Was kommt nach Pablo Escobar?

Die Netflix-Serie «Narcos» steht vor einer Zeitenwende: Kann sie sich erfolgreich von den ersten beiden Staffel emanzipieren? Wir warfen einen Blick auf die neuen zehn Folgen.

Cast & Crew

  • Drehbuch: Carlo Bernard, Chris Brancato, Doug Miro
  • Cast: Pedro Pascal, Damián Alcázar, Francisco Denis, Alberto Ammann, Matias Varela
  • Musik: Pedro Bromfman
  • Produktion: Dynamo, Gaumont International Television, Netflix
Spoilerwarnung: In diesem „First Look“ werden Inhalte aus Staffel 1 und 2 von «Narcos» gespoilert. Wichtige Ereignisse aus Staffel 3 werden nicht vorweggenommen.

Was kommt nach Pablo Escobar? Diese Frage stellte sich nicht nur aus historischer Sicht in den 90er Jahren, als der kolumbianische Drogenbaron von einer Spezialeinheit erschossen wurde. Auch die Netflix-Serie «Narcos» steht nach dem Ende der zweiten Staffel vor derselben Problematik. Denn wie soll es weitergehen mit der Produktion, in der man mit Escobar nicht nur inhaltlich, sondern – vertreten durch Wagner Moura – auch schauspielerisch eine der tragenden Säulen verliert? Netflix war sich offenbar sicher, dass Carlo Bernard, Chris Brancato und Doug Miro dieses schwierige Unterfangen meistern würden. Der Streaminganbieter verlängerte die Produktion im vergangenen September gleich um zwei Staffeln und zeigte damit den Willen, auch langfristig eine inhaltliche Neuorientierung ohne Pablo Escobar anzustreben.

The Gentleman of Calí


Die US-amerikanische Drogenvollzugsbehörde (DEA) sah sich in den 90er Jahren mit dem Kuriosum konfrontiert, dass der Kokain-Import in die USA trotz des zerfallenden Escobar-Imperiums weiterhin anstieg. Denn während sich ganz Kolumbien auf die Jagd nach den Drogenbaron konzentrierte, schwang sich im Schatten dieses Kriegs das Calí-Kartell zum größten Kokain-Produzenten der Welt auf. Im Gegensatz zu Escobar, der gerne die Öffentlichkeit und die Liebe der Massen von Medellín suchte, agierten die „Gentleman of Calí“ vornehmlich im Schatten und gingen Schulter an Schulter mit den Eliten des Landes. Statt eines einzelnen Antagonisten präsentiert uns «Narcos», weiterhin inspiriert von wahren Geschehnissen, in der dritten Staffel gleich ein ganzes Team von korrupten Drogenbaronen, die von der DEA gejagt werden. Im Mittelpunkt standen dabei die Brüder Gilberto und Miguel Rodriguez (Damián Alcázar und Francisco Denis), die nach dem Tod Escobars zu den neuen Staatsfeinden mutierten.

Aus Zuschauersicht kommen die neuen Drogenbarone nicht an die Faszination eines Pablo Escobar heran. Wagner Moura gelang es während der ersten beiden Staffeln, dem grausamen Massenmörder im Stile eines Antihelden sogar eine sympathische Seite als Familienmensch zu geben. Nichtsdestotrotz bietet die Führungsebene des Calí-Kartells die ein oder andere spannende Figur. Vor allem Pacho Herrera (Alberto Ammann) als offen homosexuell lebender, aber den anderen Calís in Grausamkeit in nichts nachstehender Drogenhändler – und der sadistische David Rodriguez (Arutor Castro), Sohn von Miguel Rodriguez, der aufgrund einiger Joffrey Baratheon-Momente den blanken Hass im Zuschauer hervorholt.

Emanzipiert von Escobar?


Aber nicht nur Pablo Escobar verschwindet aus dem Line-Up der Serie. An die Stelle von DEA-Agent Steve Murphy (Boyd Holbrook), der bis dato die für «Narcos» charakteristischen und eindrucksvollen Voice-Overs übernahm, rückt sein Partner Javier Peña. Bereits in der zweiten Staffel war Peña der deutlich spannendere Ermittler, weshalb Pedro Pascals Beförderung zur leitenden Figur der Serie nicht nur gerechtfertigt, sondern auch eine willkommene Abwechslung zu Holbrook ist. Der beförderte DEA-Agent bekommt für seine Jagd nach den Rodriguez-Brüdern mit Chris Feistl (Michael Stahl-David) und Daniel Van Ness (Matt Wheelan) zwei neue Partner zur Seite gestellt, die aber im Laufe der dritten Staffel recht farblos bleiben. Etwas interessanter kommt Jorge Salcedo (Matias Varela) daher, der Sicherheitschef des Calí-Kartells, den die Produzenten als neuen emotionalen Fixpunkt der Serie aufbauen wollen – zerrissen zwischen der Grausamkeit des Kartells und Sorge um seine Familie. Seine Charakterzeichnung ist aber vor allem zu Beginn der Staffel recht eintönig und vorhersehbar.

Bilden die neuen Figuren und Schwerpunkte nun einen geeigneten Rahmen für die Emanzipation der Serie von Escobar? Auch die dritte Staffel «Narcos» ist ein erstklassig produzierter und spannender Thriller, der nicht mehr im hohen Takt der ersten beiden Seasons schlägt. Trotzdem überzeugt beinahe jede Episode mit einem packenden Höhepunkt. Darüber hinaus gestalten Bernard, Brancato und Miro dem Zuschauer den Übergang zwischen Staffel zwei und drei möglichst leicht: viele der von nun an relevanten Figuren waren bereits in den vorangegangenen Jahren zu sehen. Insgesamt sinken die Englisch-Anteile der Serie, auch die Verknüpfung mit historischem Filmmaterial lässt nach. Letztlich bleibt der Eindruck, dass die dritte Staffel «Narcos» noch stärker auf den lateinamerikanischen Markt zugeschnitten ist, was den Unterhaltungswert für anderssprachige Zuschauer aber definitiv nicht mindert.

Fazit: «Narcos» bleibt dank der hochklassigen Produktion eines der spanischsprachigen Flaggschiffe von Netflix, auch wenn sich der Verlust von Wagner Moura als Antiheld Pablo Escobar in der dritten Staffel durchaus bemerkbar macht und von den neuen Antagonisten nicht vollständig aufgefangen werden kann. Die Serie emanzipiert sich letztlich aber erfolgreich von den ersten beiden Staffeln und bleibt ein hochspannender Thriller.

Die dritte Staffel steht ab sofort auf Netflix zum Abruf bereit.
01.09.2017 12:00 Uhr  •  Robert Meyer Kurz-URL: qmde.de/95447