Die Kritiker: «Götter in Weiß»

Eine Anklage an das Medizin-System in Deutschland: Nach einem allergischen Schock nach einer Routineoperation findet eine Chirurgin heraus, dass ihre Klinik massive Hygieneprobleme hat.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Claudia Michelsen als Dr. Anna Hellberg
Jan Messutat als Dr. Gunnar Hellberg
Sebastian Rudolph als Dr. Andreas Barna
Anneke Kim Sarnau als Franziska Wagner
Stefan Ruppe als Mark Döbler
Antonio Wannek als Bernd Strasser
Hedda Erlebach als Leah Strasser

Hinter der Kamera:
Regie: Elmar Fischer
Drehbuch: Andrea Frischholz, Jörg Tensing
Kamera: Philipp Sichler
Produzentin: Doris Büning, Dagmar Rosenbauer
Laut einer Studie von 2016 werden jedes Jahr Millionen Menschen in Europa mit Krankenhauskeimen infiziert. Rund 91.000 Patienten sterben sogar an den Folgen einer solchen Infektion. Somit gilt in jedem Krankenhaus Hygiene als oberstes Gebot. Die Instrumente haben sauber und das Skalpell steril zu sein. Gleichzeitig sehen sich Krankenhäuser aus ökonomischen Gründen gezwungen, Stellen abzubauen, allen voran im Plegedienst. In einigen Krankenhäusern herrschen aus vielschichtigen Gründen schwierige bis untragbare Verhältnisse. Um diese Thematik dreht sich der Thriller «Götter in Weiß» den das Erste im Rahmen seines Filmmittwochs zeigt.

Das Premieren-Drehbuch von Andrea Fischholz, umgesetzt von Regisseur Elmar Fischer, ist eine schreiende Anklage gegen ein brüchiges System: Unterbesetzte Krankenstationen und Ärzte im Dauerstress, geringfügig qualifiziertes Personal und veraltete Technik erschweren sowohl Mitarbeitern, allen voran jedoch Patienten den Aufenthalt im Krankenhaus. Zudem werden Behandlungsfehler als Einzelfälle abgetan. Dem Thriller gelingt es durchaus, für das Thema zu sensibilisieren und dem Zuschauer klarzumachen, dass sich in der deutschen Krankenhauslandschaft etwas ändern muss. Diese Message wurde in folgenden Plot gepackt:

Dr. Anna Helberg (Claudia Michelsen) ist Chirurgin und arbeitet ebenso wie ihr Ehemann Gunnar (Jan Messutat) am Klinikum einer Kleinstadt an der mecklenburgischen Seenplatte. Hier haben sie sich mit ihrem gemeinsamen Sohn ein schönes Leben aufgebaut. Probleme bereiten der Ärztefamilie nur der größtenteils aus Arbeit bestehende Alltag, sowie der Umgang mit ihrem etwas schwierigen Kind. Aus ihrem gewohnten Trott wird Anna gerissen, als das Mädchen Leah (Hedda Erlebach) nach einer Routineoperation einen allergischen Schock erleidet aufgrund eines Antibiotikums – das Anna gar nicht gegeben hat. Leahs besorgter Vater (Antonio Wannek) verliert zunehmend das Vertrauen in die Klinik – ebenso wie Anna, die herausfindet, dass die Klinik ein massives Hygieneproblem hat.

Je mehr unangenehme Wahrheiten sie aufdeckt, desto stärker wird sie angefeindet. Nur ihre beste Freundin Franziska (Anneke Kim Arnau) stärkt ihr scheinbar den Rücken. Anna steht vor schwerwiegenden Gewissensentscheidungen, die alles zu Fall bringen könnten, was sie sich bisher aufgebaut hat: Ihren Job sowie den ihres Mannes, ihre Reputation als Ärztin sowie das gemeinsame Leben mit Ehemann und Sohn in der idyllischen Kleinstadt. Der Charakter wird also als ambivalent und differenziert gezeichnet. Es handelt sich keineswegs um eine klassische Heldin im Kampf gegen die böse Krankenhausleitung.

Der Zwist zwischen dem eigenen Gewissen und persönlichen Vorteilen steht im Zentrum der Story. Anna muss sich entscheiden wie viel ihr die Wahrheit wert ist. Schließlich setzt sie nicht nur ihre eigene Karriere, sondern obendrein noch die ihres Mannes sowie ihrer besten Freundin Franziska, die ebenfalls im Krankenhaus arbeitet, aufs Spiel. Sie muss sich die Frage stellen, inwiefern es fair wäre, den eigenen Idealismus über die Schicksale ihre Kollegen zu stellen. Hinzu kommt, dass innerhalb der Klinik die Schuld an dem Fehler hin- und hergeschoben wird, sowie die Klinikleitung keinerlei Interesse daran zeigt, die Ungereimtheiten aufzuklären. An diesem Druck droht die Ärztin und Mutter zu zerbrechen. Ist das Skalpell diesmal wirklich steril? Im Zweifel lieber ein neues Set öffnen. Schließlich erleidet sie einen Nervenzusammenbruch.

Claudia Michelsen weiß dabei in ihrer Hauptrolle zu gefallen. Sowohl in der Klinik mit harten Bandagen, als auch im Privatleben mit all seinen Konflikten ist Michelsens Spiel absolut glaubwürdig. Ansonsten sticht aus dem soliden Cast noch Antonio Wannek als sorgenvoller Vater hervor, der nicht fassen kann, wieso ein angekündigter Routineeingriff zu solch gravierenden Problemen führen kann. Seine Sorge und Verzweiflung, die irgendwann in Wut umschlagen, wirken jederzeit greifbar.

So wird «Götter in Weiß» zwar als Thriller beworben, allerdings ist der Film gespickt man Drama-Elementen wie den erwähnten persönlichen Schicksalen und Fragen der Moral. Während diese Elemente zu überzeugen wissen, ist es mit dem Thrill nicht allzu weit her. Nur selten wird der Zuschauer wirklich gepackt, fesselnd ist der Film nur streckenweise. Dabei wirkt das sterile Setting eines Krankenhauses – wenngleich in diesem Fall ein Paradoxon – mit seinen kühlen Farben und Lichtern sich sichtlich förderlich für einen Thriller aus. Ebenso verhält es sich mit dem Bakterium als unheimlicher, unsichtbarer Gegenspieler. Der dosierte Einsatz des Stilmittels Musik kommt der Suspense noch zu Gute. Sein Ziel, durch das Gezeigte Kontroversen auszulösen, dürfte der Film jedoch nicht verfehlen.

Das Erste zeigt «Götter in Weiß» am Mittwoch, den 15. November ab 20.15 Uhr.
14.11.2017 09:00 Uhr  •  Christopher Schmitt Kurz-URL: qmde.de/97036