Nach «Chiko», «Blutzbrüdaz» und «Boy 7» erreicht das grimmige Gangsterepos «Nur Gott kann mich richten» die deutschen Kinos und damit der bisher beste Film von Regisseur Özgür Yildirim.
Vor fünf Jahren hat Ricky (Moritz Bleibtreu) nach einem missglückten Überfall für seinen Bruder Rafael (Edin Hasanovic) und seinen Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) den Kopf hingehalten. Jetzt ist er raus aus dem Knast, und Latif möchte sich erkenntlich zeigen: er hat ein scheinbar sicheres Ding in Aussicht. Ricky könnte sich mit dem Geld, das dabei herausspringt, eine neue Existenz aufbauen. Nach anfänglichem Zögern stimmt Ricky zu, aber sobald die Vorbereitungen stehen, beginnen auch schon die Komplikationen. Ricky ist gezwungen, Rafael an Bord zu holen, den er eigentlich nie mehr in Schwierigkeiten bringen wollte, und auch sonst scheint sich die Welt gegen ihn zu verschwören. Vor allem in Form von Diana (Birgit Minichmayr), einer Polizistin in Geldnot, die plötzlich kriminelle Energie entwickelt, um die Pläne der Jungs auf ganz unvorhergesehene Weise zu durchkreuzen. Ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel setzt ein, das sie alle in den Abgrund zu reißen droht.
Der titelgebende Gott ist in «Nur Gott kann mich richten» eher symbolisch zu verstehen. Der gerade aus dem Gefängnis entlassene Ricky hat irgendwann einen entscheidenden Schritt in die falsche Richtung gemacht und lebt sein Leben seither auf der Seite der Kriminellen. Selbst vermeintlich geläutert, kommt er aus dem Teufelskreis aus Kriminalität, Wiedergutmachung durch Kriminalität und dem Wunsch, durch einen letzten Coup endlich alles hinter sich zu lassen, nicht mehr aus diesem Milieu heraus; wenn ihm einer helfen kann, dann allenfalls Gott (ergo: eine glückliche Fügung) – auch wenn es im Film nicht besonders christlich zugeht. Stattdessen wirft uns Özgür Yildirim («Boy 7») mitten hinein in Frankfurts kriminelle Unterwelt, wenngleich «Nur Gott kann mich richten» letztlich überall spielen könnte. Die versifften Bars, die dunklen Gassen und die schmierigen Hinterhöfe geben keinerlei Aufschluss darüber, dass diese Art der Kriminalität ausschließlich einer Stadt zuzuordnen ist. Das Leinwandgeschehen steht stellvertretend für sämtliches zwielichtige Milieu und rückt den Fokus damit gezielt auf die darin agierenden Figuren, angeführt von Moritz Bleibtreus Ricky.
Özgür Yildirim dokumentiert allerdings nicht bloß die innere Zerrissenheit seines (Anti-)Helden zwischen Aufbruch in ein neues Leben und einer damit einhergehenden, „letzten“ kriminellen Tat; auf der anderen Seite gibt er uns mit Polizistin Diana eine Figur aus dem vermeintlich entgegengesetzten Milieu an die Hand, die sich vor einer ähnlichen Fragestellung wiederfindet, als ein einmaliges, kriminelles Vergehen (wodurch im besten Falle noch nicht einmal Jemand direkt zu Schaden kommt) dafür sorgen könnte, dass diese ein Menschenleben rettet. Yildirim, der auch das Drehbuch zum Film selbst verfasste, gelingt es hervorragend, das eine Leid dem anderen gegenüberzustellen und den Zuschauer mit einfachen Fragen zu konfrontieren: Werden wir durch eine schlechte Tat automatisch zu einem schlechten Menschen? Wer bestimmt, wann eine Tat gut, und wann sie schlecht ist? Und heiligt der Zweck letztlich vielleicht doch die Mittel?
Eigentlich sind die beiden Charakterdarsteller nur wenig gemeinsam vor der Kamera zu sehen. Die meiste Zeit über verbringen sie beide in ihrem jeweiligen Milieu und werden so zum Spiegelbild des jeweils anderen. Vereinzelte Szenen aus dem Privatleben ergänzen die zwei um ihr notwendiges, privates Profil; darunter auch die beste Szene des Films: die lautstarke Auseinandersetzung zwischen Ricky und seinem dementen Vater (Peter Simonischek), die für einige Minuten zum Katalysator für sämtliche emotionale Facetten des gleichermaßen stolzen wie gekränkten, verzweifelten wie selbstsicheren, traurigen wie aggressiven Mannes wird. Bleibtreu wird zu einem regelrechten Berserker; einem solchen, wie man ihn früher auf Schulhöfen mied, weil er jeden, der ihm zu nah kam, verprügelte – und den man trotzdem in den Arm nehmen wollte, weil man genau wusste, dass dahinter Ursachen wie das Elternhaus oder schlimme Erlebnisse liegen. Birgit Minichmayrs Diana ist zu Beginn fast unscheinbar. Mit fortschreitender Spieldauer wird aus ihrer Polizistin immer mehr eine stille Rächerin, die sich – nichts zu verlieren habend – an Orte vorwagt, wohin sie nur die Liebe zu ihrer Tochter treiben könnte.