«Twin Peaks» Staffel 3: What the F*ck?

David Lynch schreibt seine eigenen Regeln, das beweist auch der Start der neuen «Twin Peaks»-Season. Langjährige Fans enttäuscht er, neue Zuschauer schreckt er ab, Erwartungen missachtet er. Trotzdem bleibt «Twin Peaks» einzigartig.

Cast & Crew «Twin Peaks» Season 3

  • Erfinder und Autoren: David Lynch, Mark Frost
  • Regie: David Lynch
  • Darsteller: Kyle MacLachlan, Mädchen Amick, Jennifer Jason Leigh, Naomi Watts u.a.
  • Ausf. Produzenten: Frost, Lynch, Sabrina S. Sutherland
  • Musik: Angelo Badalamenti
  • Produktion: Rancho Rosa Partnership Production, Lynch/Frost Production für Showtime
  • Folgen: 18 (je 45-60 Min.)
Eine ermordete Frau in ihrem Bett, der Körper so entstellt, wie man es sich nicht ausdenken könnte.

Ein leerer Glaskäfig in einem New Yorker Hochhaus, rund um die Uhr videoüberwacht von einem jungen Mann.

Ein gealterter Dale Cooper im berühmten red room, der sich von einem Baum mit sprechendem Organ verwirrende Geschichten erzählen lässt.

Ein Dale Cooper im Weltraum.

Nicht nur eine Tote wie damals. Gleich mehrere Figuren bleiben früh auf der Strecke.

Nach mehr als 25 Jahren ist «Twin Peaks» zurück. Über die Bedeutung der Serie als essentielles Stück Fernsehgeschichte wurde an anderen Stellen genügend geschrieben. Nur so viel: In den vergangenen Jahren des großen Serienbooms hat «Twin Peaks» einen neuen Stellenwert als Kultformat eingenommen und viele Fans gewonnen. Es war eine Serie Anfang der 90er, die ihrer Zeit voraus war. Und vielleicht deswegen erst im neuen Jahrtausend – mit dem Erfolg des Streamings und Binge-Watchings – die endgültige Würdigung erfahren hat, die sie verdient. Schon damals kündigte die Serie in einer ihrer ersten Folgen an: „Wir sehen uns in 25 Jahren“.

Und als wollte Serienerfinder David Lynch diese Prophezeiung unbedingt wahr machen, ist «Twin Peaks» nun nach diesem Vierteljahrhundert wieder auferstanden mit einer dritten Staffel, die sich anfühlt wie ein Aufbruch zu ganz neuen Abenteuern und nicht zu alten Freunden. Fans und Kritiker fragten sich im Vorfeld, welchen Lynch wir sehen würden bei dieser neuen Bildschirm-Arbeit, seiner ersten großen übrigens seit elf Jahren: Den zugänglicheren Lynch, den wir bei der ersten halbwegs verständlichen «Twin Peaks»-Staffel oder bei «Blue Velvet» kennenlernten? Oder den verstörend-undurchschaubaren Lynch mit Filmen wie «Mulholland Drive» oder noch stärker «Inland Empire», deren Narrativen nur sehr schwer dechiffrierbar sind?

Die dritte «Twin Peaks»-Staffel hat von beidem etwas, zuvorderst fühlt sie sich aber an wie etwas komplett Neues. Damit dürfte er viele Fans, die seit Jahren auf diese Fortsetzung warten, enttäuschen. Und gleichzeitig neugierige neue Zuschauer, die nun in die «Twin Peaks»-Welt eintauchen wollen, abschrecken. Dies ist vermutlich seine eigene Antwort darauf, die Erwartungen von Anfang an zu konterkarieren. Aber auch ein Argument dafür, dass Lynch mit diesen 18 frischen Folgen nicht einfach nur eine Fortsetzung machen will, nicht nur ein Revival unter dem Banner alter Erfolge. Gute Kritiken hätte er haben können, das damalige atmosphärische «Twin Peaks» hätte Lynch stilistisch relativ simpel wiederbeleben können.

Vom alten «Twin Peaks» bleibt in Staffel drei nicht viel übrig


Er hat sich bewusst dagegen entschieden. Dies beginnt bereits damit, dass ein Großteil der ersten Folgen nicht in «Twin Peaks» spielt, sondern an anderen Orten: in einem New Yorker Hochhaus, in einem Städtchen in South Dakota, in der aus den alten Staffeln bekannten Parallelwelt. Bekannte Figuren werden äußerst dosiert in die Szenen gelassen und entfalten eine umso stärkere Wirkung, wenn sie denn dann auftauchen. Eine Ausnahme bildet Dale Cooper, der FBI-Agent, der einst den Mord von Laura Palmer aufklären sollte. Auch in Staffel drei ist er die zentrale Figur, als der in der Parallelwelt – der black lodge – gefangene gute Cooper. Und als der böse Doppelgänger, der in der Realität eine immer länger werdende Blutspur hinter sich herzieht. Wenn sich in den ersten beiden Folgen ein zentrales Szenario, eine Hauptnarrative andeutet, dann ist es die folgende: Dale Cooper will aus der black lodge zurück in die Realität. Dazu aber muss er seinen Doppelgänger zurück in diese dunkle Parallelwelt holen. Eine schier unlösbare Aufgabe, zumindest auf den ersten Blick. Doch auch Cooper, großartig gespielt von Kyle MacLachlan, weiß um die unberechenbaren Mächte in «Twin Peaks». Mehr Konkretes zum Inhalt sei an dieser Stelle nicht verraten, es würde die Spannung rauben, die auch diese neuen Folgen besitzen.

Von der alten verdichteten Kleinstadt-Atmosphäre der alten Serie bleibt durch die zahlreichen Schauplätze außerhalb von Twin Peaks nicht viel übrig. Im Gegenteil: Würde man sich die Mystery-Elemente wegdenken, die an die alte Geschichte anknüpfen, so könnte es sich hier um eine völlig neue Serie handeln. Auch audiovisuell beschreitet Lynch nicht die alten Pfade: Charaktere besitzen kein eigenes Audiothema mehr, generell kommt melodische Musik sehr zurückhaltend zum Einsatz. Visuell bewegt sich Lynch sehr ambivalent und setzt für die unterschiedlichen Schauplätze – zunächst New York, Twin Peaks und South Dakota – jeweils eigene Akzente mit der Kamera, mal verdichtend-klaustrophobisch, mal weitläufig, mal surreal.

All diese Elemente audiovisueller und narrativer Neuerungen fügen sich zusammen zu einem Ganzen, das sich deutlich temporeicher – und bisweilen auch abwechslungsreicher – anfühlt als manche Folge im alten «Twin Peaks». Langweilig wird dieser Auftakt zumindest nicht, dafür gibt es zu viele „unfassbare“ Momente im wahrsten Sinne des Wortes: Momente, die wir nicht erklären können und die scheinbar keinen Sinn haben in der bekannten «Twin Peaks»-Mythologie. Die uns vielleicht zunächst verärgert zurücklassen ob ihres surrealen Gehalts, sodass es manchmal so aussieht, als hätte «Satuday Night Live» hier eine Parodie auf «Twin Peaks» gedreht.

Aber seien wir kurz ehrlich mit uns selbst:
Wir wären enttäuscht, wenn wir genau das bekommen hätten, was wir erwartet oder erwünscht haben.
Wir wären enttäuscht, wenn wir auch nur die Hälfte von dem verstanden hätten, was im neuen «Twin Peaks» vor sich geht.
Wir wären auch enttäuscht, wenn sich die neue Staffel so ähnlich anfühlen würde wie die alte.

Und dann kommen die letzten fünf Minuten von Folge zwei, Schauplatz Bang Bang Bar. Biker treffen sich zum Trinken, Verliebte zum Dating, Partymacher zum Tanzen und zur Musik. Alte Gesichter tauchen wieder auf, Shelly Johnson und James Hurley. Und auf der Bühne wispert eine Band ein großartiges Synthpop-Lied in den Raum: “Shadow, take me down. Shadow, take me down with you,” hallt es aus den Boxen.

Nach 25 Jahren und zwei verstörenden Folgen fühlen wir uns plötzlich doch wieder zu Hause, zumindest ganz kurz in diesem Moment. Willkommen zurück in «Twin Peaks».
22.05.2017 23:44 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/93313