«Tatort»-Darsteller Ben Braun: 'Ganz ohne Existenz der AfD wäre solch ein «Tatort» wohl nie entstanden'

Ben Braun erklärt, was es mit einem macht, wenn man einen Rechtspopulisten spielt, und wie viel Überlegung selbst in die Kreation einer Nebenrolle einfließt.

Zur Person

  • Der gebürtige Heidelberger Ben Braun studierte Schauspiel an der Neighborhood Playhouse School of the Theatre in New York City
  • Zu seinen Kinorollen gehören Parts in «In jeder Sekunde», «Groupies bleiben nicht zum Frühstück» und «Heute bin ich blond»
  • Im Fernsehen war er unter anderem in «Kommissarin Lucas – Bittere Pillen», «Ein starkes Team – Prager Frühling» sowie «Die Konfirmation» zu sehen.
  • Im «Tatort: Dunkle Zeit» spielt er ein Mitglied einer rechtspopulistischen Partei
«Tatort: Die dunkle Zeit» wirkt wie eine tagesaktuelle Geschichte. Wann ist der Krimi entstanden?
Die Dreharbeiten fanden von Mitte Mai bis Juni dieses Jahres statt, also lange vor der Bundestagswahl. Ich habe mich am Set ja gefragt, ob es vielleicht möglich sein wird, den Film noch vor der Bundestagswahl ins Fernsehen zu bringen. Das hat zwar nicht geklappt, aber das Thema ist dadurch nicht inaktueller geworden. Und außerdem könnte es ja passieren, dass bald schon wieder Bundestagswahlen sind. (lacht) Schade ist nur, dass durch die Ausstrahlung nach der Bundestagswahl wohl kaum jemand Niki Steins Prognose des Wahlergebnisses zu schätzen wissen wird. "Unsere" rechtspopulistische Partei holt im «Tatort» nahezu das Ergebnis der realen AfD, da lag Niki nur um ein paar Prozentpunkte daneben. Erschreckend.

Wenn der Film ja im Sommer entstanden ist, schätze ich mal, dass Sie seither ab und an zu hören bekommen haben: "Oh, irgendwo ist das Wahlergebnis dann ja gut für euch. So gewinnt der Film an Relevanz …"
Ja … Das kam durchaus vor. Und, klar: Ganz ohne Existenz der AfD wäre solch ein «Tatort» wohl nie entstanden. Trotzdem: Es hätte nicht ihren derart aggressiven Wahlkampf gebraucht, geschweige denn solch einen Wahlerfolg, um diese und ähnliche Filmideen anzustoßen. Und mir wäre es viel lieber, unser Film würde nun als rein spekulatives Werk betrachtet werden, weil in der Wirklichkeit ganz überraschend die Tierschutzpartei an Stelle der AfD über 13 Prozent geholt hat.

Jeder muss sich nun selber fragen, wie er sich verhält, ob er den Diskurs sucht, gegen die AfD und ihre Anhänger angeht oder sie ignoriert.
Ben Braun
Im «Tatort» geht es unter anderem um das Dilemma, wie mit rechtspopulistischen, demokratisch gewählten Parteien umzugehen ist. Einerseits "muss" man sie dulden und wie alle anderen behandeln, weil so der demokratische Prozess aussieht. Andererseits muss man sie schärfer angehen, will man, dass wir auch dauerhaft weiter einen demokratischen Prozess haben …
Ja, das ist ein sehr spannendes und komplexes Problem. Jeder muss sich nun selber fragen, wie er sich verhält, ob er den Diskurs sucht, gegen die AfD und ihre Anhänger angeht oder sie ignoriert. Da ich im «Tatort» ein Mitglied einer rechtspopulistischen Partei spiele, hatte ich während des Drehs dahingehend eine ganz spannende Erfahrung: Im Film vertreten die Kommissare ja das moralische Gewissen, während ich zum Feindbild gehörte. Damit war ich im Ensemble einer der gesinnungstechnischen Außenseiter. Selbst wenn es nur eine Rolle war: Das macht was mit einem. Und das war nur ein Filmset.

Wenn man das auf das reale System überträgt, frage ich mich schon, wie viel es überhaupt bringt, die AfD an den Pranger zu stellen. Die AfD-­‐Anhänger schaukeln sich in ihrer Außenseiterrolle dann nur hoch. Andererseits ist wegschauen auch keine Lösung, weil ich mich klar für eine offene, bunte und freundliche Gesellschaft einsetzen will. Komplizierte Sache. Bestimmt ist Integration aber für beide Seiten erlernbar und bessere Hilfestellung für Menschen, die sich vor Überfremdung fürchten, könnte vielleicht ein Weg sein.

Sie legen ihre Figur im «Tatort» weder als schmierigen Schurken an, noch so freundlich, dass man sich die ganze Zeit wundert: "Was sucht der liebe Kerl denn bei denen?" Obwohl Sie nur eine Nebenrolle verkörpern, finde ich diese Balance entscheidend – der ganze Film würde anders wirken, würde das Auftreten Ihrer Rolle stärker in die eine oder andere Richtung tendieren. Wie wurde dieses Auftreten der Figur entschieden?
So gehen die Rechtspopulisten vor – sie beherrschen die rhetorischen Instrumente, und das mehr, als man ihnen zugestehen möchte. Man möchte denken, dass jemand, der so blind hasst und so ungeheuerlich verallgemeinert nicht über den Intellekt verfügt, Leute so meisterlich manipulieren zu können. Und dann gehen eben doch viele ihnen auf den Leim.
Ben Braun
Darüber habe ich vor dem Dreh viel mit Niki Stein, dem Regisseur, gesprochen. Ein bisschen haben wir uns daran orientiert, wie er sich Anja Klings Rolle vorgestellt hat – daran haben wir dann die Herangehensweise an meine Rolle abgeleitet. Anja Kling instrumentalisiert in ihrer Rolle im Film ja ganz gerissen die Opferrolle. Sie spielt das wunderbar – sie gibt sich als menschliche, besorgte Frau, die Sicherheit für Deutschland will und sich nun wegen Ihrer Lösungsvorschläge verfolgt und attackiert fühlt. So gehen die Rechtspopulisten ja auch im wahren Leben vor – sie beherrschen die rhetorischen Instrumente, und das mehr, als man ihnen zugestehen möchte. Man möchte denken, dass jemand, der so blind hasst und so ungeheuerlich verallgemeinert nicht über den Intellekt verfügt, Leute so meisterlich manipulieren zu können. Und dann gehen eben doch viele ihnen auf den Leim.

Für meine Figur haben wir uns jemanden vorgestellt, den man nicht sofort zuordnen kann. Er sollte weder jemand sein, den man sofort in eine Neo-Nazi‐Ecke steckt, doch er sollte auch kein Sunnyboy sein. Auf den ersten Blick sollte meine Figur des Benjamin aber auch etwas Sympathisches haben. Ich habe den Film leider noch nicht gesehen – finden Sie, dass uns das gelungen ist?

Für mich strahlte Benjamin in seinen ersten Szenen etwas Nettes aus, dem etwas Misstrauendes innewohnt. Und die spannende Frage war dann im weiteren Filmverlauf, ob dieses Unsympathische unter der freundlichen Oberfläche seine politische Einstellung ist oder ob es noch weitere Gründe dafür gibt, dass er mir suspekt ist …
Dann ist unser Plan ja ein bisschen aufgegangen. Man sollte schon glauben, dass er für junge Wähler als Alternative zu den Eliten attraktiv ist. Ob man ihm politisch zustimmt oder nicht, sollte er wenigstens als Mensch vertrauenserweckend sein, weil wir eben nicht auf dieses durchgängige Dämonisieren der Populisten setzen wollten. Das reizte mich an der Rolle, genauso wie der Umstand, dass wir ihn nur bruchstückhaft kennenlernen – das Publikum soll selber die Puzzleteile zusammensetzen. Wir wollten nicht die eine Schlüsselszene haben, in der die Figur erklärt wird. Das bedeutete für mich als Darsteller, dass ich Hinweise in mehreren Szenen streuen konnte – das ist ein interessanter Weg, weil es die Zuschauer stärker zum Nachdenken anregt.

Dies ist nicht ihr erster Film mit Niki Stein auf dem Regiestuhl …
… genau, Niki kam früh auf mich zu und hat mir diese Rolle angeboten. Ich habe prompt zugesagt, weil Niki ein faszinierender Regisseur ist. Ich bin ein echter Fan von ihm geworden. Er ist nicht nur wahnsinnig klug und gebildet, sondern auch sehr originell. Es ist ein wahres Fest, ihm bei Regieanweisungen oder dem Einarbeiten der Komparsen zuzuhören – seine Anweisungen sind stets mit einer feingeistigsten Eleganz formuliert. , Mir war natürlich absolut klar, dass Niki es sich nicht entgehen lassen würde, die Debatte über den Text aus dem Drehbuch hinaus auch noch auf weitere Themenbereiche auszuweiten (lacht). Als Niki die Komparsin rechts von mir spontan zu einer Stellungnahme zum Drei-­‐Säulen Modell der Alterssicherung aufgefordert hat, machte sie ein ziemlich langes Gesicht. Aber mir erging es auch nicht viel besser… (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch.
«Tatort: Dunkle Zeit» ist am 17. Dezember 2017 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
14.12.2017 12:52 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/97736