Die Kritiker: «Atempause»

«Atempause» über ein geschiedenes Elternpaar, das sein Kind verliert, ist zwar einer der besseren Mitfühlfilme des ARD-Jahres. Zu viele fahrige Klischees verhindern aber einen wirkungsvollen Nachhall.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Katharina Marie Schubert als Esther Baumann
Carlo Ljubek als Frank Baumann
Mikke Rasch als Hannes Baumann
Sarah Mahita als Tina Baumann
Özgür Karadeniz als Bülent Eroglu
Luise Heyer als Schwester Lisa
Julia Jäger als Schwester Maria

Hinter der Kamera:
Produktion: Polyphon
Drehbuch: Christian Schnalke, Sven Halfar und Joyce Jacobs
Regie: Aelrun Goette
Kamera: Tomas Erhart
Produzentinnen: Dr. Beatrice Kramm und Winka Wulff
Von einem Moment auf den anderen verändert sich das ganze Leben. Diese bittere Erfahrung macht das Ex-Ehepaar Baumann, als dem gemeinsamen neunjährigen Sohn Hannes (Mikke Rasch) bei einem Fußballturnier ein harter Ball ins Gesicht geschleudert wird. Der Junge geht zu Boden, ist bald nicht mehr bei vollem Bewusstsein. Die Eltern fahren ihn zügig ins Krankenhaus; auf dem Weg dorthin verschlechtert sich sein Zustand zusehends.

In der Notaufnahme angekommen, stehen für das Kind reihenweise Tests und Untersuchungen an. Für Esther (Katharina Marie Schubert) und Frank Baumann (Carlo Ljubek) bedeutet das qualvolle Stunden der Ungewissheit. Als der behandelnde Arzt endlich zu Erklärungen ansetzt, bestehen die leider aus dem Schlimmsten. Die Computertomographie zeigt eine massive irreparable Hirnblutung, verursacht durch ein Aneurysma, das wahrscheinlich in Folge des Ballaufpralls geplatzt ist. Ihr Kind ist aller Wahrscheinlichkeit nach hirntot.

Auf der Station beginnt für sie nun eine grässliche Zeit des Haderns. Beide stehen unter Schock, sie zermartern sich, doch während Frank Vertrauen in die Ärzte hat, das Schicksal trotz seiner bitteren Schwere bald umreißen, wenn auch noch lange nicht akzeptieren kann, klammert sich Mutter Esther an jeden noch so abstrusen Strohhalm. Beide Reaktionen folgen einer inneren Logik und sind aus dieser inneren Logik heraus verständlich und nachvollziehbar. Doch das Drehbuch versteift sich zu schnell darauf, am Rande alle möglichen Konflikte durchzuspielen. Das tragische Schicksal ihres Kindes wird stellenweise zum Aufhänger, um alte Ehekonflikte in den Plot zu verweben, während die klischeehaft geschriebene Teenager-Tochter größtenteils Stichwortgeberin bleibt.

«Atempause» ist ein Film, der nur bedingt eine intellektuell scharfe Begegnung mit den Themen Schicksal, Trauer, Schmerz und Loslassen zulässt. Stattdessen ist er ein Mitfühlfilm. Dabei darf man ihm ganz aufrichtig zugutehalten, dass er von all den öffentlich-rechtlichen Produktionen, die alljährlich diesen Duktus wählen, einer der besseren ist. Denn er überdreht den Pathos nicht mehr als notwendig, er erlaubt stattdessen leise, reflektierende Momente und kann in manchen Nebenhandlungssträngen kluge, liebevoll geschriebene Beobachtungen zeigen: Schwester Lisa (Luise Heyer) ist neu im Job und emotional mit der Behandlung eines hirntoten Kindes völlig überfordert. Doch sie ist professionell, wächst an ihren Aufgaben, und wird klug kontrastiert mit ihrer erfahreneren Kollegin Maria (Julia Jäger), die trotz ihrer langjährigen Expertise emotional doch nur bedingt besser verkraften kann.

Leider übertreibt es der Film an anderer Stelle rücksichtslos mit den Kontrastierungen und lässt dabei schnell jedwede Glaubwürdigkeit abhandenkommen: Dem hirntoten Hannes wird aufgrund der Überbelegung der Klinik ein gleichaltriger Mitpatient ins Zimmer geschoben, der gerade eine Lebertransplantation hinter sich hat und dessen türkische Familie – so viel Klischee musste sein – in Massen Tag und Nacht den Raum belebt, dort isst und sich lautstark unterhält. Das dient der Gegenüberstellung von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, von einer starken Großfamilie mit einer durch Scheidung und Streit fragmentierten, doch es ist eben: absurd.

Mit solchen Fehlentscheidungen, die gegen Subtilität und Glaubwürdigkeit arbeiten, verspielt «Atempause» viel seines emotionalen und filmischen Potentials. Am Schluss bleibt zwar eine Geschichte, die in Teilen durchaus einnehmend und empathisch erzählt wurde – doch auch ebenso viele Konstruktionsfehler und fahrig abgespulte Klischees, die eine tiefgreifende Begegnung mit langem Nachhall leider unmöglich machen.

Das Erste zeigt «Atempause» am Mittwoch, den 14. Juni um 20.15 Uhr.
14.06.2017 11:40 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/93754