Lasse reden!

RTL hat den «Heißen Stuhl» aus der Mottenkiste geholt. Ein richtiger Gedanke: denn das deutsche Fernsehen braucht mehr kontroverse (!) Diskussionen. Die konkrete Umsetzung ließ leider zu Wünschen übrig.

Talk-Shows fehlt im Normalzustand der Bums. Vor allem, wenn sie politisch sind. Das denken sich vermutlich Programmverantwortliche privater Fernsehsender, wenn sie sich durch entsprechende Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen zappen. Stuhlkreise wie bei einer Selbsthilfegruppe, Moderatoren, die eher koordinieren, nachfragen und präzisieren, als zuzuspitzen und Öl ins Feuer zu gießen, und dann noch eine Studiooptik mit Pastelltönen wie bei einer verunglückten Möbelhauseröffnung.

Nein, das Privatfernsehen muss das anders machen: konfrontativer, schneller, dynamischer, mit mehr Zuspitzung und mehr Polemik, am besten in düsterem Ambiente und mit einer Bildsprache, die an antike Gladiatorenkämpfe erinnert. Kritische Medienbeobachter sind dieser Denkweise nicht abgeneigt: Dezidierte Töne sind nicht nur gut fürs Geschäft, sie machen die Diskussion nicht nur spannender und aufreibender, sondern oft auch: gehaltvoller, leidenschaftlicher, klarer.

Doch die Wiederbelebung des «Heißen Stuhls» bei RTL geht inhaltlich in die völlig falsche Richtung: nicht nur, weil sie aus der Zeit gefallen wirkt, sondern weil sie im Kern eine unanständige Boulevardisierung in sich trägt. Meinung wird zu Soundbites reduziert, Gedankengänge werden so stark fragmentiert, überspitzt und verdreht, bis sie keinen sinnigen Bezug zur objektiven Realität mehr haben, und am Schluss hinter all dem Krawall, dem Schall und Rauch, wenig mehr bleibt als ein reaktionärer Sarrazin, der sich bemüht, die Angriffe seiner Gegner abzuwehren.

Man könnte nun also all den Schall und Rauch weglassen, und am besten auch gleich den bei einem solchen Konzept überflüssigen, weil vermittelnden Moderator. Das weckt freilich böse Erinnerungen: an jenes völlig unsägliche TV-Duell im österreichischen Fernsehen zwischen Norbert Hofer und Alexander van der Bellen, in dem die beiden Präsidentschaftskandidaten um einen Tisch saßen und miteinander sprechen sollten. Die Veranstaltung endete in einer nationalen Blamage.

Man könnte es trotzdem besser machen als ATV: indem man auf aktive Politiker und Krawallschachteln wie Sarrazin als Gäste verzichten würde, und stattdessen Menschen einlädt, die im Mindesten über ausgereifte intellektuelle Kapazitäten, am besten noch über einen breiten Sachverstand verfügen, und man diese Personen ohne das lächerlich pedantische Regelwerk miteinander sprechen ließe, mit dem TV-Duelle oft auskommen müssen: ohne Moderator, ohne überbesetztes Panel, das gespielt-provokative Fragen stellt, ohne Stuhlkreis, ohne Messung der Redezeit, ohne Dämmerbeleuchtung.

Ein erstes Wunschduell zur geistigen Anregung der Redaktionen: Thomas Fischer versus Andrew Hammel: Der Erste ist Bundesrichter und meinungsstarker Zeit-Kolumnist mit jahrzehntelanger Erfahrung im Justizbetrieb, zweifellos eine der höchsten Rechtsautoritäten in Deutschland und ein intellektuell äußerst scharfer Geist noch dazu. Der Zweite ist ein ehemaliger amerikanischer Strafverteidiger und Jura-Dozent in Deutschland, der sich journalistisch durch seinen Blog „German Joys“ hervorgetan hat. Was sie eint, sind ihre juristische Expertise, ihre Geisteskraft und ihr Wille zur Haltung. Was sie unterscheidet, sind ihre politischen Positionen: Während Fischer in grandiosen Texten regelmäßig die bisherige deutsche Flüchtlingspolitik verteidigt, ist Hammel, seines Zeichens glühender Bernie-Sanders-Unterstützer, ihr eiserner Kritiker. Beide haben gute Argumente. Was wäre das für eine spannende Sendung, wenn man sie miteinander debattieren ließe.

Jedenfalls spannender, als die effektlosen Versuche, den ollen Sarrazin aus der Reserve zu locken.
16.12.2016 12:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/90017