Das neue Sky Sport HQ: '360-Grad-Ansatz und grafische Elemente als Differenzierungsmerkmal'

Großer Tag für Sky: 5 Millionen Kunden und die Eröffnung des neuen Sport-Produktions-Zentrums Sky Sport HQ. Zehn Monate lang plante Alessandro Reitano, Produktionschef von Sky, am neuen Studio einen Steinwurf von der Sky-Zentrale entfernt. Im Interview spricht er über Inspirationen, den Trend Augmented Reality und den gewählten 360-Grad-Ansatz. Außerdem: Exklusive Bilder aus Skys neuem "Home of Football".

Sky Sport HQ - Facts

  • 4.600 Quadratmeter Gesamtfläche
  • vier Studios auf 1.700 Quadratmetern
  • 50 Kilometer Kabel
  • 1.000 Terabyte Speicherplatz
  • bis zu 76 Live-Signale gleichzeitig
  • 84 Quadratmeter große LED-Wand
  • 90 feste Mitarbeiter. Insgesamt werden samstags rund 125 Mitarbeiter an der Sky-Produktion beteiligt sein, sonntags sogar bis zu 200.
  • 1. Sendung aus dem großen Studio: «Wontorra» am 13. August, danach Samstags-Konferenz am 19. August. Aus dem kleineren Studio: 2. Liga ab 28. Juli.
Das Champions League-Finale Anfang Juni war die letzte Sendung aus der alten Heimat auf dem Plazamedia-Gelände. Wie viel Wehmut kam da bei Ihnen und Ihren Kollegen auf?
Alessandro Reitano: Wir waren dort 18 Jahre lang. Das war eine sehr familiäre Umgebung. Man kennt die Leute dort, kennt das Produkt und ist wirklich dort “zu Hause”. Dann wurde die Entscheidung gefällt, dass wir etwas Eigenes aufbauen, aber natürlich war dieser Abschied verbunden mit Wehmut.

Wenn man schaut, wie die Zeiten sich ändern und wie wir produzieren wollen, dann ist das auch die absolut richtige Entscheidung. Letztlich haben wir eine komplette Kette: Ich kaufe ein Recht ein, ich produziere das Recht, ich möchte die Prozesse entsprechend anpassen. In dem Wettbewerb, in dem wir stehen, müssen wir einfach sehr schnell reagieren können.

Ergo: Sky kann jetzt noch innovativer werden, weil eine Idee von heute Morgen schon im Studio getestet werden kann?
Ja, genau darum geht es uns: Wir hatten bisher immer eine Anfahrt von rund vier Kilometern. Das klingt nicht so wild, aber wenn man bedenkt, dass wir hier in der Zentrale etwas vorbereiten, dann aber erst die Strecke zurücklegen müssen, dann ist das nicht optimal.

Jetzt ist alles fußläufig erreichbar. Wir können alles im Hause zügig konzipieren, gehen rüber und entscheiden dann, ob die Dinge On Air gehen können.

Was ist Augmented Reality

Als Augmented Reality bezeichnet man die Vermischung aus realen Elementen und Virtuellen: Etwa wenn ins reale Bild virtuelle Figuren und Grafiken projiziert werden. Im neuen Studio gibt es insgesamt acht Kameras - die eingesetzte Spider-Cam (eine an Seilen fliegende Kamera) wird etwa in virtuelle Stadien "hineinfliegen" können und dort z.B. Aufstellungen darstellen. Zwei Kameras sind mit nCam-Tracking-System ausgestattet.
Wie oft braucht man sowas? Die bahnbrechenden Ideen gibt es doch gar nicht so häufig.
Es geht um die Kleinigkeiten. Wenn man das Produkt betrachtet, dann sieht man die vielen Prozesse nicht, die dahinter stecken, damit zum Beispiel eine Aufstellung mal aus dem Boden heraus schießt als Grafik. Da steckt sehr viel (Programmier-)Arbeit im Hintergrund. Wir verändern diese Prozesse immer wieder. Wir nehmen uns für die Zukunft, was die Verschmelzung der virtuellen mit der realen Welt angeht, richtig viel vor. Wir sprechen von Augmented Reality, getrackten Kameras. Und da brauchen wir jeden Tag, um in unseren eigenen Räumen Prozesse anzuschieben, die letztlich auch für Effizienz sorgen.

Jetzt war es ein Glücksgriff, dass fast direkt neben der Sky-Zentrale ein leeres Gebäude stand, das früher von BR oder ZDF genutzt wurde…
Absolut! Binnen zehn Monaten - inklusive Genehmigungen - einen Neubau hochzuziehen, das wäre nicht möglich gewesen. Entsprechend sind wir da heilfroh. Wir mussten uns in dieser Zeit auch die neue Technik anschauen, uns fragen, in welchen Punkten sich die Redaktion künftig umstellen muss. Wir sind jetzt in einem Gebäude, das in den 60ern gebaut wurde. Da waren die grundsätzlichen Räume vorgegeben. Wir haben uns also die Fläche angeschaut und gefragt, wie man das für eine moderne Produktionskette abbilden kann.



Lesen Sie auf der nächsten Seite: Reitano über die ersten grundsätzlichen Überlegungen beim Studiobau und den Mehrwert gegenüber Produktionen im Stadion.


Was waren die ersten Überlegungen?
90 Prozent der Sender konzipieren ein Studio aus der 180 Grad Perspektive. Da gibt es eine Wand, einen Tisch und Moderatoren und Experten. Wir haben uns für einen 360-Grad-Ansatz entschieden. Es gibt den klassischen Tisch, eine große Projektionsfläche. Aber wir haben auch eine News-Insel, die sich direkt im Raum befindet.
Sky Produktionschef Alessandro Reitano
Wir waren ja lange mit der Bundesliga im Stadion. Wir haben uns das Thema angeschaut, wie wir unter Berücksichtigung der technischen Gegebenheiten auf dem Markt hochwertig und effektiv produzieren können.

Wie viel Output kann ich da generieren und was brauche ich dafür? Das war die Kernüberlegung für die technische Infrastruktur. Dann ging es um Inhalte: Wir haben samstags jetzt eine durchgehende Schiene von 13 bis 21 Uhr. Dafür braucht man eine gute Heimat: So war uns klar, dass wir ein flexibles Studio benötigen. Und dann ging es ans Gestalten.

90 Prozent der Sender konzipieren ein Studio aus der 180 Grad Perspektive. Da gibt es eine Wand, einen Tisch und Moderatoren und Experten. Wir haben uns für einen 360-Grad-Ansatz entschieden. Es gibt den klassischen Tisch, eine große Projektionsfläche. Aber wir haben auch eine News-Insel, die sich direkt im Raum befindet. Die Kollegen sitzen quasi im Studio und können jederzeit eingebunden werden, wenn etwas passiert. Es wird auch noch eine virtuelle Welt mit einem Green-Box-Studio geben. Dieser Ansatz ist neu, den gibt es bisher so nicht. Am Ende soll der Zuschauer einen Mehrwert haben.

Welchen Mehrwert bietet denn der Gang ins Studio? Konferenz und Topspiel im Stadion war doch auch gut.
Natürlich gibt es Leute, denen das auch reicht. Aber ich sage: Jetzt wird es wesentlich besser - und zwar aus vielen Gründen. Wir wollen Emotionen gut transportieren - deshalb unsere riesige LED-Wand, mit der wir auch die Atmosphäre im Stadion transportieren können. Darüber hinaus haben wir bessere Möglichkeiten beim Storytelling: Am Spielfeldrand ist man da immer ein bisschen eingeschränkt. Ich kann jetzt auf Dinge, die im Newsroom im Sky Gebäude auf der anderen Straßenseite passieren, deutlich schneller reagieren. Mit dem Sendezentrum schaffe ich die Möglichkeit, die Info sofort auf allen Plattformen zu publizieren.

Im großen Studio hat Publikum Platz…
72 Personen, für «Wontorra – der Fußball Talk» am Sonntag und für die Champions League am Dienstag und Mittwoch. Am Wochenende bei der Bundesliga nutzen wir diese Fläche für unsere Green-Box und somit die virtuellen Elemente.

Das zweite Studio ist kleiner und wird für die zweite Liga, den Pokal oder die Europa League genutzt. Eigentlich hat das zweite Studio die gleiche Fläche. Beide sind 600 Quadratmeter groß. Das Studio B ist aber geteilt. In einer Hälfte steht das Set für «Sky 90», die andere Hälfte wird für die oben genannten Rechte genutzt.

«Sky90» hat sich sehr abgehoben mit seinem Set - bisschen zurück in die 60er. Wie sieht es künftig aus?
1:1 so wie bisher. Das Set ist so zeitlos und toll, dass wir nichts ändern wollten. Das Zweitligaset sieht ein bisschen anders aus, aber es ist angelehnt an das Haupt-Set in unserem “Home of Football”. Auch dort werden wir mit grafischen Elementen arbeiten. Ohnehin sind grafische Elemente künftig eines der deutlichsten Differenzierungsmerkmale der Sky-Fußball-Berichterstattung.

Sehen Sie auch Nachteile? Etwa weil die Gesprächspartner in der Halbzeitpause weit weg sind, nämlich im Stadion?
Ich kann solche Gespräche dank der technischen Neuerungen inzwischen doch sehr sehr schnell auch ins Studio bringen. Das ist der Weg, den man produktionstechnisch geht. Wir müssen dann im Stadion nicht mehr zusätzliche zehn Kameras installieren, die wir für unsere Rahmenberichterstattung brauchen. Im neuen Bundesliga-Konzept für das Topspiel am Samstagabend gibt es über 20 Kameras, sieben mehr als bisher. Das Basis-Signal der DFL ist also so hochwertig, mit Spider-Cam, mit Highspeed-Cam, mit SuperSlomo - was brauchen wir dann noch? Super Inhalte: Also Grafiken, Inhalte, Meinungen. Die bekommen wir durch die schnelleren Wege, also Glasfaserstrukturen, direkt zu uns ins HQ.



Und auf der dritten Seite: Was ändert Sky bei der Konferenz? Und wieso bleibt der Handball in den Stadien?


Neu machen sie auch die Konferenz: Sie sprechen von einem Konferenzstudio.
Man muss sich den Raum für die Konferenz künftig als Bühne vorstellen. Jeder Konferenz-Kommentator hat eine kleine Kamera an seinem Platz - wir können sie also immer ins Bild nehmen und die Reporter können mit dem Studio interagieren.
Sky Produktionschef Alessandro Reitano
Wir machen künftig eine offene Konferenz aus unserem dritten Studio, das 250 Quadratmeter groß ist. In diesem stehen zwölf Highlight-Boxen, in denen der Kommentator, sein Redakteur und ein Server-Operator sitzen.

Auch dort wollen wir eine stärkere Interaktion zum Hauptstudio haben. Es gibt zwischen dem Konferenzstudio und unserem großen Studio eine Verbindungsbrücke. Man muss sich den Raum für die Konferenz künftig als Bühne vorstellen. Jeder Konferenz-Kommentator hat eine kleine Kamera an seinem Platz - wir können sie also immer ins Bild nehmen und die Reporter können mit dem Studio interagieren. Auch hier sehen Sie wieder unseren 360-Grad-Gedanken. Vielleicht beraubt man die paar Zuschauer, die geglaubt haben, die Konferenz kommt aus dem Stadion, einer Illusion. Aber das nehmen wir in Kauf, weil wir überzeugt sind, dass unser neues Konzept gut ist.

Bleibt noch ein Studio übrig..
Das ist noch nicht besetzt. Wir überlegen uns da noch etwas Schönes (grinst).

Hingucker im neuen großen Studio ist eine 87 Quadratmeter große LED-Wand…
… das sind 35 mal 2,40 Meter. Es geht da aber nicht um die Größe. Das ist eine Konstruktion von Set-Designer Florian Wieder, der viel im Showelement unterwegs ist. Er macht auch die Bühnen für den «ESC». Wir haben uns im Prozess also gefragt, wo und wie die Grenzen zwischen Show und Sport verschwimmen. Wir werden also Dinge machen, die so in der Sportberichterstattung neu sind.

Wo lässt man sich inspirieren beim Studio-Design? In Amerika ist viel gigantomanisch… in Spanien ist man da noch zurückhaltender.
Wir haben uns ein Stück weit in Amerika inspirieren lassen und schauen uns an, wie unsere Kollegen in den USA produzieren. Gigantomanie gibt es dort sicher. Aber wir sind nicht ESPN mit mehr als 1500 Quadratmetern Studiofläche, aber wir sind Sky Deutschland mit 600. Sehen Sie: Wir haben das Gebäude, Studios von 600 Quadratmetern und 13 Meter Deckenhöhe. So etwas gibt es hier heutzutage kaum bis gar nicht mehr. Und wenn man dann das Auge für so etwas hat, schießen einem dort auch direkt in den Räumlichkeiten erste Ideen in den Kopf.

Weg vom Studio, das präsentiert wurde. Was plant Sky im Stadion? Früher gab es die Spider-Cam, dann gab es einen FreeD-Test. Was kommt Neues?
Das Basis-Signal der Bundesliga ist so hochwertig mit seinen über 20 Kameras. Und wenn da schon so viele stehen, dann braucht es nicht zwingend weitere. Das Unterschneiden des Basis-Signals würde dann so komplex werden, dass es den Aufwand nicht rechtfertigt.

Machen all diese neuen Kameras Sinn?
Ich glaube, man muss sich den Grundsatz vor Augen führen, zu einer bedarfsorientierten Herangehensweise zurückzukommen. 70 Prozent wird doch die Kamera 1 geschnitten. Und wenn dann noch 30 Prozent bleiben, dann ist das nicht so viel. Zumal die Zuschauer auch gerne die Kamera 1 sehen, um taktische Dinge zu verstehen.
Sky Produktionschef Alessandro Reitano
Ich glaube, man muss sich den Grundsatz vor Augen führen, zu einer bedarfsorientierten Herangehensweise zurückzukommen. 70 Prozent wird doch die Kamera 1 geschnitten. Und wenn dann noch 30 Prozent bleiben, dann ist das nicht so viel. Zumal die Zuschauer auch gerne die Kamera 1 sehen, um taktische Dinge zu verstehen. Es gibt Spiele, da werden von den über 20 Kameras überhaupt nur sieben geschnitten. 2012 hatten wir beim Champions League-Finale 42 Kameras im Einsatz. Das war Gigantomanie. In diesem Sinne sind die mehr als 20 Kameras auf jeden Fall in Ordnung. Das ist sicher im Sinne des Produkts. Aber wir brauchen dann keine zusätzlichen Sky Kameras. Unsere Mehrwerte passieren im Studio mit Analysetechnik.

Aber Augmented Reality ist auch im Stadion weiter ein Thema - also etwa durch Freistoßentfernungen und so weiter?
Natürlich, das bleibt unverändert. Wir haben ja auch weiterhin unsere eigene Regie im Stadion.

Wo geht es hin? Was kann man sich von LaLiga oder Premier League abschauen?
Es wird Lighthouse-Produktionen geben mit Spider-Cam, UHD und noch besseren Kamerapositionierungen. An all das müssen wir uns herantasten und die vorhandene Technik noch besser nutzen. Wir machen momentan 1 UHD Match pro Spieltag. Wenn die Liga mehr Spiele in UHD anbietet, dann müssen wir die sich daraus ergebenden Möglichkeiten auch optimal nutzen. Das wird spannend.

Wir haben so viel über Fußball gesprochen. Ihr habt Handball dazu bekommen - aber aus dem Stadion. Warum? Und was hat es mit dem Gerücht auf sich, dass ihr einige Spiele automatisiert mit nur zwei Kameras fahren werdet…
Im Stadion sind wir einerseits aus Platzgründen und andererseits, weil wir bei der HBL - anders als in der Fußball-Bundesliga - auch Host-Broadcaster sind. Wir sind also ohnehin mit zahlreichen Kameras vertreten. Handball ist ein anderer Sport: Die moderierte Konferenz etwa mit Gregor Teicher wird ein neues Format sein - ein bisschen so wie «RedZone» von der NFL. Das fahren wir hier aus Sky Sport HQ. Was Sie noch ansprechen. Es gibt Spiele, die wir mit weniger Kameras produzieren.

Die Technik ist soweit - es gibt keine Latenz-Zeiten mehr aus der Strecke von vor Ort bis hier. Die Kameras werden aber mit Kameraleuten besetzt sein, sie sind also nicht automatisiert. Es gibt obendrein noch eine Kommentatoren-Kamera. Wir werden dann aber bei uns im HQ den Schnitt vornehmen. Das werden wir ausprobieren. Das ist auch etwas, das wir vorher nur bedingt probieren konnten.

Danke für das Interview.
Auf der nächsten Seite: Weitere Bilder & Kurz-Statements von Sky Deutschland-CEO Carsten Schmidt und Sportchef Roman Steuer.





27.07.2017 21:40 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/94727