Jessica Chastain war für ihre Rolle als knallharte Lobbyistin in dem Politthriller «Die Erfindung der Wahrheit» für den Golden Globe nominiert. Und auch sonst ist der neue Film von «Shakespeare in Love»-Regisseur John Madden ein waschechter Geheimtipp.
Nie wurde in der Filmbranche lauter nach starken Frauenrollen verlangt, als heute. Und wenn ein Film eine solche bietet, dann ist es aktuell «Die Erfindung der Wahrheit», in welcher die Frage danach, welches Geschlecht die Hauptfigur hat, zu keinem Zeitpunkt gestellt wird. Diese Elizabeth Sloane weiß sich im männerdominierten Politbusiness mit einer absoluten Selbstverständlichkeit durchzusetzen, nimmt die Dienste von Callboys in Anspruch, schluckt Aufputschmittel und geht bis zum Äußersten, um ihre Kunden zufriedenzustellen, ohne dabei an Weiblichkeit zu verlieren. Jessica Chastain legt so viel Leidenschaft in ihre Performance, dass sie mit ihrer unnahbaren, jedoch gleichsam bewundernswerten Figur verschmilzt. Einfach macht sie es dem Zuschauer indes nicht. Elizabeth Sloane ist keine Person, mit der man sich spontan gern umgeben würde. Dafür wirkt ihr Auftreten zu kalkuliert, ihr Handeln zu sehr darauf bedacht, wie es von ihrer Umgebung wahrgenommen wird.
Angetrieben von der herausragenden Performance Jessica Chastains und unterstützt von den ebenfalls starken Leistungen ihrer Co-Darsteller Mark Strong («Kingsman: The Secret Service»), Michael Stuhlbarg («Doctor Strange»), Alison Phil («Hail, Caesar!») und – ganz besonders – Jake Lacey («How To Be Single») als undurchschaubarer Callboy Forde, entspinnt sich auf der Leinwand ein Geflecht aus Lügen, Intrigen und gezielt auf Sieg ausgelegten Machenschaften, die sich allesamt mit Kampagnen für und wider das US-amerikanische Waffenrecht befassen. Während die einen den lockereren Umgang mit dem Gebrauch von Schusswaffen befürworten, setzen sich die anderen dafür ein, dass endlich strengere Auflagen gelten sollen – und schrecken in einer beispielhaft inszenierten Talkshowsequenz auch auf beiden nicht vor reißerischen Tricks und billigen Schockeffekten zurück. Immer wieder stellt sich in «Die Erfindung der Wahrheit» die Frage, wie sehr der Zweck die Mittel heiligt. Denn so bemerkenswert die Pläne von Elizabeth Sloane und ihrem Team auch sein mögen, scheut sie doch nicht davor zurück, ihr anvertraute, nahe stehende Personen ans System zu verraten. Im Grunde weiß man trotz der klaren thematischen Positionierung nie so recht, wem man in diesem Schlagabtausch eigentlich die Daumen drücken soll, denn Leichen haben sie alle im Keller. Doch am Ende geht es hier nicht um das Was, sondern um das Wie.
Einen erzählerischen Bogen erhält «Die Erfindung der Wahrheit» mithilfe eines Gerichtsprozesses, in welchem sich Elizabeth für unlautere Arbeitsmethoden verantworten muss, die sie ihren Job kosten könnten. In Rückblenden erzählt, erlebt der Zuschauer die vergangenen Monate aus verschiedenen Blickwinkeln und erhält so ein allumfassendes Bild von dem, womit sich die US-amerikanische Politik abseits des (mittlerweile auch in der Realität nicht mehr vorherrschenden) schönen Scheins auseinander setzt. Irgendwo zwischen den dystopisch angehauchten, äußerst pessimistischen Dramen in «House of Cards» und den satirisch-amüsanten Reibereien aus «Thank You For Smoking» entwickelt «Die Erfindung der Wahrheit» einen mitreißenden, dramatischen und trotz seiner Dialoglastigkeit hochspannenden Drive, den Kameramann Sebastian Blenkov («The Riot Club») in kühl-elegante Bilder kleidet. Wenn Drehbuchautor Jonathan Perera (der, man glaubt es kaum, mit diesem Skript sein Debüt abliefert) auf der Zielgeraden das ganze Ausmaß an Schmutz, Misstrauen und politischer Verachtung auf den Zuschauer loslässt, dann werden sich an dieser konstruierten Provokation mit Sicherheit die Geister scheiden. Doch wohl vor allem daran, wie weit wir heute noch von dem entfernt sind, was da auf der Leinwand zu einem fassungslos machenden Thriller wird.