Die Kritiker: «Tod im Internat»

Die Entführung einer Internatsschülerin, erzählt als Melodram: An dieser Widersinnigkeit krankt der ganze überlange Zweiteiler. Nadja Uhl und Joachim Król tun trotzdem ihr Möglichstes.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Nadja Uhl als Isabelle Mosbach / Karla Parker
Hanno Koffler als Julian Sellinger
Joachim Król als Herbert Wichert
Martin Feifel als Volker Jens
Oliver Stokowski als Frank Baumschulte
Max Hopp als Alexander Grape
Emma Drogunova als Sophie Wichert

Hinter der Kamera:
Produktion: TV60 Filmproduktion GmbH
Drehbuch: Frauke Hunfeld
Regie: Torsten C. Fischer
Kamera: Holly Fink
Produzenten: Andreas Schneppe und Sven Burgemeister
Ein Stoff um die Entführung einer jungen Frau und einen toten Schüler in einem Internat eignet sich nicht unbedingt für ein Melodram. Denn das Melodram lebt – zumindest so, wie es der deutsche Fernsehfilm auffasst – von intellektueller Einfachheit genauso wie von der Abwesenheit jeglicher emotionalen Zumutung. Eine Geschichte um (möglicherweise) tote Jugendliche hat dagegen eine außerordentlich große emotionale Fallhöhe: die bitteren Leiden der Eltern und Nahestehenden, die seelischen Abgründe und Perversionen der Entführerfigur: alles schwer verdaulich.

Natürlich gibt es Methoden, um eine solch scharfe emotionale Beteiligung des Zuschauers zu verwässern; Möglichkeiten, die so tun, als seien sie besonders emotional, in Wirklichkeit aber das Gegenteil bewirken, nämlich: die Zurücknahme des Schocks, die Abschwächung des Leids. All diese Möglichkeiten laufen auf ein Ziel hinaus: Pathos. Pathos, der in sich so unglaubwürdig und überzogen ist, dass er aus der schweren Realität hinaus in ein Katharsisgefühl mündet, das aber freilich gar nicht aus einer Katharsis entspringt. Deutsche Fernsehfilme lieben das: Close-ups, Zeitlupen, einlullende Streicherklänge und Pianogeklimper. Alles, was die ausgemalte Wirklichkeit in ihrer Wahrnehmung durch den Zuschauer so stark verfremdet, dass sie nicht mehr als echt und somit emotional tatsächlich als mitnehmend und fordernd erlebt werden kann. Dem Melodram, wie es der deutsche Fernsehfilm zumeist auffasst, wohnt in dieser innerlichen Diskrepanz aus schweren Themen und gewollter verwässernder Wirkung immer etwas Verlogenes inne.

Werden wir nun konkret: Im Internat Erlengrund, das in seinem Selbstverständnis die zukünftige Elite des Landes hochzüchtet, verschwindet Sophie Wichert (Emma Drogunova). Da ihr Vater Herbert (Joachim Król) der designierte Präsident des LKAs ist, läuten die Alarmsirenen auf höchster Stufe. Man tut das scheinbar einzig Mögliche und heuert Isabelle Mosbach (Nadja Uhl) an, um sie als Englisch- und Sportlehrerin unter falscher Identität ins Erlengrund einzuschleusen und Schüler wie Lehrkörper kräftig auszuspionieren.

Seelisch ist Mosbach derzeit eigentlich anderweitig beschäftigt: Ihre Mutter ist gerade gestorben. Ihre Beziehung war ambivalent gewesen, mitunter wohl deshalb, weil sie – was man beim LKA seltsamerweise gar nicht weiß – als Mädchen selbst auf das Erlengrund gegangen ist und dort nicht die positivsten Erfahrungen gemacht hat. Und zum emotionalen Ballast kommen noch bürokratische Schwierigkeiten hinzu: Sehr zur Verwunderung von Isabelle hat ihre Mutter jahrelang jeden Monat Tausende Euro aus einem Pensionsfonds bezogen, dessen Sitz auf den niederländischen Antillen liegt. Eine befreundete Kollegin soll hinterrücks einmal nachforschen, was es mit diesen Zahlungen auf sich hat (Glanzleistung des Glaubwürdigen: „inoffiziell, nee, nee, nicht übers LKA abrechnen!“), woraufhin sich natürlich herausstellt, dass diese seltsamen Geldwaschanlagen mit dem Internat Erlengrund in kausalem Zusammenhang stehen.

Während Isabelle unter ausgedachtem Namen im Englischunterricht nun kindische Interpretationen von Salingers „Fänger im Roggen“ von sich absondert, den sie zum Anlass nimmt, die Jugendlichen über Sophies Verschwinden auszuhorchen, zeigt sich deren Vater Herbert angesichts der Dramatik der Situation erstaunlich ruhig. Natürlich tun sich hinter der elitär-reaktionären Fassade von Erlengrund die berechenbaren Abgründe auf: „Diese Schule ist der Exzellenz verpflichtet“, palavern die leitenden Lehrkräfte, als kurz nach Sophies Verschwinden ein anderer Schüler tot im See aufgefunden wird, und offenbaren in ihrer erstaunlichen Simplizität, dass der Ethos dieser hehren Exzellenzeinrichtung nur aus leeren Phrasen besteht.

«Tod im Internat» weigert sich jedoch standhaft, daraus die notwendigen narrativen Konsequenzen zu ziehen. Eine sinnige, gehaltvolle Dekonstruktion dieser elitären Zirkel und ihres Selbstverständnisses bleibt aus. Die Ablehnung dieser von Seilschaften, Befindlichkeiten und überkommenen Werten geprägten Institution bleibt vielmehr ein tumbes Gefühl, gespeist aus diffusen Geistern der Vergangenheit.

Die mit dreieinhalb Stunden besonders lange Laufzeit des Zweiteilers scheint ebenfalls unglücklich gewählt: Denn die wirklich relevanten Themen dieses Films hätten im hier gebotenen Tiefgang auch gut in die gängige neunzigminütige Fernsehfilmlänge gepasst. Die zahlreichen Ausschmückungen mögen zwar – zumindest bis auf die absurdesten und abgestandensten – nicht unbedingt den Eindruck erwecken, sie seien nur mit dem Ziel eingefügt worden, den Plot zu strecken. Dennoch sind es gerade auch die zahlreichen thematischen Redundanzen, die diesen Film so lang und langweilig machen.

Die Charaktere entwickeln sich derweil in gewohnten Melodram-Bahnen: Es geht um Väter, die nicht leiblich sind, um Töchter, die ältere Boyfriends haben und ungewollt schwanger sind. Mit etwas Zynismus lässt sich diese sture Besinnung auf die melodramatischsten Motive fast folgerichtig nennen. Das Ergebnis ist dasselbe jedes überbläht erzählten Melodrams: viel heiße Luft und gähnende Leere. Auch, wenn man es wie hier ein bisschen als Krimi tarnen will.

Besonders Nadja Uhl und Joachim Król merkt man die Unterforderung derweil permanent an. Gerade mit ihnen als Darstellern hätten die Figuren einer viel intelligenteren, komplexeren Führung bedürft als das langsame Aufdecken ihrer alten Geheimnisse. Bei beiden Darstellern lässt sich eine aufrichtige Ambition erkennen, die Widersprüchlichkeiten ihrer Figuren sinnig und emotional einnehmend zu transportieren. Schade, dass die Dramaturgie davon nicht sonderlich viel wissen will.

Das ZDF zeigt «Mord im Internat» am Montag, den 9. Oktober, und Mittwoch, den 11. Oktober, jeweils um 20.15 Uhr.
08.10.2017 12:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/96318