Whitewashing bei Animationsserien: Geht die Debatte zu weit?

Jüngst wurden Animationsserien kritisiert, weil sie weiße Sprecher für Rollen anderer ethnischer Herkunft besetzt hatten. Was es mit den Vorwürfen auf sich hat und was die Macher dazu sagen.

Was ist Whitewashing?

Unter Whitewashing versteht man in der Unterhaltungsindustrie eine Casting-Praxis, im Zuge derer weiße Darsteller für Rollen besetzt werden, die ursprünglich nicht für weiße Personen angelegt wurden. Dabei kann es sich um fiktive Charaktere aus Büchern (anderer Kulturkreise) handeln oder um nicht-weiße historische Persönlichkeiten. Von Kritikern wird diese Vorgehensweise als Form von Zensur und als unsensibel gegenüber anderen Kulturen und Völkern angesehen.
Nie war die US-Unterhaltungsindustrie politischer als in den vergangenen Jahren. Immer häufiger wurde Druck auf Versäumnisse von Film und Fernsehen ausgeübt, die diese aufzuholen hatten. Die derzeit auch in Deutschland brodelnde #Metoo-Bewegung, die sich gegen Sexismus und Ungleichberechtigungen gegenüber Frauen stellt, hatte ihren Ursprung in der Filmindustrie, doch sie kennzeichnet nur ein Beispiel der immer größer werdenden Kritik an der US-Traumfabrik in der jüngeren Vergangenheit. Schon davor wurde immer häufiger bemängelt, dass Frauen zu selten vor oder hinter der Kamera Verantwortung übernehmen dürfen, ähnliches galt später für Personen afroamerikanischer Herkunft oder ethnischer Minderheiten in den USA.

Whitewashing: Ursprünge & Hintergründe


Immer heftiger stellten sich kritische Beobachter der Unterhaltungsindustrie in den USA auch gegen das sogenannte Whitewashing, die Besetzung von weißen Darstellern für Figuren, die laut ihres Ursprungsmaterials gar nicht weiß sind. Das Whitewashing hat in Hollywood eine lange Geschichte. Schon in den frühen 20er Jahren spielten weiße Schauspieler Figuren anderer ethnischer Herkunft und malten sich dafür schwarz oder gelb an. Heutzutage gilt das sogenannte Black- oder Yellowfacing als rassistisch, da es lange Zeit ethnische Stereotype bediente. Zwar werden Darsteller heute nicht mehr kurzerhand umgeschminkt und mit den Darstellungen anderer Kulturen und Völker wird wesentlich sensibler umgegangen, noch immer werden weiße Schauspieler aber häufig für nicht-weiße Rollen gecastet. Die BBC vermutet, diese Praxis habe zum einen mit institutionellem Rassismus zu tun und zum anderen mit dem Glauben der Verantwortlichen, dass die häufig bekannteren weißen Schauspieler ein größeres Publikum anzulocken vermögen.

Beispiele der jüngeren Vergangenheit umfassen die Besetzung von Johnny Depp als Cherokee-Indianer in «The Lone Ranger», das Casting weißer Darsteller wie Christian Bale, Sigourney Weaver oder Gerard Butler in Rollen von «Exodus: Götter & Könige» oder «Gods of Egypt», die aus Afrika oder dem Nahen Osten stammen sowie Tilda Swinton und Scarlett Johansson als Figuren asiatischer Herkunft in «Doctor Strange» und «Ghost in the Shell» (Foto links). Zuletzt wurde die Debatte durch den bald erscheinenden Netflix-Film «Annihilation» erneut befeuert, in dem Natalie Portman und Jennifer Jason Leigh Rollen spielen, die im zugrundeliegenden Roman asiatische und indianische Wurzeln haben.

Whitewashing im Animationsbereich: Wie bitte?


Tatsächlich muss diese Vorgehensweise nicht immer sofort rassistische Motive haben, gerade in fiktionalen Stoffen macht die Umbesetzung einzelner Figuren inhaltlich manchmal keinen Unterschied. Augenscheinlich ist die häufig unbegründete Ungleichberechtigung nicht-weißer Schauspieler dennoch. Wer diese Casting-Praxis im Jahre 2018, in dem vermeintlich bereits mehr als genug Darsteller anderer Kulturen oder Hautfarben entdeckt wurden oder leichter denn je entdeckt werden können, noch nicht dubios genug findet, der sollte einen Blick auf US-Animationsserien werfen, die zuletzt immer öfter in den Blick der Whitewashing-Kritiker rückten.

Wer von der Debatte nichts gehört hat, der muss nun vermutlich länger überlegen, wie Animationsproduktionen sich denn dem Whitewashing schuldig machen können. Tatsächlich sprachen beispielsweise im Oscar-nominierten Stop-Motion Animationsfilm «Kubo and the Two Strings» mehrere weiße Schauspieler japanische Charaktere, darunter der irische Schauspieler Art Parkinson, der die Titelfigur vertonte. Weg von der großen Leinwand wurden daraufhin immer häufiger Fälle im Fernsehen bekannt, in denen ähnlich verfahren wurde.

Das Problem mit Apu


Die prominenteste Animationsfigur, die Whitewashing zum Opfer fiel, fand sich im von Hank Azaria gesprochenen Kioskbesitzer Apu aus «Die Simpsons», die zu allem Überfluss auch häufiger für die Darstellung verletzender Stereotype gerügt wurde. Azaria spricht in «Die Simpsons», wo der weiße Harry Shearer zudem den afroamerikanischen Dr. Hibbert spricht, auch den farbigen Carl Jenkins. Weitere Beispiele im Animationsbereich finden sich in den meisten (asiatischen) Charakteren aus «Avatar: Der Herr der Elemente» oder in der asiatisch-stämmigen Diane Nguyen aus «Bojack Horseman», der «G.L.O.W.»-Darstellerin Alison Brie ihre Stimme leiht.

Immer mehr Beispiele wurden genannt und schnell kamen Fragen auf: Geht die Debatte nicht zu weit? Ist es wirklich unmoralisch weiße Personen für Sprechrollen fiktionaler Figuren zu besetzen, insbesondere wenn sie ihre Arbeit professionell und authentisch machen? Eine neue Qualität bekam die Diskussion, als asiatisch-stämmige Autorin Jessica Gao einen Charakter namens Dr. Wong in die «Rick & Morty»-Episode „Pickle Rick“ aus der vergangenen Staffel des Formats schrieb. Im Nachhinein gab Gao zu Protokoll, sie habe den Charakter geschrieben, weil sie erstmals einen asiatischen Charakter in «Rick & Morty» auftreten lassen wollte und speziell, um einer asiatischen Schauspielerin einen Job zu geben, was selten genug vorkäme. Gecastet wurde letztlich Oscar-Preisträgerin Susan Sarandon, der Charakter blieb aber unverändert in der Serie, obwohl Gao vorschlug, man könne doch zumindest Name und Erscheinungsbild der Figur verändern. Die Macher stellten auf stur und schließlich vertonte eine weiße Sprecherin eine Figur, die explizit für eine asiatische Schauspielerin geschrieben worden war.

Seitdem meldeten sich immer mehr der Verantwortlichen von Animationsserien zu Wort, insbesondere im Rahmen der diesjährigen Television Critics Association Presse-Tour, als das Thema gerade Fahrt aufgenommen hatte. Insbesondere «Simpsons»-Produzent Al Jean hörte vom Problem, das viele Zuschauer mit dem Charakter Apu haben, nicht zum ersten Mal. Sogar eine Dokumentation mit dem Namen «The Problem with Apu» existiert, in der der aus Südasien stammende Comedian Hari Kondabolu Stars interviewt, die ebenfalls aus diesem Kulturkreis kommen und erzählen, wie die Animationsfigur ihr Leben negativ beeinflusst hat. Er wolle keine Menschen verletzen, sagte Jean, „aber wir wollen auch lustig sein. Wir wollen nicht immer komplett politisch korrekt sein. Das waren wir nie.“ Gleichzeitig informierte Jean darüber, dass «Die Simpsons» in den vergangenen Jahren immer häufiger Darsteller castete, die die gleiche ethnische Herkunft wie ihre Charaktere haben.

Als „komplexe Angelegenheit“ bezeichnet Jean die Thematik und nennt die Animationsserie «Bob’s Burgers» (Foto), in der Männer auch Frauen sprechen. Gleichzeitig sprächen in den «Simpsons» auch sechs der Stammsprecherinnen Jungen. Niemand hätte sich bislang darüber beschwert, er denke aber, in der Zukunft werde es immer öfter der Fall sein, dass Leute der gleichen ethnischen Herkunft solche Charaktere vertonten. «Family Guy»-Executive Producer Rich Appel ist unterdessen überzeugt davon, dass Animationsserien blind gegenüber Hautfarbe, Geschlecht oder Ethnizität seien. Cleveland Brown, ursprünglich aus «Family Guy», der vom weißen Autor Mike Henry erfunden und synchronisiert wurde, sei mit dieser Stimme geboren worden und niemand spräche die Figur so gut wie Henry. Der Rest der «Cleveland Show», das Spin-Off, das Charakter Cleveland Brown später erhielt, wurde schließlich von afroamerikanischen Schauspielern gesprochen, was Appel als Indiz dafür sieht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Schauspieler für Rollen ihrer ethnischen Herkunft besetzt werden, steigt.

Träger Wandel, steigende Sensibilität


Auch Autorin Jessica Gao relativierte die Debatte später. Cartoon-Charaktere würden gezeichnet, daher kann man sie ohnehin aussehen lassen wie man will. Eine Diskussion über die Stimmen dahinter wirke zunächst beliebig, aber: „Nichts davon wäre ein Problem, wenn generell mehr farbige Schauspieler Arbeit bekämen“, findet sie. „Aber weil weiße Darsteller im Schauspielfach in jedem Aspekt dominieren und es so wenig Rollen für farbige Schauspieler gibt, ist es ein Problem.“ Eine andere Sicht hat «Bojack Horseman»-Schöpfer Raphael Bob-Waksberg, der die Rolle der asiatisch-stämmigen Diane Nguyen zunächst mit einer Amerikanerin mit asiatischen Wurzeln besetzt hatte, die daraufhin jedoch aufgrund anderer vertraglicher Verpflichtungen aussteigen musste. Das Casting dann auch für weiße Sprecherinnen zu öffnen, sei aus der Zeitnot geboren gewesen, die Wahrheit sei jedoch auch, dass viel mehr weiße Schauspieler gebe. „Das ist eine traurige Sache an der Industrie, aber eine Wahrheit“, gesteht Bob-Waksberg. Was denn nun? Gibt es zu wenig farbige Schauspieler oder zu wenig Rollen für sie?

Die Besetzung der Diane Nguyen habe sich zwar komisch angefühlt, gestand Bob-Waksberg, damals habe er sich selbst aber noch davon überzeugt, das sei im Animationsbereich keine große Sache. „Jetzt bin ich nicht mehr so sicher, ob das der Fall ist“, so Bob-Waksberg. Ab Staffel drei habe er verordnet, dass pro Episode mindestens ein farbiger Sprecher besetzt würde, was ihm nach eigener Aussage heute noch immer nicht genug sei. Er verwerfe immer häufiger den Gedanken, dass Casting wirklich hautfarbenblind sei und dass ja jeder jeden spielen könnte und es daher egal sei. „Repräsentation (von ethnischen Gruppen) ohne echte Inklusion ist keine echte Repräsentation“, meint Bob-Waksberg heute. Tatsächlich könne es schädlicher als nützlich sein.

Gao nahm später einen Podcast mit «Rick & Morty»-Schöpfer Dan Harmon auf, um die Debatte um die Figur Dr. Wong ausführlich zu besprechen. Darin erzählte sie von ihrer Frustration, nie jemanden in den Medien gesehen zu haben, der sie wiederspiegelt, als sie aufwuchs. Daher sei es die wenigen Male, dass eine Figur explizit für eine farbige Person geschrieben werde, so wichtig, diese so zu besetzen, dass ihre ethnische Herkunft berücksichtigt wird. Auch ein einziger Charakter könne manchen Menschen viel bedeuten, meint die Autorin. Gao wünscht sich daher, dass Autoren mehr Entscheidungsgewalt verliehen wird. Häufig tragen diese die Executive Producer, Showrunner oder Story Editor und diese seien, vor allem im Animationsbereich, überwiegend weiß und männlich, so Gao. Für sie steht fest: Das Problem krankt, nicht die individuellen Personen darin. Vor zehn Jahren sei das Problem noch wesentlich größer gewesen, mittlerweile sind sich die Menschen dieser Angelegenheit bewusster. „Doch der Wandel vollzieht sich sehr langsam“, sagt Gao.
21.02.2018 10:26 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/99114