Eine tolle Showidee nicht mit Anlauf gegen die Wand zu pfeffern: Das war das Motto der Stunde für RTL - und wurde geschafft. Das erhoffte Emotionsfeuerwerk konnte jedoch trotz schöner Geschichten und einer cleveren PR-Aktion rund um Birgit Schrowanges Haarpracht nicht gezündet werden.
Die Schlagworte "emotionales Fernsehen" und "RTL" sind schon für sich genommen nicht unbedingt welche, die bei allen Menschen zwingend positive Assoziationen hervorrufen. Zu oft haben allzu eifrige Fernsehschaffende die Gefühle ihres Publikums allzu sehr anregen wollen und gerade Deutschlands größter Privatsender war in dieser Beziehung lange Zeit tonangebend - weshalb die Kombination beider Schlagworte wohl kaum genannt werden kann, ohne dass zumindest im Hinterkopf negative Gedanken mitschwingen. «This Time Next Year» konnte man bei seiner Auftaktfolge den inneren Konflikt zwischen Sachlichkeitsbestrebung und Authentizitätsbemühen auf der einen sowie das Verlangen nach der großen Emotio auf der anderen Seite sehr deutlich anmerken. Und so kam etwas heraus, das von televisionären Abartigkeiten früherer Zeiten weit entfernt war, zugleich aber seltsam distanziert und unterkühlt daherkam.
Was den Machern und dem Sender wohl nicht ganz klar gewesen ist: das Konzept bietet für einige Zuschauer offensichtlich gehörigen Erklärungsbedarf. Während der Ausstrahlung fragten etwa bei Twitter diverse Nutzer nach, wie sie das Gesehene verstehen können und wie es konkret umgesetzt wurde. Und in der Tat hätte man das Vorgehen auch sendungsintern etwas transparenter darlegen können, denn mit den Produktionsabläufen nicht ganz so vertraute Zuschauer dürften wohl wirklich fragend gen Mattscheibe geblickt haben, als dieselben Menschen im selben Studio unter teilweise denselben Studio-Zuschauern und dem gleich angezogenen Jan Hahn plötzlich ganz anders aussahen, obwohl sie doch nur durch eine Türe gegangen sind.
Besonders ist in jedem Fall auch die Geschichte, die man sich zugunsten des großen PR-Getöses bis ganz zum Ende der Folge aufgehoben hat: Birgit Schrowange verspricht, endlich ihre grauen Haare offen zu präsentieren und auch ihre eigene Show «Extra» mit ganz authentischer Haarpracht zu moderieren. Hinter dem offensichtlichen Kalkül zugunsten großer Medien-Schlagzeilen und des Audience Flows steckt aber auch eine Botschaft, der man nur allzu gerne applaudieren mag: Frauen, schämt euch nicht davor, auch im Alter natürlich zu bleiben. Eine Message, die irgendwie jeder erst einmal gut findet, für die es bei Vielen aber auch wichtiger Vorbilder bedarf, um ihr ernsthaft nachgehen zu können. Dass Schrowange als eine solche Vorreiterin vorangeht, mag man als einigermaßen empathischer Mensch, der um die Schwierigkeiten weiß, die viele Frauen im höheren Alter mit der selbstbewussten Zurschaustellung ihres Körpers schlichtweg haben, kaum kritisieren.
Auf den ersten Blick verwundert das, immerhin überspannt RTL den Bogen zwar nicht allzu arg, setzt aber an einigen Stellen doch sehr bewusst auf Gefühlsduselei und ein Best-Of der schwülstigen Ballade der jüngeren internationalen Popgeschichte in den Einspielfilmchen. Das Publikum klatscht frenetisch, blickt gerührt in die Kamera und erhebt sich bisweilen gar zu "spontanen" Standing Ovations. Zugleich vermittelt das eher kühle Studio und die weitgehend steife und auf Standardfragen sowie zwar verbalisierte, aber ihm eben nicht in seiner Gestik und Mimik anzumerkenden Moderationsweise von Jan Hahn ein seltsames Empfinden der Distanziertheit, die während des Schauens eigentlich immer nur dann weicht, wenn sich das Gesehene komplett auf die Kandidaten richtet. Wohl auch, weil es hier (zum Glück) ungefilterte Eindrücke, Äußerungen und Reaktionen zu sehen gibt und kein teildressiertes Publikum oder einen Moderator, der nur das Minimum an Empathie zu liefern vermag, um nicht als völlige Fehlbesetzung bezeichnet werden zu müssen. Wer die Neuauflage des «Glücksrads» schon einmal gesehen hat, wird sagen: Immerhin, eine Steigerung - aber eben auf sehr niedrigem Niveau.