Sitcom, wann wirst du wieder witzig?

In englischen Medien ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie witzig das Sitcom-Genre überhaupt noch ist. «The Big Bang Theory» hält die Quotenfahne hoch, ansonsten verlieren viele hochgelobte Comedys ihre essentielle Qualität: uns zum Lachen zu bringen.

«The Big Bang Theory» ist ein Exot.

Warum? Die Serie vertritt ein Genre, das immer bedeutungsloser wird, immer weniger relevant: die klassische OneLiner-Sitcom mit ständigen Gags. Und vor Publikum aufgezeichnet. Dass «The Big Bang Theory» ein solcher Exot ist, überrascht trotzdem sehr: Denn noch immer ist es die erfolgreichste Comedy im amerikanischen Fernsehen und bringt weltweit Zuschauer zum Lachen. Und normalerweise gilt nach den Gesetzen des Fernsehens: Was erfolgreich ist, wird kopiert. Doch statt Vorreiter eines neuen Sitcom-Trends zu sein, ist die Nerd-Serie eine der letzten Bastionen klassischer Unterhaltung. Das Genre entwickelt sich in die gegensätzliche Richtung.

Serienkenner blicken eher abschätzig auf «The Big Bang Theory» und seine wenigen verbliebenen Vertreter. Die Formate, über die man spricht, sie wollen aus der Comedy eine Kunst erheben. Sie wollen relevanter sein und tiefgründiger, oft mit einem komplexen Narrativ versehen. Sie verstehen sich nicht mehr primär als Gag-Lieferanten, sondern als tragikomische Beschreibungen des Lebensalltags. Oftmals sind sie autobiographisch geprägt, gern beschreiben sie die Probleme (junger) Großstädter. Die Sitcoms, über die Seriennerds und Kritiker sprechen, sie heißen derzeit «Master of None», «Love», «Transparent», «Orange is the New Black», «Girls», «Divorce» und «Atlanta». Man könnte die Liste fast endlos fortführen: «One Mississippi», «Red Oaks», «Fleabag», «Easy», «Insecure», «Lovesick»…

Wenn Comedy nicht mehr lustig sein will


In englischsprachigen Medien ist zuletzt eine Diskussion über diese Entwicklung entbrannt. Dan Nosowitz von Splitsider.com bemängelt die Entwicklung weg von der Schenkelklopfer-Unterhaltung. „Ich schaue immer noch Comedys – und liebe sie immer noch! –, aber sie dienen nicht mehr dem eigentlichen Zweck. Man kann nicht einfach «Transparent» einschalten, wenn man mal betrunken ist, und dabei sechs Stücke Buffalo-Pizza in sich hineinstopfen; das ist einfach nicht diese Art von Serie dafür. Aber wo ist eine solche Serie denn hin verschwunden?“ Der Autor wünscht sich mehr Berieselung, er wünscht sich wieder mehr von der Art Comedy, die man nach einem harten Arbeitsalltag einschalten und den Kopf ausschalten kann.

Ähnliches schreibt Rachel Arogesti vom Guardian: Sie bezeichnet diese primär unwitzigen Comedys wunderbar als „Sadcom“; ein Begriff, der es auf den Punkt bringt. Den Aufstieg des Genres begründet sie mit veränderten Sehgewohnheiten. Nicht alle Medienbeobachter stimmen in den Tonus ein. Brian Moylan, ebenfalls vom Guardian, kennt durchaus noch sehenswerte klassische Vertreter. Er nennt «black-ish», «Modern Family», «Mom» und «The Goldbergs» als Beispiele. Und er ermahnt die Kritiker dazu, über den Tellerrand hinauszuschauen: Gute Comedy finde eben auch noch im Network-Fernsehen statt.

Wer also hat nun recht? Vermutlich beide Seiten. Es ist eindeutig, dass die sogenannte Sadcom einen ungeahnten Aufstieg erlebt. Alle Autoren führen diese Entwicklung auf «Louie» zurück, eine 2010 gestartete Serie des amerikanischen Comedians Louis C.K., der das Genre mit seiner autobiographischen Serie dekonstruierte und die Tragik in der Komik zum kunstvollen Stilmittel erhob. Er brach kreative Grenzen auf und bereitete den Nährboden für viele weitere Comedians und Produzenten wie Aziz Ansari, Judd Apatow, Lena Dunham oder Gebrüder Duplass. Sie konnten später ihre Ideen in Serienform verwirklichen, stehen in der Tradition von Louis C.K.

Aber auch Brian Moylan hat recht mit seiner Meinung, dass es sehenswerte Vertreter der „einfachen“ Comedy noch gibt. Allerdings: Die Formate, die er aufzählt, sind schon fast alle nennenswerten übriggebliebenen. Sie werden zahlenmäßig weniger, und sie werden weniger wertgeschätzt. Die klassischen Sitcoms werden auch deswegen nicht mehr wahrgenommen, weil sich die Diskussionskultur über Serien geändert hat: An dem Punkt, an dem es cool wurde, Serien zu sehen und darüber zu sprechen, da mussten auch gleichzeitig die Inhalte cool werden. Sonst lohnt die Diskussion schließlich nicht. Und in Sachen Coolness übertrumpfen «Love», «Orange is the New Black» oder «Girls» die traditionellen, massenkompatiblen Formate «Modern Family» oder «The Big Bang Theory».

Die neue Comedy: Emotion als Grundnahrungsmittel


Fernsehen funktioniert über Emotionen, und die neue Comedy hat das Zeug dazu, das volle Spektrum der Emotionen abzudecken, von Traurigkeit und Ernsthaftigkeit bis zur Situationskomik. Im so hochgelobten Drama-Genre sind witzige Momente dagegen unpassend und fehl am Platz. Daraus können wir schlussfolgern, dass kreative Freiheit – eines der wichtigsten Güter für Serienproduzenten – bei den modernen neuen Comedys groß und auf neue Weise ausgelebt werden kann. Gleichzeitig existiert für diese Art kreativer Freiheit mittlerweile ein Markt mit der Aussicht auf Reputation und Preise. Die Genre-Grenzen verschwimmen, die Comedy will ernst genommen werden, wortwörtlich. Eigentlich ein Widerspruch in sich.

Man kann daher folgende These wagen: Wer früher eine intelligente Comedy produzieren wollte, hatte die Regeln des Network-Fernsehens und inhaltliche Grenzen zu befolgen. Dies führte zu großartigen Serien wie «Seinfeld» oder «Frasier». Doch dieser Markt scheint ausgetrocknet. Denn wer heute intelligente Comedys produzieren will, braucht dies nicht mehr über den Network-Weg. Eben jene kreativen Freiheiten gibt es woanders, im Pay-TV oder bei Streaming-Diensten.

Anders gesagt: Die sophisticated Sitcom, die Intelligenz, charakterliche Tiefe, Drama und Schenkelklopfer-Comedy zu gleichen Teilen vereint, sie wird es wohl nicht mehr geben. Entweder geht es vor allem in die eine Richtung oder in die andere.
23.11.2016 11:19 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/89519