«Herz sucht Liebe»: Fremdscham mit Charme

Thomas Ohrner versuchte sich am Mittwochabend daran, «Herzblatt» bei Sat.1 Gold neues Leben einzuhauchen. Das gelang der sehr Neuauflage auch ganz gut - nicht zuletzt, weil sie sehr nah am Original blieb.

«Herzblatt»-Historie

  • Basiert auf der US-Show «THe Dating Game» (lief von 1965-2000 im US-Fernsehen)
  • Lief von 1987-2004 im Ersten, bevor 2005 noch ein paar weitere Folgen für den BR produziert wurden
  • Insgesamt gab es in 18 Staffeln sieben Moderatoren - nur Rudi Carrell (St. 1-6), Rainhard Fendrich (7-10) und Jörg Pilawa (15-17) hielten länger als zwei Staffeln durch
  • Ursprünglich sollte Günther Jauch moderieren, der aber empfand sich selbst als ungeeignet
  • Die Erfolgsquote der «Herzblatt»-Paare ist überschaubar: von 926 heirateten gerade einmal zwei
Die Fernsehwelt erlebt momentan mal wieder eine regelrechte Retro-Welle. Sowohl im fiktionalen Bereich der Serien und Spielfilme werden in diesen Zeiten reihenweise Formate neu aufgelegt, als aber auch im Show-Segment. Das jüngste Beispiel, das für Sat.1 Gold und dessen «Herzblatt»-Revival vielleicht am ehesten handlungsleitend war, sind die gleich vier Kult-Gameshows der 90er-Jahre, die RTLplus gerade wieder in neuem Gewand auf die Mattscheibe zurückholt - anders als der Spartensender der ProSiebenSat.1-Gruppe allerdings unter ihrem Originaltitel. Hier hingegen wich man auf den etwas gewöhnungsbedürftigen, da vor allem auch an diverse Kuppel-Dokusoaps erinnernden Titel «Herz sucht Liebe» aus, das von nun an acht Wochen lang «Lenßen klärt auf» zur Mittwochs-Primetime ersetzen soll.

Neuen Zuschauern und denjenigen, die es in der Zwischenzeit vergessen haben sollten, sei an dieser Stelle nochmal das Prinzip der Dating-Show erläutert: Drei Kandidaten anderen Geschlechts kämpfen um die Gunst einer Frau oder eines Mannes. Mithilfe unterschiedlicher Fragen versucht die oder der Angebetete, sich seinem künftigen Herzblatt anzunähern. Doch es wird nicht nur gesprochen: Auch durch das mehr oder minder grazile Bestreiten von Aktionen kann sich jede Person aus dem Trio interessanter machen - oder die aufkeimenden Gefühle wieder zerstören. Das Paar, das sich am Ende findet, darf sich jedenfalls im Rahmen eines Dinners und eines Musicals näherkommen und ausloten, ob die showintern aufgekommene Bindung wirklich eine für die Zukunft ist.

Als Moderator fungiert in der Neuauflage Thomas Ohrner, der vor einigen Jahren bereits die Endphase des «Glücksrad» bei kabel eins begleiten durfte und sich in dieser spießig-charmanten Sendung ebenso als solider Fang präsentierte wie bei dem ähnlich gelagerten «Herz sucht Liebe». Denn die Optik und die Aufmachung des Klassikers wirken hier schon etwas aus der Zeit gefallen und auf die Bedürfnisse älterer bzw. an Retro-Stil interessierter Zuschauer gerichtet - böser formuliert könnte man auch sagen: altbacken und angestaubt. Der eigentliche Star ist aber gewiss nicht der recht zurückhaltend agierende Ohrner, sondern Kult-Stimme Susi Müller (Foto), die ohnehin als Station Voice und Ansagerin eine zweite Heimat bei Sat.1 Gold gefunden hat. Auch wenn sie ein wenig an Reife gewonnen haben mag, bleibt ihre Stimme auch im Jahr 2016 genauso augenzwinkernd verführerisch wie in der guten, alten Zeit.

Und genau in diesem Punkt weiß das Format auch zu punkten: Die Modernisierungsbemühungen halten sich in eng gefassten Grenzen, es wurde nicht krampfhaft versucht, irgendeine "Event-Stimmung" zu kreieren und auch die Kandidaten wirken weitgehend authentisch und nicht wie ein Produkt einer zweitklassigen Casting-Schmiede für Nachwuchs-Selbstdarsteller. Situationskomik freiwilliger wie unfreiwilliger Natur bis hin zur Fremdscham gibt es dennoch genügend, ohne dass es ins Lächerliche abgleitet oder die Kandidaten wirklich böse vorgeführt werden. Damit ist im Prinzip ziemlich gut das Gefühl in die heutige Zeit transportiert worden, das die Show in ihrer Blütezeit bereits ausgemacht und zu einem Publikumshit wie auch zu einem beliebten Opfer von Parodisten und Satirikern gemacht hat. Zudem stellt sie mit ihrer inneren Ruhe einen angenehmen klimatischen Gegensatz zu dem Unterhaltungsangebot dar, das uns das deutsche Fernsehen sonst so präsentiert.

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Sehr gut, ich freue mich schon auf die weiteren Folgen.
26,3%
War in Ordnung, da kann man zumindest mal reinschauen.
26,3%
Ganz mies, das muss ich nicht noch einmal sehen.
10,5%
Habe es (noch) nicht gesehen.
36,8%


Letztlich ist also «Herz sucht Liebe» als wirklich respektabler Service an all jene Menschen zu verstehen, die einst wirklich Spaß am Original hatten und ein wenig in Erinnerungen schwelgen wollen, ohne die verwackelten Aufnahmen von damals nochmal aus dem Keller holen zu müssen. Ohrner macht einen soliden Job ohne Glanz- oder Tiefpunkte, Susi klingt noch immer zum Anbeißen heiß und die Kommunikationsbemühungen wildfremder Menschen, die auf ein Pärchenleben hinsteuern sollen, haben noch immer ihre ganz eigene Note. Ein Feuerwerk der spektakulären Unterhaltung wird hier nicht gezündet, einen netten, verspielten Abend mit diversen kleinen Nettigkeiten bekommt man hier aber ganz gewiss geboten. Und viel mehr brauchte «Herzblatt» ja auch damals nie, um zum Kult zu avancieren.

Sat.1 Gold zeigt auch in den kommenden sieben Wochen jeweils mittwochs um 20:15 Uhr weitere Folgen von «Herz sucht Liebe».
19.10.2016 23:20 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/88841