Film des Monats: Langezeit wusste keiner, dass es überhaupt kommen soll. Nun startet 17 Jahre nach dem ersten Teil ein Sequel zum «Blair Witch Project», das es in sich hat.
Was für ein Glück also, dass «You’re Next»-Regisseur Adam Wingard das Sequel zum Neunzigerjahre-Found-Footage-Überfilm «Blair Witch Project» ohnehin lange unter Verschluss halten musste. Nicht, um einem etwaigen Sturmlaufen der Fans zu entgehen, sondern um in einer Zeit, in der die Videoeinblendung vom tatsächlich irgendwo gefundenen Videomaterial einfach nicht mehr glaubwürdig ist, einen ähnlichen, einen anders funktionierenden Internethype zu kreieren, wie Ende der Neunziger die Macher des Originals. Damals brachten die Regisseure Eduardo Sánchez und Daniel Myrick tatsächlich das Kunststück fertig, mit ihrer Fake-Doku über die Hexe von Blair die Zuschauer zum Narren zu halten. Die Wackelkamera-Inszenierung, die vorab nur in europäischen Billigproduktionen zum Einsatz kam, erreichte nun auch den Mainstream, aus der die «Paranormal Activity»-Reihe Ende der Nullerjahre eine ganze Trendbewegung machte. Mittlerweile weiß jeder, dass hinter den vermeintlich echten Aufnahmen ein Team aus Drehbuchautoren, Regisseuren und bezahlten Schauspielern steckt. Kann ein Sequel zum Urvater des Found-Footage-Films also überhaupt noch so intensiv funktionieren, wie einst? Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären: Eigentlich wollen einem die Umstände schon sagen, dass wir es hier mit einem Ding der Unmöglichkeit zu tun haben. Doch weit gefehlt! Adam Wingard und sein Drehbuchautor Simon Barrett gelingt das schier Unmögliche: Ihr «Blair Witch» ruft beim Zuschauer exakt jenes beklemmende Gefühl hervor, das bis heute ausschließlich von «Blair Witch Project» ausging. Die viel verwendete Found-Footage-Werbefloskel „Das «Blair Witch Project» einer neuen Generation“ greift hier also tatsächlich; ganze 17 Jahre lang musste das Publikum warten, um einen ebenso intensiven Albtraum zu durchleben, wie damals im Jahre 1999.
Welches Geheimnis birgt die Hütte im Wald, die wir auch schon aus dem ersten Teil kennen und die nach dem Fund des Videomaterials 1999 nie entdeckt wurde?
Nun darf das Grauen seinen Lauf nehmen. Wie schon in «Blair Witch Project» besteht auch das erste Drittel von «Blair Witch» daraus, sich im Wald einen Überblick über die Vegetation zu verschaffen. Man albert herum, kundschaftet die Landschaft aus und stellt erst einmal nichts Auffälliges fest. Bis irgendwann aus Ästen gebastelte Figuren und Steinhaufen um die Feuerstelle der Clique auftauchen, das Zeitgefühl der Freunde verrückt spielt und die Sonne partout nicht mehr aufgehen will. Ganz so schleichend wie 1999 geht es in «Blair Witch» nicht mehr zu – wohl auch aus dem Grund, weil ein sich derart lethargisch aufbauender Genrefilm heutzutage kaum noch funktionieren würde. In der Fortsetzung geht die Entwicklung von der harmlosen Wald-Expedition hin zum nackten Überlebenskampf zügiger vonstatten. Auf Effekthascherei setzt Adam Wingard indes nicht. Auch den Fehler, das Grauen zu entlarven, indem man den Übeltäter (oder die Übeltäterin?) irgendwann zeigt, begeht der Filmemacher nicht.
Unter Zuhilfenahme feiner Referenzen an den ersten Teil wird auch «Blair Witch» zu einem subtil inszenierten Albtraum, der sich schließlich in einen absolut wahnwitzigen Horrortrip verwandelt. Das im wahrsten Sinne des Wortes irre Finale präsentiert seinem Publikum die blank liegenden Nerven des modernen Terrorkinos, schlägt aberwitzige Haken und funktioniert doch im Hinblick auf die Details am besten. Es wird laut, verwackelt sowie durch und durch angsteinflößend, doch es ist nicht die Angst vor einem Jumpscare, die den Zuschauer hier zu steter Aufmerksamkeit zwingt. Es ist das Wissen darum, mit welch immenser Wucht die Schlussszene von «Blair Witch Project» damals in unser aller Magengrube traf, die uns darüber nachdenken lässt, ob wir das, was das Finale von «Blair Witch» offenbart, tatsächlich sehen wollen. Und genau damit treffen die Macher den Kern des Originals so genau. Abgesehen von einigen Spielereien, die von Regisseur und Autor fast schon als augenzwinkernder Kommentar dazu zu verstehen sind, dass man es sich bei der Inszenierung von Schocks auch wesentlich einfacher machen könnte (das Erschrecken darüber, dass plötzlich der beste Freund hinter einem steht, findet natürlich auch hier ein ums andere Mal statt), schafft es der Film, exakt dieselbe Atmosphäre zu schaffen, die bislang ausschließlich «Blair Witch Project» vorbehalten war.