Die glorreichen 6 XXL: Exzessive Laufzeit, enormer Filmgenuss (Teil I)

Vor diesen Produktionen, für die man drei Stunden oder mehr freimachen muss, sollten Filmliebhaber keine Berührungsängste haben: Zum Auftakt unserer Reihe geht’s um das Slapstick-Epos «Eine total, total verrückte Welt».

Die Handlung


Filmfacts «Eine total, total verrückte Welt»

  • Regie und Produktion: Stanley Kramer
  • Drehbuch: William Rose, Tania Rose
  • Darsteller: Spencer Tracy, Milton Berle, Sid Caesar, Buddy Hackett, Ethel Merman, Mickey Rooney, Dick Shawn, Phil Silvers, Terry-Thomas, Jonathan Winters, Edie Adams, Dorothy Provine
  • Musik: Ernest Gold
  • Kamera: Ernest Laszlo
  • Schnitt: Frederic Knudtson, Robert C. Jones, Gene Fowler, Jr.
  • Veröffentlichungsjahr: 1963
  • Laufzeit: 161 Minuten (kürzeste Schnittfassung), 197 Minuten (längste noch erhältliche Schnittfassung)
  • FSK: ab 12 Jahren
Auf einer kurvigen Straße kommt es zu einem aufsehenerregenden Unfall: Der frühere Räuber Smiler Groban kommt vom Kurs ab und liegt, als sich ihm mehr oder minder hilfsbereite Verkehrsteilnehmer nähern, im Sterben. Bevor er dahinscheidet, kann er gerade noch beichten, dass er einst im Park von Santa Rosita die 350.000 Dollar schwere Beute aus einem früheren Raubzug vergraben hat. Die Augenzeugen wollen gemeinschaftlich entscheiden, wie mit dieser Information umzugehen ist, schlussendlich gehen sie aber im Streit auseinander und wetteifern darum, als Erste die Beute zu ergattern und ganz für sich zu haben.

Der Zahnarzt Melville Crump und dessen Gattin Monica, Möbelpacker Lennie Pike, die im Urlaub befindlichen Kumpel Dingy Bell und Benjy Benjamin, sowie Unternehmer J. Russell Finch inklusive Lebensgefährtin werden bei dieser Hatz in alle Winde zerstreut, treffen immer wieder aufeinander, schließen Allianzen, hintergehen einander und haben mit neugierigen Zeitgenossen zu tun, die bei Gesprächen der Kontrahenten ebenfalls von dem versteckten Schatz erfahren. Und dann ist da natürlich noch der lästige Arm des Gesetzes …

Warum nur diese exzessive Filmlänge?


Drehbuchautor William Rose nahm sich vor, eine Verfolgungsjagdkomödie zu schreiben, welche die Grenzen des Genres sprengt – und stieß mit diesem Konzept bei Regisseur Stanley Kramer auf regelrechte Begeisterung. Der primär für seine sozialkritischen Dramen bekannte Filmemacher, der unter anderem mit «Das Urteil von Nürnberg» und «Wer den Wind sät» in die Kinogeschichte einging, wollte mit einer von ihm inszenierten Komödie einen vollkommen gegen seinen Ruf gebürsteten Film verantworten.

So schaukelten sich Rose und Kramer gegenseitig hoch, was sich allein schon beim Originaltitel bemerkbar machte: Zwischenzeitlich als «It’s a Mad World» geplant, wurde daraus letztlich «It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World». Kramer drehte den Film im Superbreitbildverfahren Ultra Panavision 70 und besetzte ihn bis in die kleinsten Rollen hinein mit Größen des Komödienfachs – eben dieser Exzess, der Hollywoods Anfang der 60er-Jahre bestehende Obsession mit ausschweigenden Epen quasi ins Absurde verdreht, wird erst durch eine irrsinnige Laufzeit so richtig perfektioniert:

Ein denkbar dünner Plot wird von Kramer durch wahnsinnig viele Gags, Irrfahrten und Chaosmomente zu einer sich konsequent steigernden Sinfonie des leichten Humors emporgehoben. Deshalb ist die 197-minütige Version, die im Rahmen der Criterion Collection erschienen ist und bestmöglich die verlorengegangene Originalfassung rekonstruiert, der 182-minütigen Special Edition von 1991 vorzuziehen. Und diese wiederum ist noch immer besser als die klassische 154-minütige Version, in der die meisten Menschen «Eine total, total verrückte Welt» kennen – wobei auch diese Fassung den absurden Witz einer völlig maßlosen Slapstickkomödie sehr gut rüberbringt.



Die 6 glorreichen Aspekte von «Eine total, total verrückte Welt»


Stanley Kramer wollte mit «Eine total, total verrückte Welt» die ultimative Komödie inszenieren, und auch wenn sich selbstredend darüber streiten lässt, inwiefern diese Produktion das Nonplusultra aus qualitativer Hinsicht ist, so fällt es schwer, einen Genrevertreter zu finden, auf den mehr handwerkliche Superlative zutreffen: Dieser Chaosbombast ist cineastischer Exzess in einer Filmgattung, die meist mit kleineren Mitteln arbeitet und somit ein festliches, filmisches Kuriosum: Ein extrabreites Bild. Gigantischer produktionstechnischer Aufwand. Eine ungeheuerlich breitgewalzte Laufzeit, obwohl viele Komödien schon bei 100 Minuten entweder enden oder außer Puste sind. Und Kramer marschiert munter, dreist grinsend weiter, obwohl er keine nennenswerte Plotstütze hat.

Dass auf diesen kreativen Hochmut nicht der zumeist obligatorische, herbe Fall folgt, liegt unter anderem am sensationellen Ensemble: Hier geben sich Komödienlegenden die Klinke in die Hand, und statt sich einfach auf ihrem Namen auszuruhen, geben sie alle ihr Bestes – ob in feuchtfröhlichen verbalen Schlagabtauschen, durch staubtrockene Reaktionen auf den maßlosen Irrsinn, der um sie herum ausbricht, oder durch würdevoll-verrückten Slapstick. „Anspruchsloser Humor, doch mit hohem Anspruch an die eigene Performance abgeliefert“, so scheint die Devise.

Elementarer Teil dieses Vergnügens sind zudem die zahllosen, schrillen Stunts: Alles, was sich fortbewegen kann, wird in diesem Komödienklassiker genüsslich geschrottet, und dies mit einem faszinierenden Variantenreichtum. Die Ideenvielfalt zeigt sich auch in der genialen Pause, die schon fast im Alleingang den Griff zur Langfassung rechtfertigt: Während der in Epen des alten Hollywoods üblichen Pause gibt es kein typisches Scoremedley zu hören, sondern Polizeifunkübertragungen, die in Echtzeit die Handlung weitererzählen und ihre Absurdität kommentieren.

Der frenetische Spaß wäre jedoch nur halb so viel wert, würden Kramer und sein Kameramann Ernest Laszlo nicht das extrabreite Bild voll ausnutzen und die zahlreichen ambitionierten Stunts in vollem Glanz und Gloria zeigen sowie den Bildausschnitt mit Chaos vollstopfen. Vor allem aber beeindruckt es, wie ausgetüftelt Kramer den ganzen Trubel orchestriert: Die verschiedenen Handlungsstränge rund um die launigen Figuren sind so ineinander verzahnt, dass jedes Setpiece zur Eskalation getrieben wird und direkt danach anderes Tohuwabohu starten kann – immer und immer wieder, für mehr als drei erschöpfend-vergnügliche Stunden. Und das macht «Eine total, total verrückte Welt» zumindest zum König der Slapstickkomödien.

Die Kurzfassung von «Eine total, total verrückte Welt» ist bei iTunes und Amazon verfügbar, außerdem ist sie als deutsche DVD erschienen. Die Langfassung erschien in der Criterion Collection als 5 Discs umfassendes DVD-/Blu-ray-Set. Fans des Films sollten zudem das Düsseldorfer Metropol-Kino im Auge behalten – dort wird in unregelmäßigen Abständen die Langfassung aufgeführt.
05.02.2017 01:38 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/91034