Dem Kanadier Denis Villeneuve gelingt mit seinem Science-Fiction-Drama «Arrival» etwas, was noch nicht einmal seine ganz großen Kollegen aus Hollywood geschafft haben: Sein Erstkontakt zwischen außerirdischem Leben und der Menschheit gerät so realistisch, wie in noch keinem anderen Film zuvor.
Normalerweise lassen sich ja gerade Science-Fiction-Filme entweder dem Bild der Utopie, oder – vor allem derzeit gern genommen – der Dystopie zuordnen. Die erste Besonderheit an «Arrival» ist diese, dass sich Denis Villeneuve bei der Inszenierung des von Eric Heisserer («Lights Out») auf Basis der von Ted Chiang verfassten Kurzgeschichte «The Story of Life» verfassten Skripts vollständig davon loslöst, seinen Film in eine der beiden Kategorien einzuordnen. «Arrival» etabliert zu Beginn der zweistündigen Odyssee ein Grundszenario, das ausschließlich den Ist-Zustand beschreibt, das aber zu keinem Zeitpunkt Aufschluss darüber gibt, welche Richtung eben dieser noch einschlagen könnte. Wenn Amy Adams («Batman v Superman: Dawn of Justice») zu Beginn des Films über das Fernsehen von der weltweiten Landung mehrerer eiförmiger Flugobjekte berichtet, herrscht genau die Art von Verwirrung in Gesellschaft und Regierung vor, wie man sie auch heute schon immer dann erleben kann, wenn ein besonders großes (meist tragisches) Ereignis die Welt für einen kurzen Moment erschüttert. Villeneuve braucht diese Atmosphäre, die wir alle schon am eigenen Leib erlebt haben, nicht noch weiter auszuschmücken, um die greifbare Intensität derselben einzufangen. Das, was in «Arrival» passiert, fühlt sich vor allem deshalb so echt an, weil sich der Kanadier nicht an dem in Hollywood so gern gesehenen „Höher, schneller, weiter“-Konzept bedient. Sein Film packt einen, weil er den Ereignissen nicht mehr Spektakel beimisst, als jedem anderen besonderen Ereignis auch. Und vielleicht ist er gerade damit auf exakt dem richtigen Weg, um zu ergründen, was wäre, wenn wir mit außerirdischem Leben in Kontakt gerieten.
Auch, wenn sich «Arrival» vor allem auf zwei sich einander ergänzende Figuren konzentriert, geht es im Kern weniger um die Interaktion der beiden, als um die Entschlüsselung des eingangs schon angerissenen Ist-Zustands. Was steckt hinter den überdimensionalen Flugobjekten? Sind sie Freund oder Feind? Und vor allem: Wie beeinflussen sie uns Menschen in dem, was wir jeden Tag tun? In seinen 116 Minuten befasst sich Denis Villeneuve allen voran mit dem Mysterium der Sprache. Als Linguistin liegt es an Louis Barker, die Kommunikationsform der außerirdischen Wesen zu erforschen. Was in der Theorie erschreckend trocken klingt, kann Villeneuve dank des cleveren Drehbuchs so nachvollziehbar und spannend inszenieren, dass auch der Zuschauer bald jede neue Erkenntnis aufsaugt. Auch wenn unsereins aufgrund der komplexen Ausarbeitung nie auch nur im Ansatz in der Lage sein dürfte, im Stil klassischer Krimis mitzuknobeln, wirken die anschließenden Erklärungen zu keinem Zeitpunkt weit hergeholt. So kommt es auch, dass der Moment der Einsicht ob dieses Mysteriums für den Zuschauer besonders intensiv gerät. Ein wenig erinnert «Arrival» im Stellenwert dieser Erkenntnis an «Interstellar». Villeneuve ist darin jedoch nicht bloß viel minimalistischer und setzt auf weniger Spektakel. Durch geschickte Irreführung und das Außenvorlassen entscheidender Informationen wird der Zuschauer während seiner Erleuchtung dazu aufgefordert, nicht bloß all sein Wissen der vergangenen zwei Stunden neu aufzurollen, sondern sich auch nochmal all den vorausgegangenen Emotionen zu stellen. Gefühlsschwankungen von knapp zwei Stunden innerhalb weniger Sekunden erneut zu durchleben, führt in „Arrival“ wahrlich zu einem der intensivsten Kinomomente der Filmgeschichte; und damit hätten wir die dahinter steckende Begründung noch nicht einmal angerissen.
Doch Denis Villeneuve ist nicht bloß ein formidabler Geschichtenerzähler, er ist auch einer der größten Ästheten des modernen Gegenwartskinos. Sein Doppelgänger-Psychothriller «Enemy» gestaltete als fiebrigen Albtraum, während er aus dem Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA ein pulsierendes Moloch aus Angst und Gewalt kreierte. In «Prisoners» dagegen herrschte die eiserne Kälte Rache innewohnender Fantasien vor, für die Kamerakünstler Roger Deakins einen Oscar hätte gewinnen müssen. Für «Arrival» nun setzen Villeneuve und sein Kameramann Bradford Young («Selma») auf Minimalismus. Lediglich im Inneren der Flugobjekte, in dem gerade Linien das Bild dominieren, erlaubt sich der Kameramann einen Hauch Verspieltheit; etwa wenn er in hypnotischen Kamerafahrten – im wahrsten Sinne des Wortes – permanent die Blickperspektive auf das Geschehen ändert. Ansonsten verzichten die Macher auf die Verwendung besonderer Filter oder andere visuelle Besonderheiten. Manchmal verharrt die Kamera minutenlang in einer einzigen Einstellung und lässt das Geschehen für sich sprechen. Die darüber hinaus nicht minder unspektakulären Effekte fügen sich hervorragend in das realistische Setting ein. Auf musikalischer Ebene kombiniert Komponist Jóhann Jóhannsson («Die Entdeckung der Unendlichkeit») einen fast schon non-existenten Score minimalistischer Instrumentalklänge mit Max Richters einprägsamer Ballade „On the Nature of Daylight“ (bekannt aus «Shutter Island» und «Disconnect»), das so prägnant die Flashbacks in die Vergangenheit von Adams’ Figur untermalt, dass sich der ihr innewohnende Schmerz Szene für Szene stärker auf uns überträgt. Denn am Ende geht es nicht um das „Was wäre, wenn?“ – es geht um das „Was ist?“…