Mit «Das Leben Danach» liefert Das Erste ein schockierendes, anspruchsvolles und realistisches Drama, das die Opfer der Loveparade in den Mittelpunkt rückt.
Antonia Schneider (Jella Haase) ist dabei Sinnbild für viele junge Menschen, die die Loveparade besuchten, um zu feiern und Spaß zu haben. Sie steht kurz vor dem Abitur und hat ambitionierte Pläne für ihre Zukunft – bis sie in den Tunnel der Duisburger Loveparade gerät. Auch sieben Jahre später hat sie die traumatischen Erlebnisse noch nicht verarbeitet. An ein normales Leben ist nicht zu denken, denn immer wieder wird Tony von Panikattacken, Albträumen und Erinnerungen geplagt, genauso wie von Trauer und Zerstörungswut. Wut auf die Verantwortlichen, die auch heute noch nicht für schuldig empfunden wurden. Doch nicht nur Antonia leidet unter ihrem Trauma, auch ihr Vater Thomas (Martin Brambach) und ihre Stiefmutter Kati (Christina Große) wissen nicht, wie sie ihr helfen sollen und sind mit ihren Kräften am Ende. In dem Taxifahrer Sasha Reinhard (Carlo Ljubek), der sie dabei erwischt wie sie die Gedenkstätte der Loveparade-Opfer zerstört, findet sie kurzzeitig Halt. Auch er behauptet mitten im Geschehen gewesen zu sein. Eine Lüge, wie sich bald herausstellt und ihn zur Zielscheibe von Antonias Wut macht, die daraufhin einen gemeinen Racheplan schmiedet, der sogar seinen Sohn Jasper (Jeremias Meyer) betrifft.
Die Stärke von «Das Leben Danach» liegt darin, dass die beiden Produzenten Valentin Holch und Christoph Bicker nicht versuchen zu klären, wer nun Schuld an der Katastrophe hat, sondern sich intensiv mit den Betroffenen und deren Innenleben auseinandersetzen. Dabei kommen aber auch die Angehörigen nicht zu kurz, die in vielen Filmen gerne vergessen werden, aber genauso stark unter der Situation leiden. Während die Augenzeugen ihr Leben lang unter dem erlittenen Trauma leiden und nicht nur von Panikattacken und Albträumen heimgesucht werden, die es ihnen unmöglich machen, einem normalen Leben nachzugehen, fühlen sich auch Familie und Freunde machtlos und zerbrechen unter dieser enormen Mammutaufgabe. «Das Leben danach» gelingt es beides perfekt einzufangen, auch wenn bisweilen der Fokus etwas intensiver auf Antonia Schneider liegt. Ihre Verzweiflung, Trauer, Hilflosigkeit und Wut werden dabei mit dunklen und beklemmenden Bildern unterlegt, die immer wieder von Erinnerungsfetzen an die Katastrophe unterbrochen werden. Dabei sind es schon kleine Dinge, die die traumatischen Erlebnisse wieder zum Vorschein holen und Antonia komplett aus dem Konzept werfen. Holch und Bicker fangen all diese Momente schonungslos realistisch ein und versuchen nicht die Probleme und das Leid der Hauptfigur zu beschönigen.
Sasha Reinhard gestaltet sich zu Beginn hingegen als Mysterium für den Zuschauer. Über die wahren Absichten des Taxifahrers werden die Fernsehenden zwar im Unklaren gelassen, aber zumindest hier lässt sich schon früh erahnen, in welche Richtung die Enthüllung geht und wie sich die Beziehung zwischen ihm und Antonia entwickeln würde. Dies hat dem Fernsehfilm aber auf keinen Fall geschadet, denn die weiteren Elemente und Wendungen der Handlung kommen völlig unvorhergesehen und münden in ein unkonventionelles Ende. Auf klassische Stereotypen und altbekannte Storylines wird gekonnt verzichtet, genauso wie auf große Effekthascherei. «Das Leben Danach» fesselt das Publikum durch tiefgründige Dialoge, intensive und emotionale Szenen und einen brillanten Cast, der die Figuren glaubhaft zum Leben erweckt. Dabei unterstreicht auch der Soundtrack die Katastrophe, um die es letztlich geht. Immer wieder wird auf Songs zurückgegriffen, die es auf der Loveparade all die Jahre zu hören gab. Dies tut ihr weiteres, um die emotionale Stimmung des Filmes weiter anzuheizen. Am Ende dürfte bei vielen Fernsehzuschauern kein Auge mehr trocken sein, wenn der Abspann über die Bildschirme läuft.
Fazit: Mit «Das Leben Danach» liefern Valentin Holch und Christoph Bicker eine Charakterstudie zweier Opfer der Loveparade, die nicht versucht, die Schuldfrage zu klären, sondern auf schonungslos, realistische Art und Weise aufzeigt, wie sich das Leben der Betroffenen durch die Tragödie verändert hat und mit welchen psychischen Problemen sie heute noch zu kämpfen haben. Antonia ist dabei Sinnbild für viele Jugendliche, die einfach nur einen Tag Spaß haben wollten und sich dann in einem Albtraum wiederfanden. Der ARD-Fernsehfilm überzeugt am Ende durch Unvorhersehbarkeit, einer schonungslos, ehrlichen Darstellung der Thematik, die für den Zuschauer sicherlich nicht immer leicht anzuschauen ist und einer brillanten Jella Haase, die ihre bisher intensivste schauspielerische Leistung abliefert.