Mit seiner Theaterstückadaption «Una und Ray» gelingt Regisseur Benedict Andrews ein Meisterwerk des subtilen Filmdramas. Doch ist sein beklemmendes Kammerspiel eine tragische Liebesgeschichte, oder das herbe Porträt eines seelischen Missbrauchs?
Mit Ausnahme der kryptisch inszenierten Eröffnungsszene, auf die im Verlauf der kommenden eineinhalb Stunden nicht einmal mehr Bezug genommen wird, spielt sich «Una und Ray» hauptsächlich in jener Fabrik ab, in welcher Ray in leitender Position tätig ist. Ausgerechnet aufgrund der geglückten Wiedereingliederung in die Gesellschaft war es Una gelungen, ihre einst große Liebe ausfindig zu machen, entdeckte diese ihn doch auf dem Foto eines Zeitungsausschnitts wieder. Viel wissen wir zu Beginn weder über den männlichen, noch über den weiblichen Part der Geschichte. Und wenn wir Una in einer nur allzu kurzen Szene bei einem One-Night-Stand mit einem Fremden erleben, dann wirkt das als dargestellte Langzeitfolge ihrer schwierigen Vergangenheit fast schon provokant klischeehaft (erinnern wir uns nur an das hier ähnlich gelagerte Rührstück «Väter und Töchter»). Doch Unas seelische Abgestumpftheit mittels prägnanter Einzelszenen zu etablieren, ist wichtig, um die Machtverhältnisse zwischen Una und Ray klar zu definieren. Denn obwohl Una die Konfrontation mit Ray sucht und nicht umgekehrt, deutet schon der Gang in die Fabrik an, wie sehr sich der jungen Frau im Gedanken an die bevorstehenden Ereignisse der Magen umdreht.
Auf diese Frage gibt Benedict Andrews bis zuletzt keine Antwort und hält sich damit sehr nah an der Inszenierung des Theaterstücks auf. Das sich voll und ganz auf seine kraftvollen Dialoge verlassene Drama spielt mit den verschiedenen Positionen von Una und Ray, lässt mal die junge Frau an Oberhand gewinnen, um wenig später damit zu spielen, dass es nach wie vor Ray ist, der als Einziger weiß, ob die Szenerie von einst als Missbrauch oder Liebe zu werten ist. Das Ringen um Anerkennung und die gegenseitigen Machtspielchen unterfüttert der Regisseur auch während des Gesprächs mit Rückblenden, die sich von verklärender Romantisierung ebenso lossagen, wie von böswilliger Interpretation. Wir sehen, was ist, wir sehen was war – nach einer gewissen Zeit auch aus der Sicht von Ray – doch was sich hinter der sichtbar brodelnden Fassade abspielt, werden weder die Menschen auf, noch vor der Leinwand je erfahren. Benedict Andrews geht sogar so weit, auch Ray irgendwann als Unwissenden zu zeichnen. Und wenn dieser sich Una gegenüber ahnungslos ob seiner Gefühle gibt, dann ist das keine Ausflucht aus einer unangenehmen Situation, sondern einen Tatsachenbeschreibung, die man dem mindestens genauso verwirrten Mann nicht wirklich übel nehmen kann.
Trotz alledem ist «Una und Ray» alles andere als ein Opferporträt. Benedict Andrews beschönigt nichts, zeigt, wie sich der Mann einst gewollt unter dem Radar der Öffentlichkeit mit dem jungen Mädchen traf und lässt Bilder für sich sprechen, die keinerlei zusätzliche Erklärung bedürfen. Am prägendsten gerät etwa eine Szene, in welcher sich Una und Ray in einem öffentlichen Park treffen und zeitversetzt in einem Dickicht aus Pflanzen verschwinden, um dort zu tun, was nicht getan werden darf. All das würde nicht funktionieren, würden Ben Mendelsohn («Rogue One: A Star Wars Story») und Rooney Mara («Carol») nicht derart lebensecht aufspielen, das selbst die kleinen Gesten zu einem regelrechten Spektakel werden. Obwohl die Rolle von Mara eher duckmäuserisch angelegt ist, strotzt die zierliche Mimin nur so vor Kraft und Leidenschaft, während Mendelsohn seiner Figur eine undurchdringbare Aura verleiht, die zugleich deutlich macht, weshalb die junge Frau diesem einst so sehr verfiel, dass sie selbst einen Missbrauch als Ausdruck von Liebe zu missinterpretieren bereit war. In einer wichtigen Nebenrolle ist außerdem Riz Ahmed («Jason Bourne») zu sehen, der dafür sorgt, dass «Una und Ray» mit einem lauteren Klang nachhallt, als es die Ausgangslage andeutet. Doch vielmehr wollen wir darüber nicht verraten – das soll der Zuschauer nicht nur selbst erleben, sondern auch mit sich und seinen Gefühlen ausmachen.