Adrian Topol: 'Beim Vertrieb und in der Vermarktung fehlt es uns in Deutschland an Fantasie'

Einer der «Schneeflöckchen»-Produzenten spricht über die Vermarktung seines ungewöhnlichen Genreexperiments und klagt die Behäbigkeit deutscher Geldgeber an.

Vor rund einem Jahr lief «Schneeflöckchen» auf dem Fantasy Filmfest. Dort haben Sie noch mit großem Bedauern mitgeteilt: "Wir haben einen DVD-Verleih, aber keinen für's Kino." Was ist seither passiert, dass «Schneeflöckchen» nun doch ins Kino kommt?
Dafür müsste ich etwas ausholen: Das hat alles damit zu tun, wie der Film auf dem Fantasy Filmfest angekommen ist. Wir haben die Kinos bis zum Rand gefüllt, was in den letzten 20 Jahren bei keinem deutschen Beitrag vorgekommen ist. Und das hat uns enorm überrascht, denn so freundlich das Team vom Fantasy Filmfest auch war: Wir bekamen schon zu spüren, dass wir nicht gerade der größte Hoffnungsträger waren. Womit ich die Kollegen nicht in den Schmutz ziehen will – sind wir mal ehrlich: Gegenüber dem deutschen Film herrscht generell großes Misstrauen, vor allem, wenn du nicht in eine der zwei, drei Kerben schlägst, in die der deutsche Film sonst immer schlägt. Vom Publikum bekommst du dann immer zuerst zu hören: "Pah. Das kann nichts werden."

Wir kämpfen da gegen Windmühlen. Und wenn du mit so wenig Budget daherkommst wie wir, hast du es noch schwerer, dich zu behaupten. Sowohl beim Publikum als auch bei den Verleihern. Die haben Schiss, zu scheitern. Selbst dann, wenn sie deinen Film mögen. Wir bekamen von mehreren größeren Verleihern zu hören: "Wir finden euren Film total cool. Aber wir fürchten, dass es nicht funktionieren wird." Und ich finde, dass sich das beheben ließe, wenn man die richtigen Werkzeuge benutzen würde. Beim Vertrieb und in der Vermarktung fehlt es meiner Meinung nach in Deutschland an Fantasie. Die Promo für deutsche Filme läuft immer nach einem von zwei Schemata ab. Sie ist nie auf den Film selbst bezogen, und damit wird dem Publikum eingetrichtert, dass das ja alles dieselbe Schose ist.

Bora Dagtekin hat sehr viel, was das Marketing anging, selbst in die Hand genommen und dabei auf das starre, deutsche Verleih-Lehrbuch gepfiffen. Was für die Filme alles bei Facebook, Instagram und Co. gemacht wurde, das hat Bora initiiert, so weit ich weiß! Er hat diese originellen Ansätze reingebracht, diesen ganz eigenen Dreh, der dem Publikum gesagt hat: Das ist neu, das ist anders!
Adrian Topol über die Gründe hinter dem «Fack Ju Göhte»-Erfolg
Unter anderem deshalb waren ja die «Fack Ju Göhte»-Filme so erfolgreich – denke ich zumindest. Denn Bora Dagtekin hat sehr viel, was das Marketing anging, selbst in die Hand genommen und dabei auf das starre, deutsche Verleih-Lehrbuch gepfiffen. Was für die Filme alles bei Facebook, Instagram und Co. gemacht wurde, das hat Bora initiiert, so weit ich weiß! Er hat diese originellen Ansätze reingebracht, diesen ganz eigenen Dreh, der dem Publikum gesagt hat: Das ist neu, das ist anders! Und das ist es, was dem deutschen Film meiner Ansicht nach sonst fehlt: Innovationswillen. Und danach haben wir gesucht, nach einem Verleih, der «Schneeflöckchen» nicht nach dem alten Schema bewerben will. Nach dem Fantasy Filmfest haben wir dann auch kleinere Verleiher gefunden, die gesagt haben: "Komm, wir stecken 80.000 bis 100.000 Euro in die Promotion und suchen einen originellen Weg!"

Das war super von diesen Verleihern, mehr hätten die da nicht reinstecken können. Aber was uns Sorgen bereitet hat: Mit dem Budget würde der Film nur ein kleines Startwochenende haben, was wiederum bedeutet hätte, dass die Kinos uns sofort wieder rausschmeißen. Und die Leute, die von «Schneeflöckchen» gehört haben und ihn in Woche zwei sehen wollen, stehen dann da wie bestellt und nicht abgeholt. Filme, die sich über Mundpropaganda herumsprechen, gibt es in Deutschland, aber das ist dann klassische Arthouse-Ware, und … Ich bezweifle, dass wir in einem typischen Arthouse gut ankommen würden. Das heißt: Wir sind mit unserem Film in einer komischen Nische. Wir bräuchten die Geduld eines Arthouse-Kinos, doch die experimentierfreudigeren Teile des Multiplex-Publikums, die aber den US-Filmen eher den Vertrauensvorschuss geben als den deutschen Produktionen.

Daher haben wir letztlich gesagt: Komm, wenn schon, denn schon – lass uns dieses neue Modell von Demand.Film ausprobieren. Es muss sich natürlich noch zeigen, ob wir damit erfolgreicher laufen als mit einem normalen Start. Aber ich denke, wir haben das Potential dazu. Wir erhalten die zusätzliche Aufmerksamkeit dadurch, dass wir eine neuartige Sache unterstützen – und das zusätzlich zur größeren Aufmerksamkeit, die Kino dir automatisch bringt, im Vergleich zu einem reinen DVD-, Blu-ray- oder VOD-Start. Und Leute, die «Schneeflöckchen» sehen wollen, können unseren Film für den Tag buchen, der ihnen passt. Das finde ich cool.

Ein Kinostart war also ein Muss für euch?
Auf jeden Fall. Das sieht man doch immer wieder, dass Filme, die wenigstens irgendeine Form von Kinostart erhalten haben, auch auf anderen Vertriebswegen erfolgreicher ihr Publikum finden als Filme, die direkt auf DVD/Blu-ray rauskommen oder prompt bei Netflix landen. Natürlich gibt es ein paar Direct-to-Video-Titel, die Kult wurden, und von den zahllosen Netflix-Filmen ist eine kleine Handvoll auch so bekannt geworden.

Aber die Awareness ist schlicht größer, wenn du mal im Kino liefst. Daher sind wir Capelight so dankbar. Die haben uns schon früh finanziell unterstützt und die meinten auch: "Hey, wir können euch leider nur einen DVD- und Blu-ray-Start geben, aber wir stärken euch den Rücken, wenn ihr wen Anderes für's Kino sucht." Die Leute von Capelight werden uns daher auch ins Heimkino bringen. Noch wichtiger als die Awareness war uns aber das Kinoerlebnis an sich: Das Feeling, wenn ein Publikum den Film sieht und diese Stimmungsschwankungen durchmacht und spürbar auf ihn reagiert.

Genrefans können sich zusammentun, um sicherzustellen, den Film sehen zu können. Eine Gruppe von Freunden kann sich quasi eine Privatvorstellung organisieren – genauso gut kann eine Firma beschließen, das als Betriebsevent zu veranstalten und auf die Tickets drucken lassen: "Firma XY präsentiert Ihnen: «Schneeflöckchen»". [...] Das sind starke Möglichkeiten, und das für nur sechs oder sieben Euro pro Kopf.
Adrian Topol erklärt, was ihm am Demand.Film-Modell reizt
Stand auch das Modell einer gezielt limitierten, entsprechend beworbenen Auswertung als Event-Wochenende zur Debatte? Das hat ja zuletzt an Popularität gewonnen, wie es etwa «Hans Zimmer Live», «Rammstein: Paris» und «Berlin Falling» vorgeführt haben ...
Das stand tatsächlich zur Debatte. Wir als Produzenten haben darüber nachgedacht, dass wir mit Trommelwirbel für ein Wochenende in ausgewählten Kinos starten und dann sagen: "So, Leute, ab jetzt könnt ihr unseren Film buchen." Nicht zuletzt daher sind wir zu Demand.Film gegangen. Deren Schema ist sehr zugänglich! Du brauchst im Regelfall nur 50 Leute für deine geplante Vorführung, dann findet sie statt und der, der sie angefragt hat, bekommt auch noch eine Gewinnbeteiligung. Und wenn leider nicht genug Karten verkauft werden, passiert gar nichts, es gibt keine Sanktionen.

Das ist ein super flexibles System. Genrefans können sich zusammentun, um sicherzustellen, den Film sehen zu können. Eine Gruppe von Freunden kann sich quasi eine Privatvorstellung organisieren – genauso gut kann eine Firma beschließen, das als Betriebsevent zu veranstalten und auf die Tickets drucken lassen: "Firma XY präsentiert Ihnen: «Schneeflöckchen»". Zugegeben, das muss eine ungewöhnliche Firma sein, wenn sie unseren Film präsentieren will … (lacht) Aber: Das sind starke Möglichkeiten, und das für nur sechs oder sieben Euro pro Kopf. Im Kino bekommst du das heute kaum noch! Es ist halt ein Experiment, und für diesen Film ist das, denke ich, der richtige Weg. Und ich finde es toll, dass uns da CineStar von Anfang an unterstützt. Denn der Vorschlag, mit Demand.Film zu arbeiten, kam nämlich durch Cinestar-Geschäftsführer Oliver Fock. CineStar hat uns in deren Sneaks gebracht und somit lief «Schneeflöckchen» schon vor Kinostart in über 30 Kinos und die Resonanz war überwältigend. Das gibt Kraft und Hoffnung!

«Schneeflöckchen» hat durch das Fantasy Filmfest natürlich den Vorteil, in einem gewissen Filmfankreis bereits bekannt zu sein. Der Vorabhype sollte es leichter machen, Leute dafür zu mobilisieren, diesen ungewöhnlichen Weg der Kinoplanung einzuschlagen. Für Filme ohne diese Vorabplattform könnte ich mir das Modell hierzulande problematischer vorstellen …
Da stimme ich vollkommen zu. Für uns Deutsche wird ein Trailer allein nicht reichen, um den Gedanken zu wecken: "Oh, das sieht interessant aus, ich beantrage eine Kinovorführung in meiner Nähe und mache dann Werbung dafür." Ganz gleich, wie leicht der Verleih dir das macht. Und wenn niemand eine Vorführung beantragt, kann niemand, der noch bequemer ist, sich einfach so eine Karte für eine Vorstellung in seiner Nähe buchen.

Wir sind hier anders gestrickt als in Australien oder in den USA. Für unsereins ist es eine Hürde, sich beim Verleih anzumelden und die Initiative zu ergreifen. Und ich fürchte, kommende deutsche Filme werden es mit diesem Modell besonders schwer haben. Demand.Film beruht auf einem Community-Gedanken, und wir haben einfach leider keine Community für den deutschen Film an sich. Ich bin aber gespannt. Ich hoffe so sehr, dass sich die Leute aufraffen, denn mit diesem Modell könnte sich ein neuer Markt innerhalb der hiesigen Kinolandschaft öffnen. Etwa für deutsche Filme aus den Genres Thriller, Horror, schwarzer Komödie und Action …

Ich denke, dass wir an der Filmförderung dringend was ändern müssen. Und es geht auch vielen anderen Filmemachern so. Die ist ja an sich eine gute Idee. Nur muss sie auch den Künstlern Freiheit geben. Denn so, wie sie aktuell das Geld verteilt, ist es eine bloße Wirtschaftsförderung, und nicht etwa eine Kulturförderung. Für mich sieht es so aus, als würden dieselben Firmen für dieselbe Art von Filmen dauernd den größten Anteil vom Förderungstopf bekommen.
Adrian Topol über die Filmförderung in Deutschland
Das Thema wiederholt sich seit einigen Jahren: Filmschaffende wollen so etwas machen, aber niemand lässt sie, weil es stets floppt. Irgendwer boxt sich durch, scheitert finanziell. Genre ist wieder tabu. Wiederholen, wiederholen …
Dieses Jahr ist bisher eine "halbe Ausnahme": Wir hatten unter anderem «Spielmacher», «Nur Gott kann mich richten», «Steig. Nicht. Aus!» und «Asphaltgorillas». Wenn ich mit Produzenten spreche, höre ich immer etwas von einer "Aufbruchstimmung", dem Willen, es einfach durchzuziehen. Und die Besucherzahlen … Tja, die sind noch immer ernüchternd.

Wir müssen einfach da dran bleiben! "Wir" haben ja Genre mehr oder weniger erfunden, hier kamen die Pioniere in dem Bereich her. Jedenfalls, bis dieser Mann mit Chaplin-Bart kam und alle verjagt oder niedergemetzelt hat. Und dann gab es in den 1970er-Jahren einen Pionier, Roland Klick, der versucht hat, das deutsche Genrekino wiederzubeleben. Aber das ist ein anderes Thema.

Und dann denke ich, dass wir an der Filmförderung dringend was ändern müssen. Und es geht auch vielen anderen Filmemachern so. Die ist ja an sich eine gute Idee. Nur muss sie auch den Künstlern Freiheit geben. Denn so, wie sie aktuell das Geld verteilt, ist es eine bloße Wirtschaftsförderung, und nicht etwa eine Kulturförderung. Für mich sieht es so aus, als würden dieselben Firmen für dieselbe Art von Filmen dauernd den größten Anteil vom Förderungstopf bekommen. Die Filmvielfalt profitiert davon wohl kaum, erst recht nicht die Welt des unkonventionellen Films. Und ich frage mich, welche Art von Wirtschaftsförderung das sein soll …

Beim jetzigen Fördersystem schaffen es [...] nur wenige Filme, ihr Geld zurückzuzahlen. Also ist meine Frage an die Förderung: "Wieso noch so vorsichtig?" Wenn eh viele Filme floppen, obwohl sie ja vermeintlich so sichere, massentaugliche Sachen waren – um nicht zu sagen glattgebügelte –, dann trau dich doch wenigstens was!
Adrian Topol
Was wäre ein klügeres Modell für die Filmförderung?
Mein Vorschlag wäre: Sie soll sich ganz klar in Wirtschafts- und Kulturförderung teilen. 50 Prozent des Geldes gehen dann in sichere Investments, bei denen auch die Sender mit im Boot sind. Die anderen 50 Prozent gehen in Experimente, bei denen die Sender nicht zwingend dabei sein müssen: Also Arthouse sowie andere Genresparten, wie etwa Horror und Thriller. Dadurch, dass die Fördersummen im Erfolgsfall zurückgezahlt werden, finanzieren die kommerziellen Projekte die mutigeren. Und die Filmförderung sollte sich dann auch wirklich auf Experimente einlassen, den Leuten erlauben, was auszuprobieren, sich auszutoben und vielleicht auch mal Scheiße zu bauen. So würde die Finanzierung solcher Filme wie «Das finstere Tal», «Die Vierhändige», «Berlin Falling», «Wild» oder «Der Nachtmahr» erleichtert, die aus deutscher Sicht ja untypisch sind.

Beim jetzigen Fördersystem schaffen es ja auch nur wenige Filme, ihr Geld zurückzuzahlen. Also ist meine Frage an die Förderung: "Wieso noch so vorsichtig?" Wenn eh viele Filme floppen, obwohl sie ja vermeintlich so sichere, massentaugliche Sachen waren – um nicht zu sagen glattgebügelte –, dann trau dich doch wenigstens was! Lieber einen mutigen Flop als einen langweiligen! Somit würden es auch Filme wie «Schneeflöckchen» leichter haben, Finanzierung zu erhalten.

Vielen Dank für das Gespräch.

«Schneeflöckchen» kann derzeit in viele deutsche Kinos bestellt werden.
28.09.2018 07:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/104082