Netflix ist eine Art Stress-Test für Fernsehanbieter

Thomas Prantner hat sich in Österreich einen Namen gemacht: Er ist stellvertretender Direktor für Technik, Online und neue Medien beim ORF – einem Sender, bei dem viel in Bewegung ist. Seine Interviews schlagen gerne mal Wellen. Mit uns hat er über Netflix und Co gesprochen.

Bittet man den Dienst Google im Web etwas über Thomas Prantner vom ORF herauszufinden, dann kommt man schnell auf eine Ahnung, welch ungewöhnlicher Fernsehmanager Prantner ist. Es ist keine drei Monate her, da hat der stellvertretende Leiter der Technik-, Online- und Neue-Medien-Redaktion seinen eigenen Sender kritisiert. Fernsehen solle keine Anklagebank sein. Es sei unzumutbar, wenn ein TV-Studio wie ein Verhörraum wirke. Prantner, so viel ist klar, gilt als Mann der klaren Worte. Vielleicht kann er das auch, weil der 52-Jährige in seinen Bereichen eine längere Liste an ziemlichen Erfolgen vorweisen kann. Ihm ist es in den zurückliegenden Jahren gelungen, den ORF im Online- und Neue Medien-Bereich zu einer führenden Größe innerhalb Europas zu machen. Prantner ist Gründer/Erfinder der ORF TVthek, die er permanent weiter entwickelt hat und die heute als erfolgreich und beispielhaft nicht nur im deutschsprachigen Raum gilt.

Trotz der bekannten Sparmaßnahmen seines Senders beabsichtigt er, die Vernetzung von TV, Radio und Online voranzutreiben. Nach Freigabe durch die zuständige Behörde, soll Phase 1 der ORF Radiothek als zentrale Live- und Audio-on-Demand-Plattform gestartet werden. „Wir haben heuer für unseren alternativen Jugendsender FM 4 eine App gestartet, die unserer Ansicht nach das Radio-Modell ins 21. Jahrhundert hievt. Und wir werden anlässlich des 50. Geburtstages unseres großen Kultursenders Ö 1 auch das mobile Angebot des Informations- und Kulturradios optimieren“, erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Grundsätzlich gelte auch für’s Radio das alte, aber nach wie vor gültige Zitat von Helmut Thoma, wonach der Medien-Köder dem Fisch schmecken müsse und nicht dem Angler, sagt der 52-Jährige. „Wichtig ist, ob unsere Kunden im Smartphone und im Smartspeaker das neue Radio erblicken. Und die Radiomacher, denen es um ihre Inhalte geht, werden folgen“, meint er.

Gefeiert wird in diesen Tagen auch der nunmehr schon 20. Geburtstag der ORF-Homepage. „ORF.at wurde 1997 unter Generalintendant Gerhard Zeiler von Franz Manola gegründet und ist seither klare Nr. 1 auf dem österreichischen Online-Markt. Positiv auf den Ausbau dieser Führungsposition hat sich die strategische Weiterentwicklung der Site zur multimedialen Plattform ausgewirkt. Die von meinem Team und mir initiierte Gründung der ORF-TVthek 2009, die mittlerweile die größte österreichische Videoplattform ist, die verstärkte Integration von Videos in das redaktionelle Angebot von ORF.at und ein umfassendes aktuelles Livestream-Zusatzangebot sind wichtige Erfolgsfaktoren, damit Online im ORF in den kommenden Jahren auf Augenhöhe mit TV und Radio etabliert werden kann“, weiß Prantner. Gerade in diesen Bereichen aber hat die Konkurrenz und die Geschwindigkeit der Neuerungen in den zurückliegenden Monaten und Jahren enorm zugenommen.

Es gibt ein Duell zwischen Netflix und der Kinobranche, wie man jüngst in Cannes bei den Filmfestspielen beobachten konnte. Netflix, Maxdome und besonders Amazon Prime sind eine Art Stress-Test für Fernsehanbieter
Thomas Prantner, beim ORF stv. Chef der Bereiche Online, Technik und Neue Medien
Die TVthek wird nun aufgerüstet und etwa mit mit einem Ausbau der "Restart"-Funktion, dem "MyTVthek"-Service und weiteren Videoarchiven versehen. Dabei – und das ist das Interessante – sieht sich Prantner nicht im Duell mit Anbietern wie Netflix oder Amazon. „Es gibt ein Duell zwischen Netflix und der Kinobranche, wie man jüngst in Cannes bei den Filmfestspielen beobachten konnte. Netflix, Maxdome und besonders Amazon Prime sind eine Art Stress-Test für Fernsehanbieter: Je mehr Lizenzware aus dem Film-und Serienbereich von einem Broadcaster verwendet wird, umso nachhaltiger muss ich mich neu orientieren in Richtung Eigenproduktion, in unserem Fall österreichische Inhalte, Regionalität und Live-TV“, erklärt der 52-Jährige.

Dabei ist ihm auch klar, dass sämtliche momentan – unter anderem in Deutschland vorliegenden Quoten – nicht hergeben, dass Mediatheken und andere Abrufdienste schon außerordentlich stark genutzt werden. Verdoppeln sich die Zuschauerzahlen einiger Sendungen in den USA beispielsweise, kommen in Deutschland für gewöhnlich nur Summen in einer Größenordnung im fünfstelligen Bereich bei den Abrufen zusammen. Letztlich diene eine gute ORF-TVthek auch gar nicht so sehr dem Steigern der letztlichen Reichweite, sagt der 52-Jährige. „Wir haben uns sehr bemüht, eine Hybridquote zu etablieren, die demnächst die neue TV-Währung in Österreich sein wird. Aus dem Probebetrieb wissen wir, dass die Mediathek das eine oder andere Prozentpünktchen auf die Quote eine Sendung draufpacken kann. Jeder einzelne der 5000, die eine Sendung versäumt haben oder aus Fantum nochmal sehen wollen, wird „Ja, danke“ sagen. Das ist in erster Linie Dienst am Kunden, Marketing für das wunderbare Phänomen Fernsehen“, meint Prantner schmunzelnd.

Das „wunderbare Phänomen Fernsehen“ und insbesondere der ORF hat aber schon einfachere Zeiten erlebt. Der Sparzwang ist ja hinlänglich bekannt. Das weiß auch Prantner, der auf die Frage nach dem momentanen Zustand seines ORF keine ganz einheitliche Antwort geben möchte. "Der ORF hat sich in den vergangenen 10 Jahren unter der Geschäftsführung von Generaldirektor Alexander Wrabetz zum modernen Multimediaunternehmen entwickelt und ist mit all seinen Medien TV, Radio und Online Marktführer in Österreich. Wir befinden uns derzeit auf einer Achterbahnfahrt zwischen inneren Change-Prozessen und Strukturreformen und äußeren Faktoren von Dominanz der internationalen Internetkonzerne bis zur harten Konkurrenz auf dem Programm- und Rechtemarkt." Diese Herausforderungen, sagt Prantner zu Quotenmeter.de, gelte es nun zu meistern – und fügt hinzu: „Ich persönlich halte mich an Herbert Achternbusch: Du hast keine Chance, aber nutze sie.“
25.06.2017 10:43 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/93823