Die Kritiker: «Tannbach»

Drei Jahre nach der Premiere spinnt sich im thüringisch-bayerischen Grenzort Tannbach die Geschichte der deutschen Teilung weiter: mit viel historischem Druck, aber leider wenig filmischem Gehalt.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Henriette Confurius als Anna Erler
Jonas Nay als Friedrich Erler
Heiner Lauterbach als Georg von Striesow
Anna Loos als Rosemarie Czerni
Martina Gedeck als Hilde Vöckler
Robert Stadlober als Horst Vöckler
Alexander Held als Franz Schober

Hinter der Kamera:
Produktion: Wiedemann & Berg Television GmbH & Co. KG und Wilma Film
Drehbuch: Silke Zertz
Drehbuchvorlage sowie Idee und Konzeption: Josephin und Robert von Thayenthal
Regie: Alexander Dierbach
Kamera: Ian Blumers
Produzenten: Gabriela Sperl, Max Wiedemann und Quirin Berg
«Tannbach» will mit seinem titelgebenden Ort die deutsche Teilung symbolisieren. Durch das Dorf mäandriert sich ein Fluss, der es in Ost und West, Thüringen und Bayern, teilt. Der 2015 ausgestrahlte Dreiteiler erzählte noch von der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der sich Ost und West nicht nur in den politischen Realitäten, sondern auch in den gesellschaftlichen Entwicklungen, in den Empfindungen und den Wertesystem auseinanderzuleben begannen.

Für die ab dem 8. Januar ausgestrahlte Fortsetzung sind nun die frühen 60er Jahre angebrochen. Die Fronten haben sich verhärtet, die Empfindungen sind zu Überzeugungen geworden. Eine Generation wächst heran, die nichts anderes mehr kennt als diese sonderbare, zuerst noch ohne Mauer abgesteckte, historisch wie soziologisch völlig willkürliche innerdeutsche Grenze, und auch bei den älteren Tannbachern ist die Teilung zu einer Normalität geworden.

Friedrich Erler (Jonas Nay) hat große Mühe, die älteren Landwirte in seine LPG zu pressen. Sein Glaube an den Sozialismus ist fest, aber die Zweifel an der Menschlichkeit und Effektivität des Gesellschaftsmodells wachsen. Georg von Striesow (Heiner Lauterbach) muss damit leben, dass der Mörder seiner Frau und ein alter Nazi sein neuer Führungsoffizier im Rahmen einer streng geheimen NATO-Operation wird. Und als im Grenzgebiet Granaten explodieren und ein Kind tödlich verletzen, löst dies nicht nur eine politische Krise aus, sondern auch eine familiäre Tragödie, in der sich der Dualismus aus den brutalen archaischen Werten (und Heucheleien) der Eltern und einer dagegen aufbegehrenden Jugend zu spiegeln beginnt.

Einen negativen Eindruck, den das Format «Tannbach» schon zu seiner Premiere vor drei Jahren machte, kann auch seine Fortsetzung nicht abschütteln. Im Gegenteil scheint sie ihn noch zu verstärken: Nämlich dass es sich hier eher um eine gespielte Geschichtsstunde als eine einnehmende Narrative handelt, dass die Geschichte der Historie untergeordnet wurde und dass es nicht die Figuren und ihre Entwicklungen sind, die die Dramaturgie bestimmen, sondern der Gang der (historischen) Ereignisse, vor dem die Charaktere bloße Ausstaffierungen bleiben.

Schon die Selbstbezeichnung als „historischer Dreiteiler“ macht diesen Anspruch recht deutlich, der im Kern ein falscher ist, weil er nicht die richtigen Prioritäten setzt: Eher brachial als feinfühlig werden die historischen Realitäten den Konflikten der Charaktere aufoktroyiert, woraus sich eben keine faszinierenden, psychologisch ergreifenden Geschichten entspinnen. Stattdessen hangeln sich die Figuren eher am geschichtlichen Fortlauf entlang. NATO-Konlikte, alte Nazis, LPGs – dieses Dorf kennt alles. Unter diesem ständigen historischen Druck, dieser geschichtlichen Dauerbelastung und Überfrachtung wird nicht nur schnell die Glaubwürdigkeit des Stoffes zerstört, sondern auch sein potentieller Gehalt als Erzählstück, als Narrative, als Film, der auch filmisch interessant sein könnte und nicht nur als historisches Lehrstück.

Ein Blick über eine andere Grenze zeigt, wie es besser geht, in einem «Village Francais»: In einem kleinen französischen Dorf im östlichen Franche-Comté fallen im Juni 1940 deutsche Truppen ein. Der Ort ist bald von zahlreichen widerstreitenden Interessen zerrissen: Collaboration, um das Schlimmste vielleicht verhindern zu können? Oder Résistance bis zum Letzten, ob aus republikanischer Überzeugung oder (nur) aus Selbstachtung? Natürlich entscheidet sich der Konflikt nicht nur an diesen großen Linien. Die Zwischentöne sind zahlreich, die subtilen Nuancen und Tendenzen mit größtem Feingefühl geschrieben. Und eben: nah an den Figuren, die nicht einen historischen Abriss abhampeln müssen, sondern jenseits des geschichtlichen Kontexts interessante Charaktere sind, mit individuellen Bedürfnissen und Ansichten, aber eben in einem universell verständlichen Kontext. «Tannbach» vertrüge etwas mehr Villeneuve.

Das ZDF zeigt den vierten, fünften und sechsten «Tannbach»-Film am Montag, den 8. Januar, Mittwoch, den 10. Januar und Donnerstag, den 11. Januar, jeweils um 20.15 Uhr.
07.01.2018 11:36 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/98221