Die glorreichen 6 – Frauenpower auf dem Regiestuhl (Teil III)

Die Gleichberechtigung ist im Showgeschäft noch immer nur ein ferner Traum: Frauen erhalten zum Beispiel deutlich weniger Chancen, sich auf dem Regieposten zu beweisen, als Männer. Wir rücken starke Frauenwerke wie den Klassiker «Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht» in den Fokus, um dies anzuklagen.

Der Inhalt


Filmfacts: «Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht»

  • Regie: Elaine May
  • Produktion: Edgar J. Scherick
  • Drehbuch: Neil Simon; basierend auf der Kurzgeschichte "A Change of Plan" von Bruce Jay Friedman
  • Darsteller: Charles Grodin, Cybill Shepherd, Jeannie Berlin, Eddie Albert, Audra Lindley
  • Musik: Garry Sherman
  • Kamera: Owen Roizman
  • Schnitt: John Carter
  • Veröffentlichungsjahr: 1972
  • Laufzeit: 106 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Na endlich: Der Sportartikelhändler Leonard Cantrow ist den Bund der Ehe mit der gläubigen Jüdin Lila Kolodny eingegangen. Und das bedeutet eins: Nachdem sie ihm bislang nur Kuscheln und Petting erlaubt hat, darf er jetzt Sex mit ihr haben.
Halleluja! Oder … auch nicht. Denn schon während der Reise in die Flitterwochen nach Miami Beach bemerkt Leonard plötzlich, wie nervig er seine Angetraute findet.
Während des Aufenthalts in Miami Beach kracht es erstmals zwischen Leonard und Lila, er zieht sich genervt zurück – und verliebt sich am Strand Hals über Kopf in die junge Blondine Kelly …

Die Regisseurin


Die 1932 in Philadelphia geborene Elaine May wurde ins Schauspielfach hineingeboren: Ihr Vater war Theaterdirektor und Schauspieler, ihre Mutter Schauspielerin. Schon in frühen Kindstagen wurde sie auf die Bühne geschickt, im Alter von 15 Jahren nahm sie Schauspielunterricht, in den 1950er-Jahren ging sie nach Chicago und studierte Method Acting und lernte den Schauspieler sowie späteren Regisseur Mike Nichols («The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel», «Der Krieg des Charlie Wilson») kennen, mit dem sie ein einflussreiches Comdy-Duo gründete, das das Stilmittel der Ironie in den USA zu einem neuen Hoch verhalf. Nachdem sich das Duo auflöste, wurde sie Bühnenautorin und -regisseurin, parallel dazu fasste sie als Mimin in Hollywood Fuß.

1971 feierte sie mit der schwarzen, satirischen Komödie «Keiner killt so schlecht wie ich», bei der sie auch als Schauspielerin und Drehbuchautorin aktiv war, ihr Debüt als Filmegisseurin. Der Film wurde für zwei Golden Globes nominiert. May sollte als eine der ersten Frauen im US-amerikanischen Kino mittelfristigen Erfolg auf dem Regieposten haben – ihr Nachfolgefilm «Pferdewechsel in der wenigstens Hochzeitsnacht» erntete riesiges Kritikerlob und stieg in den USA zu einem Klassiker im Komödiengenre auf. Ihr Kriminaldrama «Mikey und Nicky» wiederum wurde von Produktionsproblemen geplagt, was Mays Regiekarriere urplötzlich beendete. Daraufhin blieb sie aber als Drehbuchautorin gefragt, bis Warren Beatty sie zu einem Regiecomeback überredete. Das Ergebnis: «Ishtar», ein weiterer Film, der es in eine unserer "Die glorreichen 6"-Staffeln geschafft hat.

Die 6 glorreichen Aspekte von «Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht»


Mit «Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht» hat May eine Komödie inszeniert, die sich quasi als leichtgängigeres Ergänzungsstück zu «Die Reifeprüfung» betrachten lässt. Sie nimmt die bitteren Running Gags und bissigen Gemeinheiten, die für Drehbuchautor Neil Simon («Nie wieder New York») typisch sind, und verquirlt diese mit einer hintersinnigen, melancholischen Note.

Anders als etwa Jahrzehnte später die Farrelly-Brüder in ihrer «Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht»-Neuverfilmung «Nach 7 Tagen – Ausgeflittert», fängt May die moralische Zweischneidigkeit der von ihr gezeigten Situation mit Raffinesse und satirisch überspitzter Wahrhaftigkeit ein: Sie zeigt Mitleid für ihren Protagonisten, lässt Charles Grodin in der Rolle des seine Eheschließung überdenkenden Leonard Raum, mit seinem Gewissen zu hadern und Empathie beim Publikum zu schaffen. Und dennoch stichelt May, wenn sie einfängt, wegen welchen Kleinigkeiten er genervt ist und wie kindisch-wechsellaunig er ist. Sie zeigt die Albernheit seines Umdenkens, die Unreife in ihm – und trotzdem verteufelt sie nicht das Neuverlieben als solches.

Somit wird «Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht» praktisch zu einer listigen Komödie über die Verletzbarkeit unserer Egos (und das verletzende an unseren Egos), indem May den Finger in die Wunde legt und alltägliche, Ego getriebene Szenen dezent überbetont nachzeichnet und in den Kontext einer verqueren Liebesgeschichte setzt. Entscheidend dafür ist auch, dass May beiden Frauen in Leonards Leben mit Sympathie begegnet: Lila (gespielt von Mays Tochter Jeannie Berlin) ist eine liebenswert-naiv-ungeschickte Frau, Verführerin Kelly (Cybill Shephard) ist keine Männerfresserin, sondern Sexualität auf zwei Beinen, die sich nach einer echten, bedeutsamen Beziehung sehnt. Diese Zutaten verhelfen es dieser Dreiecksgeschichte dabei, über Genremaßstäbe hinweg zu segeln.

«Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht» ist in den USA auf Videokassette und DVD erschienen.
10.12.2017 14:08 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/97664