Die Kino-Kritiker: «Passengers»

Stars, schöne Klänge sowie hübsche Bilder. Und eine Story voller Ecken und Kanten, die durch eine leichtgängige Regieführung auf überaus bedenkliche Art hinweggebügelt werden.

Filmfacts «Passengers»

  • Regie: Morten Tyldum
  • Produktion: Neal H. Moritz, Stephen Hamel, Michael Maher, Ori Marmur
  • Drehbuch: Jon Spaihts
  • Darsteller: Jennifer Lawrence, Chris Pratt, Michael Sheen, Laurence Fishburne, Andy García
  • Musik: Thomas Newman
  • Kamera: Guy Hendrix Dyas, Rodrigo Prieto
  • Schnitt: Maryann Brandon
  • Laufzeit: 116 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
«Guardians of the Galaxy»-Star Chris Pratt. «Die Tribute von Panem»-Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence. Ein elegant gestaltetes, mittels zumeist sehr ansehnlicher Effekte verwirklichtes Raumschiff als Setting. Und ein schnell begriffenes Konzept, das in allerlei Genres funktionieren würde – von Horrorfilm oder Psychodrama bis hin zu Hochglanzblockbuster: Was, wenn man bei einer mehr als ein Jahrhundert überdauernden Weltraumreise viel zu früh aus seinem künstlichen Schlaf geweckt wird?

«Passengers» ist ein (oberflächlich betrachtet) überaus attraktiver Hollywood-Film. Einer, der bei sehr flüchtiger Betrachtung hält, was er verspricht: «The Imitation Game»-Regisseur Morten Tyldum erschafft eine vor Rückverweisen strotzende, ästhetische Science-Fiction-Welt. Das Drehbuch von Jon Spaihts («Prometheus») ist dynamisch strukturiert: Mit ruhigem Prolog, einem zunächst sehr lustigen ersten Akt, der ins Dramatische kippt. Einem romantisch aufgezogenen zweiten Akt, der in unter die Haut gehende Suspense kippt. Ehe der sukzessive vorbereitete, laute und effektlastige, mit Action bepackte finale Akt folgt.

Jennifer Lawrence und Chris Pratt spielen ihr leinwandtaugliches Charisma aus. Pratt verinnerlicht ein Großteil der vielen, verworrenen Emotionen seiner Rolle. Lawrence indes spult zwar die Videobotschaften ihrer Figur routiniert runter (und somit die Szenen, die ihr eine runde Hintergrundgeschichte geben sollen), erweckt sonst jedoch einen engagierten Eindruck.

Doch die Oberfläche von «Passengers» ist rasch weggekratzt. Es fängt schon beim Produktionsdesign an. Dass sich die Kulissen an Filmklassikern anlehnen, ist noch problemlos. Dass die als Zufluchtsort und Hort komödiantischer Szenen dienende Bar an die aus «Shining» angelehnt ist, ist aber, je nach Blickwinkel: A) Ein recht wahlloser Verweis. Oder B): Beweis dafür, dass das Gesamtwerk deutlich leichtgängiger und gedankenloser geraten ist, als es wohl einst sein sollte.

Die Instrumentalmusik von Komponist Thomas Newmans wiederum ist einprägsam, betörend schön und komplex arrangiert – sowie ein dreister Eigenklau aus seinen Arbeiten für die Pixar-Filme «Findet Nemo», «WALL·E» und «Findet Dorie». Die Technologie des als Schauplatz dienenden Raumschiffs operiert nur auf Hollywood-Logik, mit Makeln, die sich nach der Storydramaturgie richten. Nicht nach einer inneren, kohärenten Logik.

Und all dies sind noch immer (etwas tiefer gehende) Schönheitsfehler. Die wirklich argen Probleme an «Passengers», die einen anhaltend bitteren Nachgeschmack hinterlassen, werden im Film erst nach rund der Hälfte der Laufzeit bemerkbar. Doch sie nehmen sukzessive zu. Und da Tyldum im haarsträubende Züge annehmenden Finale jegliche rettende Option links liegen lässt, gerät «Passengers» vom Blockbuster mit unglücklichen Implikationen zum möglichen Diskussionsanreger und schlussendlich zu einem frustrierend-problematischen Stück Popkultur.

Spoilerfrei lässt sich dies nicht näher artikulieren – Sci-Fi-Liebhaber und Gelegenheitskinogänger, die nicht zu viel wissen wollen, sollten anhand der obigen Zeilen abschätzen, wie sehr sie «Passengers» denn nun reizt. Alle anderen können sich gerne vorab auf ein mehr als bloß fragwürdiges Ende gefasst machen …


Entgegen dem, was die Trailer und TV-Spots behaupten, handelt «Passengers» nicht davon, dass ein Mann und eine Frau 90 Jahre vor Ankunft an ihrem Ziel auf einem Raumschiff aufwachen, während der Rest der Passagiere noch seinen das Altern ausbremsenden Schlaf hält. Stattdessen dreht sich der Beginn des Films um einen einzelnen Mann, dem diese Misere widerfährt. Chris Pratt spielt dies mit Galgenhumor, der in „Das Beste aus der Sache machen“-Spritzigkeit übergeht und dann Schritt für Schritt zu wahnhafter Einsamkeit wird.

Als nach etwa einem Jahr dieses Wrack von einem Mann kurz davor steht, Selbstmord zu begehen, spielt er mit dem Gedanken, einen weiteren Passagier aufzuwecken – und ihm somit die vermeintlich sichere Zukunft auf einem noch 89 Reisejahre entfernten Planeten zu nehmen. Er hadert mit sich, was Pratt mit verletzten Hundeaugen und verlorenem Gesichtsausdruck darbietet, gibt letztlich aber nach, und reißt eine Journalistin aus ihrem künstlichen Schlummer – ohne ihr davon zu erzählen.

Dass sich daraufhin zwischen den beiden Figuren eine neckische Dynamik entwickelt, ist vertretbar. Lawrence und Pratt holen mit ihrem komödiantischen Timing und dem im Mittelteil süffisant-zynisch-doppelbödigen Humor viel aus dieser Prämisse heraus. Und dass sich nach dieser in gewisser Weise einem Mord (auf Zeit) gleichkommenden Tat «Passengers» nicht auf Anhieb zum Psychothriller wandelt, kann wohlwollend als strukturelle Überraschung gesehen werden. Ähnlich eines Slasherfilms, der vor dem brutalen Finale durch Humor seine Figuren menschlicher macht.

Dennoch muss diese den Film überschattende Tat auf langer Sicht Konsequenzen nach sich ziehen – und in der Skizzierung dieser wird «Passengers» endgültig vom glattgebügelten, aber kurzweiligen Blockbuster mit potentieller Sci-Fi-Psychokammerspiel-Prämisse zum Problemwerk. Nach allerlei süßlich-verspielten Liebesalbereien kommt das dunkle Geheimnis ans Licht. Von einer kurzen Montage abgesehen, in der Lawrence mit voller Inbrunst die Gefühle darbietet, die ihre Figur erfüllen, von Horror und Wut hin zu Abscheu, macht Tyldum ein RomCom-Missverständnis aus der Sache. Unsere füreinander bestimmten Helden liegen sich in den Haaren, aber eine freundliche Bildsprache, quirlige Hintergrundmusik und gewitzte Dialoge sowie gemeinsam überwundene Actionsequenzen führen sie nach dem Zoff schrittweise wieder zusammen!

In den letzten Filmminuten entwirft Tyldum mehrere Szenarien, in denen das Karma wieder ausgeglichen werden könnte. Aber die zwar leicht erklärte, dennoch gravierende und grauenvolle Verzweiflungstat bleibt ungesühnt. Viel schlimmer: Sie wird als die einzig richtige Entscheidung geschildert, eine mit fruchtbaren, aus inniger Liebe entsprungenen Nachwirkungen.


Es ist völlig akzeptabel, wenn Blockbuster-Figuren moralisch fragwürdig handeln und Plots ethische Fragen aufwerfen. Etwa: „Wie würdest du handeln, wenn du dein Leben retten und verbessern könntest, indem du die Pläne einer anderen Person zerstörst?“ Es müssen auch nicht einmal sämtliche unentschuldbaren Entscheidungen bestraft werden – Krimis, in denen der Mörder entkommt und Horrorfilme, in denen das Böse nur gehemmt, nicht aber bezwingt wird, sind nicht grundlos beliebt.

«Passengers» gehört aber nicht zu diesen fies-grimmen Geschichten. Sondern ist die fröhlich dahingesäuselte, ohne jeglichen Funken der Subversion versehene Geschichte eines Mannes, der zum Selbstschutz und zur Bespaßung das Leben einer Frau zum Entgleisen bringt. Sie verlieben sich. Sie kommt hinter den Ursprung dieser Romanze, woraufhin die Frau nach kurzem Wutanfall erkennt, dass er den richtigen Riecher hatte und sich ihm willig hingibt. Munter-romantische Streicherklänge, Happy End für alle! Das wird Teilen des Publikums zurecht den Magen verdrehen – und andere naiv-ahnungslos ein Weltverständnis in den Kopf setzen, das es zu bekämpfen, statt zu bestätigen gilt.

«Passengers» ist ab dem 5. Januar 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen. In 2D und kaum ausgenutztem 3D.
03.01.2017 12:44 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/90334