Popcorn und Rollenwechsel: Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung

Auch ein Kinoliebhaber wie unser Kolumnist Sidney Schering denkt sich manchmal: Was zum Henker mache ich eigentlich hier?

Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung. Sie fing so alltäglich-nervig an, bevor sie zu einem Paradebeispiel dafür mutierte, weshalb sich manche Leute nicht mehr ins Kino begeben. Wir kommen 30 Minuten vor Filmbeginn im Kino an, stellen uns an die kürzeste Ticketschalterschlange. Vor uns: Eine Gruppe von sechs Jugendlichen. Man sollte denken, dass die ratzfatz bedient sind. Aber weit gefehlt. Jeder hat einen anderen Rabatt, den er einlösen möchte. Okay, kann passieren. Jeder hat eine andere Vorstellung davon, wo die gesamte Gruppe sitzen sollte. Nervig. Daher kauft die Gruppe nicht ein Mal sechs Karten, sondern drei Mal zwei Karten für denselben Film. Und debattiert beim Bezahlvorgang, wer jetzt mit wem sitzt und ob der "Ganz weit hinten sitzen ist cool!"-Befürworter nun nicht doch vorne sitzen kann, weil "Will doch mit Justin ein Popcorn teilen!". Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung.

Sieben Minuten vor Filmbeginn sind wir endlich an der Reihe. Die Dame hinter dem Ticketschalter fragt uns, wo wir denn sitzen wollen: Lieber vorne, also nah an der Leinwand? In der Mitte? Oder hinten? Ich bin ja ein Fan davon, so weit vorne zu sitzen, dass ich die komplette Leinwand, aber auch wirklich nur die komplette Leinwand im Sichtfeld habe. Ich zahle doch nicht 14,80 Euro für einen 3D-Film mit Überlänge an einem Wochenende, um die seitlichen Wände eines Kinosaals zu bewundern! Jedoch sind wir nun in einem Kino, wo die vorderen Plätze so nah an der Leinwand sind, dass man nicht alles auf der Leinwand sehen kann. Also votiere ich für "Mitte". Wir eilen zur Snacktheke. Denn ich bin durstig. Dann flott ab in den Saal, genau pünktlich zum Werbebeginn. In der "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung.

Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung. Sie beginnt für mich mit der Feststellung, dass die Dame am Ticketschalter eine seltsame Definition von "Mitte" hat. Wir haben Karten in Reihe elf. Naja, kann ja, je nach Saal, mittig sein. Nicht aber in diesem Saal. Oder ist Reihe elf von 13 in unserem postfaktischen Zeitalter "mittig"? Seufz. 25 Minuten Produktwerbung, den Auftritt des Eismanns, zwei Eigenwerbespots der Kinokette und fünf Kinotrailer später beginnt unser Film. Naja. Nicht ganz. Aber dazu gleich mehr.

Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung. Sie führt einen der vielen Nachteile an einem hinteren Sitzplatz vor. Wenn nur drei Reihen vor einem sind, in denen kaum jemand sitzt ("Weil ganz weit hinten sitzen ist cool!"), ist die Wahrscheinlichkeit visueller Ablenkung gering. Wir sitzen aber irgendwo hinten. Wir blicken auf den mit steilen Treppen versehenen, sich weit dehnenden Saal herab. In unserem Sichtfeld befinden sich daher die Saalwände, die Reihen vor uns und natürlich die Leinwand. Die aber nicht allein hell aufleuchtet. In Reihe neun blinkt ein Handydisplay auf, weil wer denkt, alle zehn Minuten die Uhr checken zu müssen. Irgendwer in Reihe sieben hat wohl was fallen gelassen und leuchtet drei Minuten mit der Taschenlampenfunktion den Fußboden aus. In Reihe acht wird WhatsApp zum Glühen gebracht. Und ganz vorne wird auch irgendein Handyunsinn getrieben. Ich kann es nicht entziffern, aber das glühende Weiß-Grün-Braun sticht in meine Sehnerven. Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung.

Jetzt macht das Kino seine Drohung war. Direkt vor Filmbeginn erklärte eine Hinweiseinblendung, dass diese Vorstellung eine Pause beinhalten werde. Davon stand online nichts. Oder auf den Screens über dem Ticketschalter. Oder auf den Eintrittskarten. Mitten in einer Szene, etwa 90 Minuten nach Filmbeginn, friert das Bild ein und das Licht geht an. Wie lange ist die Pause nun? Keine Ahnung. Diese Angabe wurde nirgends getätigt. Als der Film weitergeht, passiert es also zwangswiese: Fünf, sechs Minuten lang kommen noch immer Leute rein, murmeln fluchend was in den Saal rein und stolpern zu ihren Sitzen. Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung.

Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung. Sie endet 20 Minuten später als online und auf den Infoscreens angekündigt. Also muss ich zu meinem Zug stürmen. Das nenne ich ganz großes Kino. Kundenbindung schwer gemacht: Die "Tickt ihr eigentlich alle noch ganz sauber?"-Vorstellung!
08.05.2017 20:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/92947