Christian Richter erinnert an all die Fernsehmomente, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 324: Eine Castingshow, an der Donald Trump seine wahre Freude gehabt hätte.
«Are U Hot?» wurde am 22. Januar 2007 bei VIVA geboren und entstand zu einer Zeit, als das deutsche Fernsehen bereits einen illustren Fundus an Talent- und Castingshows überlebt hatte. Egal ob Sänger*innen in «Teenstar», ob Schauspieler*innen in «Wer wird die neue Scarlett?» oder ob Witzbolde in «Gaudimax» , all diese Ansätze einte, dass man darin zumindest vorgab, auf der Suche nach einem verwertbaren Talent zu sein. Diese unerträgliche Präsenz von (wenn auch nur rudimentären) Inhalten galt es nun endlich zu überwinden, um der blanken Oberflächlichkeit ungeniert frönen zu können. Wer braucht schon Inhalte, wenn es nackte Haut zu sehen gibt?
Glücklicherweise war das amerikanische Fernsehen dem heimischen Markt erneut ein Stück voraus und hatte dort rund vier Jahre vorher die Reihe «Are You Hot? The Search for America's Sexiest People» zur Primetime getestet, in denen halbnackte Menschen zur besten Sendezeit ihr Aussehen öffentlich bewerten ließen. Allerdings war es den Kontrahent*innen dort erlaubt, wenigstens etwas zu sprechen und ihren Charakter in einem Einspielfilm zu präsentieren. Von diesem überflüssigen Ballast befreite sich die deutsche Adaption und schuf ein Format, das seinen konzentrierten und hemmungslosen Sexismus in einer fast bewundernswerten Weise zur Schau stellte.
Dafür ließ das Unternehmen MME Me, Myself & Eye Entertainment im Herbst 2006 ein Casting veranstalten, bei dem 120 willige Kandidat*innen zwischen 18 und 27 Jahren gefunden wurden, die auf der verzweifelten Suche nach Anerkennung bereit waren, sich im Fernsehen erniedrigen und sämtliche zivilisatorischen Fortschritte hinter sich zu lassen. Sie traten - laut einer offiziellen Pressemitteilung - zum „schärfsten Wettbewerb im deutschen Fernsehen“ an. In diesem, so der Werbetext weiter, wären die wichtigsten Kriterien neben „Attraktivität und Sexappeal“ vor allem „Ausstrahlung, Authentizität und ein gesundes Körpergefühl“ gewesen. Es hätte nämlich das Motto gegolten: „Wer zu dünn ist, fliegt raus.“ Betrachtet man sich die letztlich ausgestrahlten Episoden, muss dieser Satz jedoch nicht als ein moralischer Anspruch, sondern als ein Mittel verstanden werden, mit dem Frauen mit zu kleinen Brüsten ferngehalten werden konnten. Aber eins nach dem anderen...
Pro Ausgabe erreichten auf diese Weise jeweils ein Junge und ein Mädchen das Staffelfinale, in dem sie gegen alle übrigen Etappensieger*innen antreten mussten. Am Ende winkten eine unkleidsame Banderole sowie ein exklusives Fotoshooting als Entschädigung für die verlorene Integrität – also nicht einmal ein brauchbarer Preis oder wenigstens ein wohlklingender Titel. Durch den simplen Ablauf führte das VIVA-Gesicht Collien Fernandes, die zwar zuweilen tapfer gegen die Fülle an Banalitäten anzukämpfen versuchte, letztlich das Trauerspiel aber unterstützte.
Im Kern folgte «Are U Hot?» der üblichen Logik von Schönheitswettbewerben, wie sie schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgetragen werden, nur dass die Anwärter*innen jetzt keine besonderen Fähigkeiten vorführen oder sich Weltfrieden wünschen durften. Stattdessen begann jede Episode mit der Parade von jeweils zehn jungen Männern und Frauen, die schweigend einen Laufsteg entlang schritten und von der Jury direkt ausgesiebt wurden. Aus heutiger Sicht stellte die erste Runde eine Real-Life-Version von Tinder dar und das in einer Zeit, als an die Dating-App noch nicht einmal zu denken war. Die Auslese, die bei Tinder später mit einem Wisch nach links oder rechts vorgenommen werden sollte, lief bei VIVA mithilfe von zwei Buzzern ab, die für „Hot“ und für „Not“ standen und über das weitere Schicksal der Anwärter*innen entschieden. Dabei leuchtete das Abstimmungsergebnis der Jury auf einer großen Anzeigetafel auf, die wie eine Guillotine über den eitlen und selbstverliebten Häuptern schwebte. All das erfolgte gänzlich ohne ein Wort – weder von den Bewerber*innen noch von der Jury.
Was die Teilnehmer*innen an markigen Worten zulegten, verloren sie zugleich an Textilien, da sie fortan bloß in Badebekleidung auftreten durften. Schließlich musste die Jury, die vollständige Personality der Jungs und Mädchen erkennen können. Wie sonst hätten sie in den Kategorien „Gesicht“, „Körper“ und „Sex-Appeal“ ihre Punkte verteilen können. Jedes Jurymitglied durfte für die drei Merkmale jeweils bis zu zehn Punkte vergeben, sodass maximal 90 Zähler auf der Attraktivitätsskala zu gewinnen waren. Der Junge und das Mädchen mit jeweils der höchsten Punktzahl hatten sich im Anschluss am Bühnenrand wie ausgezeichnete Zuchtbullen auf einem kleinen Podest neben einem Monitor zu stellen, auf dem die zugehörige Bewertung wie ein Preisschild prangte.
Alain Midzic: „Ja, mein lieber Mann. Gesicht, Du hast sehr schöne Augen. Du hast Dir mit den Haaren nicht so viel Mühe gegeben heute, aber die sind sehr schön. Hübscher Mund: 8,5 Punkte. Body, schade, dass Du einen Badeanzug anhast, sage ich ganz ehrlich. Also, ein Bikini wäre mir lieber gewesen. Weil ein Badeanzug, das finde ich immer so Bffff. Ist nicht so mein Fall. Aber Du hast eine hübsche Figur. Bisschen wenig Holz vor der Hütten, aber sonst gut. Also, ich finde den Body gut. 8,5 Punkte. Und Dein Sex-Appeal, absolut 9 Punkte.“
Offenbar bestand Meierhenrichs Rolle darin, das Macho-Verhalten ihrer männlichen Jury-Kollegen auf versöhnliche Weise wieder einzufangen, wodurch sie als gute Seele der Show stilisiert wurde, was sie aber nicht daran hinderte, genauso Punkte für die Form der Oberweite zu vergeben. Zu einem anderen Mädchen sagte Baxxter später: „Kommen wir zum Body. Borat würde sagen: ‚You have nice tits‘, hähähä.“ Das Schlimme daran ist, dass dies sowohl der Musiker als auch die von ihm angesprochene Frau als nettes Kompliment angesehen haben. In jeder anderen Umgebung könnten solche Äußerungen bereits als sexuelle Belästigung gelten.
Angesichts dieser zelebrierten Schlichtheit des Konzepts war es nicht verwunderlich, dass die Sendung nach ihrer Premiere eine Menge Kritik erntete und in Zeitungsartikeln, Blogs und Foreneinträgen mit Ausdrücken jeglicher Colour belegt wurde. In einem Beitrag hieß es sogar, dass sie schlimmer als der Crazy Frog gewesen wäre. Wer sich an diese Klingeltonwerbung erinnert, weiß wie abwertend dies gemeint war. Trotzdem erwiesen sich die acht halbstündigen Ausgaben am Montagabend um 21.00 Uhr als ein Achtungserfolg für den Kanal, denn mit durchschnittlich 150.000 Zuschauenden und einem Zielgruppenmarktanteil von einem knappen Prozent gehörten sie zu den beliebtesten Formaten. Weil diese Werte bei den insgesamt vier Wiederholungen im Abendprogramm und jeweils weiteren Terminen am Nachmittag konstant blieben, war es nicht verwunderlich, dass bald die Aufzeichnungen für eine zweite Staffel begannen, in der sich 140 weitere junge Menschen in den Union-Studios in Berlin-Tempelhof dem Jury-Urteil stellten.
In dieser wurde die Jury jedoch komplett ausgetauscht und bestand nun aus VIVA-Sternchen Gülcan Kamps, Schauspieler Manuel Cortez und DJ Alex Christensen. Kamps war im Jahr davor vor allem durch die Live-Übertragung Ihrer (Alp-)Traumhochzeit unangenehm aufgefallen, während Christensen fast gleichzeitig mit seinem Song „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ bewusst oder unbewusst die ideale Bewerbung für sein Engagement abgeliefert hatte. Der Schauspieler Manuel Cortez, der damals den meisten Menschen aus der Telenovela «Verliebt in Berlin» bekannt gewesen sein dürfte, kümmert sich derzeit in seiner Styling-Serie «Schrankalarm» um die Outfits frustrierter Damen und blieb also einer gewissen Seichtigkeit treu.
Dass die Show eine solch stetige Resonanz genoss, mag vor allem daran gelegen haben, dass sie sich nahtlos in das damalige Portfolio von VIVA einreihte, das mit «Girls Of The Playboy Mansion», «America‘s Next Topmodel» und «The Simple Life» aus Reihen bestand, in denen insbesondere bei Frauen Eigenschaften wie Intelligenz, Tiefgang und Niveau als unangenehmer Störfaktor empfunden wurden. Das ist angesichts der Tradition des Senders umso trauriger, der einst mit seinen kultigen VJanes und der ihnen zugesprochenen Girlie-Power ein (zugegeben) seltsames, aber immerhin selbstbewusstes Frauenbild beförderte. Dieser Ansatz wurde mit «Are U Hot?» endgültig beerdigt.