«Victoria & Abdul»: Ein leichtfüßiges Adelsdrama über Kulturaustausch

Judi Dench spielt erneut Queen Victoria. Diess Mal in einem Wohlfühldrama mit Intellekt und tagesaktueller Thematik.

Filmfacts «Victoria & Abdul»

  • Regie: Stephen Frears
  • Produktion: Tim Bevan, Eric Fellner, Beeban Kidron, Tracey Seaward
  • Drehbuch: Lee Hall; basierend auf dem Buch von Shrabani Basu
  • Darsteller: Judi Dench, Ali Fazal, Eddie Izzard, Adeel Akhtar, Michael Gambon
  • Musik: Thomas Newman
  • Kamera: Danny Cohen
  • Schnitt: Melanie Ann Oliver
  • Laufzeit: 112 Minuten
  • FSK: ab 6 Jahren
Vor 20 Jahren spielte Judi Dench in «Ihre Majestät Mrs. Brown», von sehr positiven Kritiken begleitet, Queen Victoria. In dem von Tatsachen inspirierten Drama von Regisseur John Madden («Best Exotic Marigold Hotel») ging es darum, wie sich die Königin nach dem Tod ihres Ehemannes Prinz Albert im Jahr 1861 aus der Öffentlichkeit zurückzog. Als engste Bezugsperson Victorias kristallisierte sich der schottische Diener John Brown heraus, der es mit dem Hofprotokoll nicht so eng nahm. Dieses historische Adelsporträt wird nun um eine ähnlich gelagerte, ebenfalls wahre Geschichte ergänzt: «Victoria & Abdul» erzählt von einer späteren, am Hof noch kontroverser aufgefassten Freundschaft zwischen der Queen und einem Diener. Unter der Regie von Stephen Frears («Florence Foster Jenkins») entsteht so ein leichtgängiges Drama über kulturellen Austausch und das Unverständnis Außenstehender, das damit oft einhergeht.

England, 1887: Queen Victoria (Judi Dench) feiert ihr goldenes Thronjubiläum, weshalb beschlossen wird, zwei Inder nach London zu bringen, damit sie ihrer Kaiserin ein symbolisches Geschenk überreichen können. Der muslimische, stets frohgemute Abdul Karim (Ali Fazal) ignoriert die strengen Anweisungen, die er erhalten hat, und blickt während des festlichen Diners, das zu Ehren der Königin gehalten wird, der Monarchin in die Augen.

Während der Hofstaat wegen dieses Affronts durchdreht, erfreut sich die antrieblose, gelangweilte Königin an der munteren Art Abduls. Daher bittet sie darum, dass der indische Besuch länger als geplant in London verweilt. Alsbald entsteht eine innige Freundschaft zwischen Queen Victoria und Abdul, der die Kaiserin von Indien mit seinen passionierten Erzählungen über seine Heimat endlich in die Kultur des Landes einweist, über das sie bereits seit Jahren herrscht …

Zum Thema passend sollte man nicht zu früh über «Victoria & Abdul» urteilen. In den ersten Szenen darf durchaus die Befürchtung aufkommen, dass Ali Fazal auf Grundlage des Skripts von Lee Hall den freundlichen Abdul Karim wie eine Karikatur anlegt: Als betont freundlichen Inder, der von der Kolonialmacht England fasziniert und für alles, was die Königin tut, äußerst dankbar ist – und der sie im Gegenzug ganz oberflächlich an seine fremde Kultur heranführen darf. Doch Hall und Frears treten eben nicht in diese sich ankündigenden Fettnäpfchen:

Fazal ist als Abdul Karim zwar durchaus eine bestechend freundliche Person, aber dies in einem glaubwürdigem Maße, das neben der Zuvorkommenheit weitere Charakterzüge gestattet. Abdul wird als kulturbegeisterter Mensch skizziert, der sich für indische Kultur, den Koran und auch englische Eigenheiten fasziniert und regen Austausch auf Augenhöhe betreiben möchte – der aber auch mal die Königin anlügt, sollte er glauben, dass sie ihm die Wahrheit übelnehmen könnte.

Fazals schauspielerische Dynamik mit der einmal mehr überzeugenden Judi Dench ist sehr erquicklich, ohne durchweg auf der putzig-amüsanten Note des ersten Filmdrittels zu verweilen. Mit mimischen Nuancen geben beide diesem Figurenpaar Gravitas und einen unausgesprochenen Subtext, der zwischen beiden Personen steht, zum Ausdruck. Frears gelingt es, den langsamen Wandel dieser Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft hin zu einem Adelsdrama über eine alternde Königin, deren Umfeld ihr nicht einmal neue Interessensgebiete gestattet, fließend zu vermitteln. «Victoria & Abdul» erweist sich vor dem Hintergrund der von der politischen Rechten immer lauter betriebenen Debatte über die "Islamisierung des Abendlandes" zudem als brandaktueller Film, ohne dabei den Moralfinger zu erheben: Wie sich der Hofstaat in Empörung übt, weil sich Victoria für indisch-muslimische Gebräuche interessiert, wissen Hall und Frears mit Dramatik und Biss vorzuführen.

Würde die Königin anfangen, Schmetterlinge zu sammeln, würde sie als kultiviert gelten. Will sie von Abdul in Zeremonien seiner Heimat unterrichtet zu werden, heißt es prompt, sie sei geisteskrank und/oder eine Gefahr für ihr Volk … Dass diese Sicht völlig abstrus ist, diskutieren die Filmemacher nicht mühevoll aus, sie setzen sie einfach und wirkungsvoll in den Kontext, wie dieser Fremdenhass den Titelfiguren schadet.

Leider lassen Frears und Hall die Nebenfigur des Mohammed, der zusammen mit Abdul nach England kommt, weitestgehend nur mit schnippischen Onelinern auffallen. Selbst wenn Darsteller Adeel Akhtar mit einem vielschichtigen Monolog eine der einprägsameren Szenen des Films bekommt, bleibt diese Figur unterentwickelt. Dass «Victoria & Abdul» obendrein Szenen voller Leerlauf sowie ungewohnt schmalziger Musikuntermalung durch Thomas Newman («Findet Nemo») aufweist, schmälert den Gesamteindruck weiter – dennoch bleibt ein Wohlfühldrama mit Intellekt übrig.

«Victoria & Abdul» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
28.09.2017 13:29 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/96107