Popcorn, Rollenwechsel und Kritiker-Grabenkämpfe

Gruppendenken ist blöd. Und dennoch verfällt unser Kolumnist in Gruppendenken. Denn manche Splittergruppen innerhalb seines Metiers nerven ihn. Seufz?

Dagi oder Bibi? Oder für die Älteren hier: Backstreet Boys oder Take That? Oder für die noch ältere Leserschaft: Rolling Stones oder Beatles? East Coast oder West Coast? Nintendo oder Sega? Weitere Beispiele bringen oder endlich zum Punkt kommen?

Grabenkämpfe über banale Dinge gehören zu den beliebtesten Zeitvertreiben, die wir Menschen so haben. Auch in der Welt der Filmkritik gibt es solche Mini-Konflikte. In meiner hoch heiligen Autorität, die ich habe, weil ich als einziger Filmkritiker eine Kinokolumne auf einem deutschen Medienportal führe, dessen Name mit einem 'Q' beginnt, fälle ich nun ultimative Urteile. Unwiderruflich.

Also, lasst die Kämpfe der Splittergruppen innerhalb der Filmkritik beginnen!

Durchhalten oder gehen?


Es gibt zwei Arten von Kritikerinnen und Kritikern. Sie alle werden dafür bezahlt, Filme vorab zu sichten, so dass Filmbegeisterte sich bereits einen Eindruck von ihnen verschaffen können, ohne eine Eintrittskarte lösen zu müssen. Doch die Einen von ihnen sagen sich: "Mir egal. Wenn mir der Film auf den Wecker geht, haue ich ab!" Und die Anderen sagen: "Das ist mein Job. Den ziehe ich durch. Ich bin das meinem Publikum schuldig, dass ich den gesamten Film reflektieren kann." Die Einen sind Drückeberger, die Anderen sind willig, bis zum bitteren Ende zu berichten – und gegebenenfalls Filmen die Chance zu geben, durch ein großartiges letztes Drittel den lahmen Anfang und Mittelteil wett zu machen. Einfache Frage: #TeamDurchhalten.

Klatschkaffee im Dunkeln oder Kinobesuch?


"Ja. Tach auch, Peter. Also, isch habe ja jetzt sowas von gar keenen Bock auf die dumme Scheiße. Was soll das denn sein, ein «Ant-Man»? Nee, also, wir haben doch schon «Spider-Man» und «Batman», wie viele Tiere wollen denn noch zu Männern werden? Ey, neee, also, das sieht ja schon bescheuert aus, guck dir das da vorne Mal an, Peter, das ist doch kein Kino! Also, nee, wenn Fassbinder das sehen würde, der bekäme ja einen Kratzanfall in seinen Augen. Oh, wo wir davon reden. Meine Frau, ne, die war gestern ja beim Augenarzt …" Ach, haltet doch die Schnauze. Wenn ihr euch keinen Kinofilm in Ruhe anschauen wollt, dann trefft euch in einem Café zum Plaudern und stört mich nicht bei meiner Arbeit! #TeamRuheGefälligst.

Mit der heißen Nadel gestrickt oder flexibel?


Die Presse bekommt manche Filme nur kurz vor ihrem Kinostart gezeigt. Manchmal, weil der Verleih so künstlich negative Rückmeldungen zurückdrängen möchte. Manchmal schlicht, weil der Film erst kurz vor Start fertig wird. So oder so ist das schlecht für Langplaner, wie etwa jene, die für Monatsmagazine arbeiten. Weil sie dann manche Filme nicht mehr unterbringen können. Andere Filme bekommen Kritikerinnen und Kritiker lange vor Kinostart gezeigt. Super für Langplaner. Super für jene, die vielleicht etwas länger über einen Film nachdenken wollen. Super für alle, die mal flexibel planen müssen – etwa, weil sie vorab schon wissen, dass in der Woche des Filmstarts viel los sein wird. Da kommt es gelegen, manche Filme schon weit im Voraus abarbeiten zu können. Und doch gibt es manche, die maulen.

"Watt soll denn der Scheiß!? In fünf Wochen startet der erst! Wie soll ich mir denn so lange merken, watt in dem Driss vorkommt?!", schimpfen sie. Und betteln die Verantwortlichen an, Filme künftig doch näher am Kinostart zu zeigen. Damit alle Anderen darunter leiden müssen, dass Peter, Paul und Otto ein schlechtes Gedächtnis haben und zudem unfähig sind, sich ihre Gedanken bereits kurz nach der Filmsichtung zu notieren und vielleicht schon mit größerem Vorlauf die Kritik zu verfassen. #TeamVorführungenMüssenNichtAufDemLetztenDrückerStattfindenNurWeilIchNichtMitdenke

Komme, wann wolle oder pünktlich sein?


Die Agenturen, die Pressevorführungen organisieren, senden an die Presse Einladungen, die eine Startzeit beinhalten. Und natürlich das Kino, in denen sie stattfinden. So weit, so naheliegend und banal. Sagen wir: 10. Dezember, 10 Uhr, Kino Lichtspielhaus in Kritikhausen – gezeigt wird «Popcorn und Rollenwechsel – Der Beispielfilm». Nun gibt es Kritikerinnen und Kritiker, die in der Nähe des Kinos leben und generell ein ruhiges Leben führen. Entweder, weil sie gar keine echten Kritikerinnen und Kritiker sind, sondern PV-Touristen. Oder weil sie noch zur alten, gut bezahlten Garde gehören, die nicht 28 Stunden am Tag, neun Tage die Woche Leistung vollbringen müssen, um zu überleben.

Und dann gibt es halt die Kritikerinnen und Kritiker, für die Zeit Geld ist. Weil sie eine längere Anfahrt zum Kino haben. Und/oder weil sie zur eben besagten, neuen Riege gehören, die mehr mit Versprechen als mit Geld bezahlt werden. So. Nun haben die Leute aus der erstgenannten Gruppe die Ruhe weg. Und wollen miteinander tratschen. So weit, so okay. Kann man ja nach dem Film. Oh, sie wollen es aber vor dem Film?! Und weil sie die Ruhe weg haben, kommen sie zur 10-Uhr-Vorführung erst um 10.05 Uhr oder gar um 10.10 Uhr?! Woraufhin sie sich erst einmal im Foyer akklimatisieren wollen?!?!? "Tja, deren Pech", denkt ihr. "Verpassen sie halt den Anfang!", ruft ihr gedanklich? Falsch. Weil die Agenturen und Verleiher Angst haben, die Gemütlichen zu verärgern, fangen 10-Uhr-Vorführungen halt … irgendwann an. Und die, denen die Zeit im Nacken sitzt? Die kommen pünktlich, weil es ja irgendwann zwischen 10 Uhr und 10.30 Uhr losgehen könnte, und müssen direkt nach Filmende oft davon spurten, weil die Verspätung sie aus dem Zeitplan gebracht hat. Gerechte Welt? Nicht im Filmjournalismus. #TeamPünktlichkeit. Denn wer Zeit hat, kann die ja auch nach dem Film in aller Ruhe totschlagen.

Notizen gegen keine Notizen


Die erste Gruppe nutzt die Waffe des Kritikertums, um sich durch den Wust an Eindrücken zu schlagen. Beobachtungen werden notiert, Zitate festgehalten, erste Theorien hin gekritzelt. Das formt die Kritik früher, kann aber ablenken. Die zweite Gruppe findet, dass es, um nachvollziehbar zu bleiben, diesen Moment braucht, in dem man den Film wie ein normales Publikumsmitglied schaut. Ohne den ablenkenden Notizblock, der eine unterbewusste Barriere schafft. Daher muss sie sich ihre Ansätze merken. Damit sind die Eindrücke unvermittelter, aber gedankliche Sprungbretter können eher untergehen. Jo. Geschmacks- und Typensache. Das sind einfach nur unterschiedliche Herangehensweisen. #TeamSchulterzucken
12.12.2018 15:11 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/105697