Die Kritiker: «Tel-Aviv-Krimi - Alte Freunde»

Sara Stein ermittelt sich weiter durch ihre neue Heimat Israel. Zum ersten Mal steht ein gesellschaftliches Brandthema im thematischen Mittelpunkt: das Militär.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Katharina Lorenz als Sara Stein
Samuel Finzi als Inspektor Jakoov Blok
Itay Tiran als David Shapiro
Gill Frank als Commander Shimon Ben Gorin
Bat-Elle Mashian als Corporal Hanan Chalabi
Orly Zilbershatz als Zvia Meyer
Sean Mongoza als Dahir

Hinter der Kamera:
Produktion: TV60 Filmproduktion GmbH
Drehbuch: Britta Stöckle und Josef Rusnak
Regie: Matthias Tiefenbacher
Kamera: Holly Fink
Produzenten: Andreas Schneppe, Sven Burgemeister und Andreas Bareiss
Sara Stein (Katharina Lorenz) ist nach ihrer Aaliyah weitgehend angekommen in Tel Aviv. Die Kisten sind ausgepackt, ihre Beziehung zum Pianisten David Shapiro (Itay Tiran) gesetzt und intakt, wenn auch nicht frei von Spannungen, und der israelische Führerschein wird gerade in Angriff genommen. Das tut der Reihe gut. Denn es erlaubt einen Blick auf die israelische Gesellschaft von innen, wenn auch durch die Augen einer Frau, die neu im Land ist, und nicht mehr nur aus der schwurbeligen, allzu vereinfachenden Außenperspektive.

Mit ihrem neuen Fall, dem zweiten in diesem Jahr, hat man sich gleichsam sehr bemüht, in Konflikte vorzustoßen, die die israelische Gesellschaft bewegen, und sinnvoll, wenn auch ein bisschen zu sehr verallgemeinert, die entsprechenden Verbindungen, Codes, Hintergründe und Themen fassbar zu machen.

Es beginnt etwas gruselig. Am Strand von Tel Aviv wird ein abgetrennter Arm gefunden, auf ihm ein Tattoo des in Israel zum geflügelten Wort gewordenen Satzes „Shalom Chawer! Goodbye, friend!“, mit dem Bill Clinton einst seine Trauerrede auf den ermordeten Yitzhak Rabin beschloss.

Der Arm gehörte zu einem jungen linken israelischen Aktivisten, der sich für die zahlreichen (süd)sudanesischen Flüchtlinge im Land einsetzte, deren Asylanträge nur selten bewilligt werden. Er war der Bruder eines Mannes, den Steins Kollege Blok (Samuel Finzi) und ihr Boyfriend David gut kennen: aus ihrer Zeit beim IDF, dem israelischen Militär, als sie gemeinsam gedient haben. Bis auf David pflegen die Veteranen noch heute einen engen Kontakt zueinander – und Bloks Loyalität wird nun herausgefordert, als er in seinem eigenen Umfeld ermitteln muss.

Dieser «Tel-Aviv-Krimi» erzählt einen ersten Ansatz davon, wie sich die Neu-Israelin Sara Stein den politischen Konflikten des Landes nähert. Ein Staat in einer Region, in dem der Großteil seiner Nachbarn kein größeres ideologisches Ziel verfolgt als seine vollständige Vernichtung, muss mit gewissen Konsequenzen für seine nationale Sicherheit leben: einem effizienten, in der Gesellschaft verankerten und präsenten Militär mit allgemeiner, langandauernder Wehrpflicht, was zur Folge hat, dass die militärischen Strukturen und Denkweisen in der gesamten Gesellschaft verwurzelt und bekannt sind – und auch die schmerzlichen Verluste und Traumata, die das ständig aufgezwungene Engagement des israelischen Militärs mit sich bringt.

Ein Beispiel ist David Shapiro. Bei einem Einsatz musste er befehlen, einen kleinen Jungen kampfunfähig zu schießen, weil aus der Distanz nicht klar erkennbar war, ob er eine Handgranate bei sich hatte, mit der er auf das Militärfahrzeug zulief. Diese Wunde macht Shapiro noch heute schwer zu schaffen, weswegen er die Veteranentreffen von Blok meidet, an diesen Tagen aber trotzdem seinen Schmerz im Alkohol ertränkt.

Der Konflikt zwischen dem sicheren, geschützten Kontinentaleuropa und dem ständig wehrhaft sein müssenden, durch Anschläge und verfeindete Staaten einer permanenten Gefahr ausgesetzten Israel wird noch an anderer Stelle deutlich: Als Sara Stein einen Verdächtigen laufen lässt, und diese Entscheidung bald wieder bereuen muss. „Wo die herkommt, machen verurteilte Mörder Theaterworkshops im Knast“, kontextualisiert Blok ihr Handeln vor ihrer deutschen Herkunft – und fasst damit die zwei völlig unterschiedlichen Ausgangslagen von Kontinentaleuropa und dem Levante prägnant und treffend zusammen.

Für Europäer durchaus erschreckend, aber nah an einer gewissen israelischen Lebensrealität kann der «Tel-Aviv-Krimi» mit „Alte Freunde“ zum ersten Mal in tiefgreifender Weise eine Ambition verfolgen, die durchaus weit über der eines Krimis in einer – gerade für Deutsche – historisch aufgeladenen Region liegt – und erzählt damit unaufgeregt, aber mit Haltung einen packenden, interessanten Stoff.

Das Erste zeigt «Der Tel-Aviv-Krimi – Alte Freunde» am Donnerstag, den 30. November um 20.15 Uhr.
30.11.2017 02:12 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/97437