Das deutsche Fernsehen von Anno Tobak: War früher wirklich alles besser?

Viele wunderbare Perlen hat uns die deutsche Fernsehlandschaft beschert. In der gefühlsduselig verklärten Rückschau erscheint uns die Vergangenheit oft schöner, bunter und relevanter. Doch was ist dran an der Erinnerung? Welchen Ursprung und Einfluss hatten die damaligen Formate wirklich? Gibt es die Chance auf ein Comeback?

Die heile deutsche Fernsehwelt


Schaut man sich einmal genauer an, wie deutsche Produktionen heutzutage dem US-Vorbild einer perfekt durchgestylten Welt hinterherhecheln, lohnt der Blick in den Rückspiegel. Nicht erst, seit Til Schweiger den Hamburger «Tatort» zu einer Krawumm-Orgie machte oder Amazon mit «You are Wanted» dem Thema deutsche Serie jegliche Identität nahm. «Homeland» hatte da mit einer Berlin-Staffel fast mehr Lokalkolorit zu bieten, als das bemüht-coole Schweighöfer-Vehikel, das mit jedem beliebigen Cast in jeder beliebigen Stadt der Welt hätte spielen können. Dass man obendrauf auch noch einen sperrigen englischen Titel vergab, war da nur noch konsequent.

Damals sah das alles noch ein wenig anders aus. Da prägte die deutsche Familienserie das Bild der öffentlich-rechtlichen und später auch der privaten Sendeanstalten. Wir haben es hier mit einer TV-Phase zu tun, als der Worst Case des Tages in der moralinsauren Standpauke von Vera Drombusch („Du kannst nicht immer das größte Stück vom Kuchen haben, Marion!“) oder kauzig-neckenden Anranzern von Oberschwester Hildegard bestand. Doch irgendwann war Schluss mit den Drombuschs, Wicherts &, Schumanns, den Geschichten vom Schloss am Wörthersee oder dem Süderhof.

Berlin wie es lebt und lacht: Die Wicherts


In Berlin inszenierte das ZDF nach einer Idee von Justus Pfaue von 1986 bis 1991 «Die Wicherts von Nebenan». Rund um Vater Eberhard (Stephan Orlac), Mutter Hannelore (Maria Sebaldt) und die Söhne Rüdiger (Jochen Schroeder) und Andreas (Hendrik Martz) menschelte sich ein illustrer Cast durch typisch deutsche Alltagsprobleme. Dabei war schon Eberhard als Angestellter der Möbel-Union maximal deutsch. Dazu gesellten sich passende Begleitumstände: Randlage in Berlin, Reihenhaus, Chorabende in der Eckkneipe. So lebte Deutschland. Eberhards tägliche Probleme im Möbelhaus ergänzte man durch die Versuche seiner Frau, im Keller einen Getränkehandel zu betreiben oder die wechselnden Freundinnen seiner Söhne. Unaufgeregt verfolgte man hier einen Mikrokosmos deutschen Lebens der Achtziger und Neunziger vom morgendlichen Kaffee bis zum abendlichen „Gute Nacht, Schnuppe“.

Wiederholungen auf Nischensendern funktionieren selbstverständlich auch heute noch für eine retro-affine Zielgruppe, ein Comeback jedoch könnte man trotz Machbarkeit (einzig die Darsteller der Großeltern sind bereits verstorben) aber wohl niemandem mehr verkaufen.

In Darmstadt will man hoch hinaus: Diese Drombuschs


Eine Stufe gehobener ging es immer schon bei den Drombuschs aus Darmstadt zu. Dort verfolgte man bereits ab der ersten Staffel höhere Pläne, als nur weiterhin das Antiquitätengeschäft im Herzen der Stadt zu betreiben oder den drei Kindern beim Aufwachsen zuzusehen. Vater Siegfried (Hans-Peter Korff) und Mutter Vera (Witta Pohl) fanden in der Alten Mühle ihre Wunschimmobilie und steckten fortan alle Energie in die Umsetzung ihrer Träume, was Sigfried schließlich gar mit dem Leben bezahlte. Durch andere spannende Figuren wie Onkel Ludwig (Günther Strack) hielt die Serie jedoch lange ihr hohes Niveau und begeisterte zwischen 1983 und 1994 das deutsche Publikum in Scharen. Ein Straßenfeger, der heute undenkbar wäre. Da leider ein Großteil des Casts bereits verstorben ist (Günther Strack, Witta Pohl, Mick Werup, Grete Wurm, Jane Tilden), kann es hier keine Fortsetzung mehr geben - die Geschichte war aber ohnehin auserzählt.

«Diese Drombuschs» wandelten immer am Rande des etwas zu hoch erhobenen, moralischen Zeigefingers, besonders wenn Mama Vera ihre Kinder, ihren Mann oder gegebenenfalls jeden anderen Beteiligten mit großen Worten maßregelte. Doch auch das war dann wieder irgendwie ein Abbild der damaligen Zeit. Witta Pohl stellte eine starke Frauen- und Mutterfigur da, die ihren Alltag mit Biss, Energie und viel Gefühl meisterte und die Rolle der Familienmanagerin oder Mutter der Nation wie kaum eine zweite prägte. Dass dazu die Zeichnung ihrer Familie und der täglichen Probleme äußerst präzise gelang, ist als große Leistung von Robert Stromberger anzusehen.

Der Rest vom Fest: Patchwork in Berlin und Idylle am Wörthersee


Doch da war noch mehr! Werbegrafiker Werner Schumann (Peter Weck) heiratete gleich eine ganze Familie (mit Mama Angelika alias Thelka Carola Wied) und lebte der Bevölkerung das Wunder des Patchwork vor. Mit viel Humor und Charme lief die Serie von Curth Flatow von 1983 bis 1986 und lehrte dem Otto Normal, dass Familie Definitionssache ist.

RTL schickte Roy Black bis zu dessen tragischem Tod an den wunderschönen Wörthersee und verzauberte die Deutschen mit Naturaufnahmen, Gaststars, Glamour und seidendünnen Geschichten rund um Intrigen und Liebe: Dallas light, könnte man sagen.

Doch egal wohin man schaut, ob in den Schwarzwald, auf den Süderhof oder in der Praxis von Dr. Stefan Frank: Den deutschen Serien der Achtziger und Neunziger wohnte stets der gleiche unverwechselbare Zauber inne, die Zeit einzufangen und uns das Leben in der Nachbarschaft spannend und liebevoll nachzuerzählen. Dass man dazu oft noch die damalige Creme de la Creme der deutschen Darstellerriege einsetzte, macht das Ganze auch heute noch sehenswert.

War das Kunst oder konnte das weg?


Eines lässt sich über die Familienformate der Vergangenheit eindeutig sagen: Damals durften wir noch uneingeschränkt urdeutsch sein. Piefig, spießig, spleenig - irgendwie ganz schön normal.

Die Macher trauten sich, die hippen Themen beiseite zu lassen und die Menschen nachzuzeichnen - so wie sie eben waren. Den Eberhard von Nebenan, die tüdelige Oma Drombusch, den aalglatten Dr. Stefan Frank, den Kumpeltyp Werner Schumann oder die sperrige Oberschwester Hildegard.

Heute erinnern nur noch aus der Zeit gefallene Formate wie «Das Traumschiff» an diese unbeschwerte Zeit deutscher Identitätsbeschau. Nötig und zeitgemäß ist ein Revival alter Formate aber ohnehin in den meisten Fällen nicht. Alles hat seine Zeit - und wenn wir sie einmal zurückdrehen wollen, wissen wir ja, was wir in den Player einlegen müssen.
12.07.2017 11:00 Uhr  •  Björn Sülter Kurz-URL: qmde.de/94339