Die Kino-Kritiker: «Überflieger - Kleine Vögel, großes Geklapper»

Auf der diesjährigen Berlinale wurde nicht bloß wieder allerhand Kunst präsentiert, sondern auch der 3D-Animationsfilm «Überflieger - Kleine Vögel, großes Geklapper».

Filmfacts: «Überflieger»

  • Kinostart: 11. Mai 2017
  • Genre: Animationsfilm
  • FSK: o.Al.
  • Laufzeit: 85 Min.
  • Musik: Éric Neveux
  • Buch: Reza Memari
  • Regie: Toby Genkel, Reza Memari
  • Sprecher: Tilman Döbler, Christian Gaul, Nicolette Krebitz, Marco Eßer, Marcus Off
  • OT: Richard the Stork (DE/BEL/LUX/NOR 2017)
Zwischen 150 und 180 Mitarbeiter haben laut Regisseur Toby Genkel («Ooops! Die Arche ist weg…») am 3D-Animationsfilm «Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper» mitgewirkt. Man möchte dazu tendieren, das Sprichwort „Viele Köche verderben den Brei“ zu bemühen, doch wer sich ein wenig mit der Inszenierung von Computertrickfilmen auskennt, der weiß, dass vor allem für die visuelle Gestaltung viel Arbeitskraft von Nöten ist, zumal die europäische Co-Produktion in einem Zeitraum von rund fünf Jahren entstanden ist. Um einen größtmöglichen Ideenreichtum zu gewährleisten, wurde entsprechend auf ein riesiges Team aus Animatoren zurück gegriffen. Inszenatorische Posten wie der Regiestuhl wurden indes nur von zwei, der Platz am Drehbuch von einer Person besetzt. Für den Autor Reza Memari ist «Überflieger» schon die zweite Kollaboration mit Toby Genkel, den er nach «Ooops! Die Arche ist weg…» nun auch erstmalig als Co-Regisseur unterstützt. Die beiden wollten einen Animationsfilm inszenieren, der sich mit internationalen Standards messen kann; je nachdem, auf welche Konkurrenz man guckt, ist ihnen das auch tatsächlich gelungen. In Richtung allzu kreativer Genrebeiträge sollte man da allerdings nicht blicken. «Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper» verläuft in standardisierten Familienfilmbahnen, kann aber zumindest punktuell mit wirklich süßen Ideen überzeugen.

Vom Spatz, der gern ein Storch wäre


Der verwaiste Spatz Richard wird liebevoll von einer Storchenfamilie aufgezogen. Ihm würde nicht im Traum einfallen, dass er selbst kein Storch ist. Als sich seine Eltern und sein Bruder im Herbst für den langen Flug ins warme Afrika rüsten, offenbaren sie ihm die Wahrheit: Ein kleiner Spatz ist nicht geschaffen für eine Reise wie diese und sie müssen ihn schweren Herzens zurücklassen. Für Richard ist das kein Grund, den Kopf in die Federn zu stecken. Auf eigene Faust macht er sich auf den Weg nach Afrika, um allen zu beweisen, dass er doch einer von ihnen ist! Zum Glück kommen ihm dabei Olga, die zu groß geratene Zwergeule und ihr imaginärer Freund Oleg zu Hilfe. Als sie Kiki, einen selbstverliebten Karaoke-Wellensittich mit Höhenangst, aus seinem Käfig befreien, beginnt ein turbulentes Abenteuer, das die drei Überflieger über sich hinauswachsen lässt!

Auch hinter «Überflieger» steckt eine Botschaft, die in erster Linie jüngere Zuschauer dazu animieren soll, an sich und ihre Fähigkeiten zu glauben, niemals aufzugeben und aus der derzeitigen Situation das Beste zu machen. Darum geht es im Kern auch in so ziemlich jedem anderen Familienfilm, doch hier geht man immerhin einen kleinen Schritt weiter und gaukelt dem Zuschauer nicht naiv vor, man könne alles schaffen, wenn man nur felsenfest daran glaube. Hauptfigur Richard ist nun mal ein Spatz – und egal, wie sehr er sich auch wünscht, ein Storch zu sein, ist klar: In diesem Leben wird aus ihm keiner mehr. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass er sein Ziel (hier in Form des Erreichens von Afrika) nicht trotzdem erreicht. Vielmehr macht er sich seine naturgegebene Schläue und sein schier endloses Durchhaltevermögen zunutze und erreicht somit etwas, was Außenstehende nicht für möglich gehalten hätten. Damit begibt sich das Skript auf überraschend ehrliche Weise auf Augenhöhe mit den jungen Zuschauern, gaukelt keine naive Weltsicht vor und bleibt trotzdem optimistisch; ein großer erzählerischer Pluspunkt von «Überflieger», wenngleich damit auch bereits der größte des Films besprochen wäre. Doch kommen wir erst einmal zu den Figuren, bei denen sich Licht und Schatten die Waage halten.

Du kannst alles schaffen - mit Abstrichen!


Mit Hauptfigur Richard, einem verwaisten Spatz (an der Anfangsszene, in welcher seine beiden Eltern von einem hungrigen Bären angegriffen und verspeist werden, hat selbst uns in ihrer Drastik ein wenig überrascht – nehmt die aller kleinsten Zuschauer hier also gern in den Arm!), hat man eine Figur, mit der es sich besonders leicht identifizieren lässt. Aufgrund seiner körperlichen Beschaffenheit ist er zum Einen ein Außenseiter, während ihn Durchhaltevermögen und Cleverness gleichsam als Draufgänger klassifizieren. Newcomer Tilman Döbler («Ferien») passt als Sprecher gut und legt ein beeindruckendes Spektrum an akustischer Emotionalität an den Tag.

Zu Richard gesellen sich im Laufe der Zeit vor allem zwei wichtige Charaktere: Die etwas zu groß geratene Zwergeule Olga (stark: Nicolette Krebitz) und der exzentrische Wellensittich Kiki (Christian Gaul). Während es letztere mit seiner Theatralik leider oft übertreibt, ist vor allem die Figur der Olga, deren Hintergründe berühren. Seit Jahren ist dieser an der Seite von Oleg unterwegs – und Oleg ein aus Einsamkeit entstandener, unsichtbarer Freund, den niemand außer Olga sehen kann. Was es bedeuten kann, von der Familie oder Freunden ausgestoßen zu werden, thematisiert «Überflieger» zwar nur marginal, um der Geschichte nicht ihren optimistischen Grundton zu geben, dafür gerät eine Szene, in welchem Olga sogar von Oleg verlassen wird, zu einem wahrlich beklemmenden Filmmoment. Hier trauen sich die Macher was und fördern Emotionalität zutage, ohne zu fokussiert zu sein. Dem gegenüber stehen dann allerdings allzu banale Oberflächlichkeiten.

So ambivalent wie sich die visuelle Aufmachung präsentiert – detailgetreue Hintergründe und die Animation einzelner Vogelarten stehen viel zu cartooneskem Design, etwa jenem von Wellensittich Kiki, gegenüber – als so unausgegoren erweist sich auch die Erzählung. Momente echter Rührung stehen in «Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper» nämlich oft hintenan. Natürlich bietet die Prämisse eines Roadtrips (beziehungsweise eines „Skytrips“) grundverschiedener Persönlichkeiten die Möglichkeit, Gegensätze aufeinander prallen zu lassen und die einzelnen Handlungsstationen auch für (Running-)Gags zu nutzen. Leider geraten dann ausgerechnet diese äußerst nervig und lassen den Film wesentlich oberflächlicher erscheinen, als er es sein könnte. In «Überflieger» haben soziale Medien sogar Einzug in die Vogelwelt gehalten, die Attitüde des divenhaften Kiki wird kombiniert mit seinem anstrengenden Egoismus irgendwann ziemlich unausstehlich und leider ist dann ausgerechnet das Finale viel generischer, als die 80 Minuten davor. Mit dem Blick noch ungeschulter Kinderaugen kann „Überflieger“ dann aber sicher doch eine Menge Spaß bereiten. Niedlich sind die kleinen gefiederten Gesellen dann ja schon.

Fazit


Licht und Schatten liegen bei «Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper» nah beieinander. Die Macher beweisen Fingerspitzengefühl in den ruhigen, emotionalen Momenten, greifen bei den Gags jedoch mehrmals daneben. Dafür bleibt die Botschaft angenehm bodenständig und mit Ausnahme manch einer Figur sieht der Film auch recht passabel aus. Eher was für die Kleinen.

«Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper» ist ab dem 11. Mai in den deutschen Kinos zu sehen.
10.05.2017 11:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/92997