Christian Richter erinnert an all die Fernsehmomente, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 329: Ein feministisches Magazin, das ausgerechnet durch den Penis von Thomas Gottschalk bekannt wurde.
«Weiber von Sinnen» wurde am 06. Februar 1991 bei RTLplus geboren und entstand zu einer Zeit, als der Sender vor allem mit banalen und frivolen Inhalten um die Gunst des noch immer stark öffentlich-rechtlich geprägten Publikums buhlte. Der Wille, um (nahezu) jeden Preis auffallen zu wollen, führte nicht nur zu einer Menge grenzwertiger Formate sowie einer spürbaren Skandalisierung des Fernsehprogramms, sondern brachte ebenso einige Konzepte hervor, die mit ihren banalen Spielchen, simplen Witzen und uneitlen Protagonisten einen erfrischenden Kontrast zum ernsten und altklugen Angebot der etablierten Anstalten boten. Zu einer solchen Perle entwickelte sich ab 1988 die Unterhaltungsshow «Alles Nichts Oder?!», die zweiwöchentlich einen schrägen Kindergeburtstag mit Erwachsenen veranstaltete, der regelmäßig in einer hemmungslosen Tortenschlacht gipfelte. Durch diesen führte neben Hugo Egon Balder die bis dahin erfolglose und unbekannte Gummersbacher Schauspielerin Hella Kemper, die dadurch schlagartig bekannt wurde und schnell zum Aushängeschild des Senders aufstieg. Schließlich verkörperte sie unter ihrem Künstlernamen Hella von Sinnen genau das Image, für das RTLplus seinerzeit stand: Laut, schrill, bunt und unangepasst.
Da traf es sich gut, dass die beliebte und nach mehr Bildschirmpräsenz hungrige Hella von Sinnen eine bekennende Feministin war, um dieses Potential abschöpfen zu können. Dafür kam es jetzt gelegen, dass sie in einer lesbischen Beziehung lebte, was zu dieser Zeit als besonders feministisch galt. Im Jahr davor hatte RTLplus bei der Übertragung der Bambi-Verleihung noch, um niemanden zu verärgern, ihre Dankesrede um die Liebeserklärung an ihre damalige Lebensgefährtin gekürzt. Das war längst vergessen und von Sinnen bekam die Möglichkeit, ein weibliches Magazin ausgerechnet für den „Titten“-Sender RTL zu präsentieren. Sie erhielt dafür Unterstützung von der Journalistin und Produzentin Gisela Marx sowie als Sendeplatz einen monatlichen, halbstündigen Slot am späten Mittwochabend.
Ein besonders prominenter „Schniedelwutz“ bescherte dem Weibermagazin die größte Aufmerksamkeit, nämlich jener von Thomas Gottschalk, der dort enthüllt werden sollte. Vorausgegangen war der Aktion ein Besuch von Hella von Sinnen bei «Wetten, dass..?», wo sie selbstbewusst für den Fall, dass sie ihre Wette verlieren würde, anbot, einfach die nächste Ausgabe von «Wetten, dass..?» zu moderieren. Gottschalk ging darauf ein, konterte allerdings schlagfertig, dass dies lediglich unter der Bedingung möglich wäre, dass er nackt in «Weiber von Sinnen» auftreten dürfe. Weil die Wette tatsächlich verloren ging, gelang von Sinnen gleich in doppelter Weise ein genialer Coup. Einerseits erlangte sie selbst durch diese Aktion eine noch größere Berühmtheit, da sie die nächste Episode aus Berlin zwar nicht vollständig leiten, aber diese immerhin in einem auffälligen Kostüm (in Form eines Brandenburger Tors) vor einem Millionenpublikum eröffnen durfte. Andererseits erfuhr ihr frisches, kleines Projekt eine breite Publicity, war doch das Publikum gespannt, ob sich Gottschalk darin wirklich komplett nackt zeigen würde. Die betreffende Folge am 10. April 1991 erzielte dann um kurz vor 23.00 Uhr eine Reichweite von mehr als fünf Millionen Menschen, was äußerst beachtlich war und sich ungefähr auf der Höhe der Premierenquote bewegte. Am Ende war es also ausgerechnet ein Penis, welcher der feministischen Sendung die meisten Schlagzeilen einbrachte...
Die beiden Reichweiten von über fünf Millionen blieben zwei außerordentliche Ausreißer, denn nach der anfänglichen Hysterie pegelte sich die Quote zwischen einer und zwei Millionen ein. Was aus heutiger Sicht ein ordentlicher Wert wäre, war für das aufstrebende RTLplus damals zu wenig. In einem Interview mit Ulrike Anhamm und Monika Richrath für Lespress machte von Sinnen für den sinkenden Zuspruch unter anderem den undankbaren monatlichen Ausstrahlungsrhythmus verantwortlich: „Die Leute wussten nicht, wenn sie einschalten, sehen sie Erika Berger oder Hella von Sinnen. Das zu etablieren, war also nicht einfach.“ Zudem bemängelte sie, das ständige Drängen der Programmleitung, das Konzept stärker in Richtung Comedy- Reihe zu verändern, was letztlich zu dessen Verwässerung beigetragen hätte. „Die wollten lieber Hella von Sinnen als Komikerin. Da war dann natürlich auch der Wind aus dem «Weiber von Sinnen»-Konzept raus.“
Diese aufgezwungene Pause dauerte bis zum März 1994 an - bis sich RTL II entschied, mit ihr unter dem Titel «Wenn die Putzfrau zweimal klingelt» eine neue Reihe auszuprobieren. Darin trat von Sinnen stets in einer Doppelrolle auf, nämlich als sie selbst, die auf der Bühne prominente Gäste interviewte, und als Putzfrau Schmitz, die in den Schränken ihrer Klient*innen wühlte und sich über die dortigen Fundstücke lustig machte. Trotzdem sich dieser Anlauf völlig unterschied und darin der feministische Anspruch nicht mehr ausgestellt wurde, galt er inoffiziell oft als Nachfolger des Weibermagazins. Mit Zuschauendenzahlen um eine Million Menschen am Sonntagabend gegen 22.30 Uhr konnte er aber die früheren Werte nicht erreichen oder sich nicht dauerhaft im Programm von RTL II halten. Schon nach zwölf Einsätzen verlor die „Putzfrau“ deshalb ihren Job.