Martin McDonaghs Tragikomödie «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» ist ein Film, für den es so viele und eigentlich keine Worte braucht. Ein Film über die Komplexität dieser Welt, über den Menschen. Über alles.
Nur mit Nachdenken gibt sich Mildred Hayes nicht zufrieden. Das in den vorherigen Zeilen geschilderte Leid ist nämlich keine Hypothese. Es ist die Ausgangslage eines (zugegebenermaßen fiktiven) Films mit dem Titel «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri». Dem besten von Martin McDonagh, Regisseur von «Brügge sehen… und sterben» und «7 Psychos». Dem besten der meisten darin involvierten Schauspieler wie Sam Rockwell («Moon»), Woody Harrelson («Planet der Affen: Survival») oder Frances McDormand («Hail, Caesar!»). Dem besten dieser Oscar-Saison. Und vielleicht dem einzigen, der so etwas kann, wie „die Welt ein wenig besser machen“. Weil er wie kaum ein zweiter in die Welt im Jahre 2018 passt. Denn er ist ein Film über Dummheit. Nicht diese „Du hast Dich in einen Mann verliebt und versuchst immer und immer wieder, ihn von Dir zu beeindrucken, obwohl Du weißt, dass er Dich nicht will“-Dummheit. Und auch nicht die „Du bist schwer krank, verzichtest aber aus Trotz auf notwendige Behandlungsmaßnahmen“-Dummheit. Und erst recht keine „Um in Deinem Leben weiterzukommen, müsstest Du irrationale Ängste überwinden, tust es aber einfach nicht“-Dummheit. Sondern über richtige Dummheit.
Stell Dir vor, da ist diese Dummheit, die Du nur von Weitem siehst. Du erkennst sie daran, wie diese Leute sprechen. Wie sie andere abwerten. Wie sie sich gut fühlen in ihrer Blase aus Hass und Gewalt. Doch um etwas zu ändern, musst Du hinein in diese Blase. So wie Mildred Hayes. Ihre Tochter Angela wurde vergewaltigt und ermordet. Angezündet, um genau zu sein. Alles was Mildred möchte, ist Gerechtigkeit. Der oder die Täter sollen bezahlen. Wenn es nach ihr geht, vermutlich mit dem Leben. Doch Mildred ist nicht dumm. Sie ist schlau. Nicht dieses „Ich kann einigermaßen geradeaus sprechen und gaukele mit möglichst vielen Fremdworten so etwas wie Intellektualität vor“-schlau. Und auch nicht das „Ich finde an allem etwas auszusetzen, um meine Umwelt in ihrem Unwissen bloßzustellen“-schlau. Und erst recht kein „Ich plappere einfach die Klugheit anderer Leute nach“-schlau. Sondern so richtig schlau, womit sich Leute entwaffnen lassen. Mildred Hayes hat ihre Umwelt durchschaut. Sie kennt die Zusammenhänge. Weiß, dass Menschen nicht nur gut und nicht nur böse sind. Sie weiß, dass sich mit Vorwürfen allein nichts erreichen lässt. Dass sie die Menschen aus der Reserve locken muss, damit sich endlich etwas ändert. Doch sie weiß auch, dass die letzten Worte an ihre Tochter damals nicht die besten waren. „Ich hoffe, Du wirst vergewaltigt!“ schrie sie ihr noch nach. Ein Spaß. Eine Provokation. Eine Dummheit. Auch schlaue Menschen begehen Dummheiten.
Doch diese Dummheit muss Mildred für eine Weile hinter sich lassen. Als schlauer Mensch wird sie ohnehin noch lange genug von ihr verfolgt. Mildred muss kämpfen, nimmt das Schicksal selbst in die Hand. Sie stellt Billboards auf; genau an der Straße, an der ihre Tochter getötet wurde. Darauf zu lesen: Anschuldigungen. Doch damit richtet sie sich nicht an den Täter. Mit ein paar auf grelles Orange gedruckten schwarzen Lettern lässt sich weder die Tat rückgängig machen, noch dem Mörder ins Gewissen reden. Stattdessen will Mildred etwas am Status Quo ändern, die Polizisten, allen voran den zuständigen Officer Willoughby, dazu bewegen, ihre Arbeit zu machen. Zur Not mit Gewalt. Verbaler Gewalt. Bloßstellung, um genau zu sein. Eine Dummheit? Vielleicht. Notwendig? Definitiv. Doch wie kann eine Handlung gleichzeitig dumm und notwendig sein? Und hieß es nicht eben noch, Mildred Hayes ist nicht dumm, sondern schlau? Gibt es Unterschiede in Sachen Dummheit? Womöglich Abstufungen, wodurch die eine Dummheit weniger schwer wiegt, als die andere? Darf man vielleicht doch Gewalt anwenden, solange sie den Richtigen trifft? Aber widerspräche das nicht der eingangs getätigten Abwertung all jener Menschen, in deren Augen die einen Menschen weniger wert sind, als die anderen?
Stell Dir vor, Du würdest diese Schubladen öffnen. Stell Dir vor, Du würdest anfangen, die Menschen nicht mehr in ihre Einzelteile zu zerlegen, sondern sie als Ganzes zu betrachten. Stell Dir vor, du würdest aufhören, auf der einen Seite ihre Taten und auf der anderen Seite ihre Gedanken zu sehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit blieben immer noch eine ganze Menge Menschen zurück, die Dinge täten, die sich nicht mit einem friedlichen Miteinander vereinbaren ließen. Du erinnerst Dich: die Dummheit des Hasses, der Gewalt, des Rassismus. Doch vielleicht würden Grenzen aufbrechen. Vielleicht würden Hürden kleiner, an deren Überwindung schon viele gescheitert sind. Vielleicht würdest Du, würden wir aufhören, verbittert in Gut und Böse zu unterteilen. Wie Mildred Hayes. Vielleicht ist sie schlau. Doch vielleicht tut auch ein guter Mensch mal etwas Böses. Ein böser etwas Gutes. Wenn der größte Rassist für eine Minute aufmerksam ist und dadurch ein Verbrechen verhindert: Vielleicht ist das die Komplexität des Lebens, die wir noch nicht verarbeiten können.