sowas. Aber es ist immer leicht, Leute dafür zu kritisieren, dass sie einer Sache entgegenblicken, die ihnen gefällt, die man selber nur halbherzig verfolgt, nicht wahr? Nächster Fall!

Wo wir bei Marvel sind, euer Ehren: In «Thor – Love and Thunder» wird Natalie Portman, eine Frau, zum Donnergott. Darf Marvel sich so an der nordischen Mythologie vergreifen?
Junge, wenn es dir egal war, dass eine nordische Gottheit in der Marvel-Filmwelt mit einem selbstverliebten Milliardär, einem Veteranen des Zweiten Weltkrieges, einem grünen Wutmonster, einem sarkastischen Meisterschützen und einer rothaarigen Geheimagentin gegen den Gott des Schabernacks gekämpft hat … Wenn es dir egal war, dass der nordische Gott des Donners sich in eine Astrophysikerin verliebt hat, sie mit nach Hause gebracht hat, sein Zuhause wegen ihr verließ, sich von ihr getrennt hat, und dann auf einem Müllplaneten gegen einen Freund aus der Arbeit gekämpft hat, um daraufhin dann ein Auge zu verlieren, seinen Heimatplaneten zu verlieren, sich mit einem Waschbären zusammenzutun, einen wichtigen Kampf zu verlieren und sich Depressionspfunde anzufressen … Wenn dir all diese Fälle künstlerischer Freiheit egal waren, du nun aber Probleme damit hast, dass eine Frau seine Nachfolge antritt. Mein Junge, ich glaube, dir geht es nicht um Respekt vor der nordischen Mythologie, sondern darum, dass du ein Problem mit Frauen hast. Troll dich. Nächster Fall!

Euer Ehren, eine zukünftige «DuckTales»-Folge soll zeigen, weshalb Donald Duck so zornig ist. Nimmt ihm das nicht seinen Reiz?
Da liest jemand aber wenig Comics! Donald Duck wurde in den 85 Jahren seines Bestehens in Film, Fernsehen und Literatur so oft uminterpretiert, es gibt keine ultimative Wahrheit über ihn. Es gibt widersprüchliche Kindheitsgeschichten, Geburtsdaten und Stammbäume. Es gibt widersprüchliche Geschichten, die seine maritime Garderobenvorliebe erklären, verflixt noch eins! Wenn nun die «DuckTales»-Interpretation von Donald eine Hintergrundgeschichte über ihre Persönlichkeit bekommt, dann ist das halt so. Wem das missfällt, kann noch immer die zahlreichen anderen Donald-Universen genießen. Nächster Fall, und dann bitte wieder was mit Kino – das hier war eine Fernsehfrage!

Euer Ehren, mein bester Freund ist 35 Jahre alt und freut sich tatsächlich über einen Film, der wahrscheinlich eine FSK ab zwölf Jahren erhält. Wie treibe ich ihm diese kindischen Flausen aus?
Sie sind es, der kindische Flausen im Kopf hat! Das letzte Mal, als ich gehört habe, dass jemand sein Erwachsensein dadurch definiert hat, dass er Filme mit einer niedrigen FSK verachtet, war, als ich mit einem Elfjährigen gesprochen habe! Es gibt kaum ein Verhalten, das pubertärer ist, als sich etwas darauf einzubilden, dass man "nur noch Filme für Große" anschaut. Wollen Sie als nächstes angeben: "Mama, guck mal, ich bin erwachsen, ich höre meine Musik nun so laut wie ich will!"? Außerdem: Hören Sie mit diesem "Euer Ehren"-Unfug auf, das sagt man in Deutschland nicht! Ich löse die Sitzung nun auf und verhänge, dass alle, die meine Urteile missachten, mit heftigem Augenrollen bestraft werden. Guten Tag, guten Abend und gute Nacht!
22.07.2019 13:05 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/110889