Ein Film zum Verlieben: Mit «SMS für Dich» liefert Karoline Herfurth nicht bloß ein herausragendes Regiedebüt ab, sondern auch den längst fälligen Befreiungsschlag für die deutsche RomCom.
«SMS für Dich» hält sich nicht lange an einer Exposition auf. Gerade mal eine Minute haben die von Karoline Herfurth gespielte Protagonistin Clara und ihr Verlobter Ben in der Eröffnungssequenz Zeit, um die Harmonie und Liebe zwischen den beiden an den Zuschauer heranzutragen. Es ist eine klassische Lovestory-Sequenz, die jäh von einem schweren Autounfall durchbrochen wird. Ben rennt vor ein Auto. In quälend langer Zeitlupe realisiert die schockierte Clara, was sich da vor ihren Augen gerade abspielt. Es folgt ein Zeitsprung, zwei Jahre später. Die Trauer ob dieses Schocks ist immer noch nicht überwunden, doch die Verarbeitung läuft auf Hochtouren. Clara zieht zurück nach Berlin. Der Stadt, in der sie mit Ben den Großteil ihres Lebens verbrachte und der sie nach dem Unfall den Rücken kehrte. An ihrer Seite steht die von Nora Tschirner («Alles ist Liebe») gespielte, beste Freundin Katja; lebensfroh, aber ebenfalls mitgenommen von Bens Tod. Die Regisseurin Herfurth hat wenig Zeit, um das Szenario glaubhaft zu etablieren. Durch den Zeitsprung von zwei Jahren lässt sie die wichtige Trauerphase sogar gänzlich unbeobachtet. Dass der Zuschauer die Gefühlslage der Hauptfiguren trotzdem mitempfindet, ist nicht bloß dem durch und durch glaubhaften Spiel der Darstellerinnen zu verdanken, sondern in erster Linie den lebensnahen Dialogen. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Sofie Cramer, lassen die Drehbuchautoren Karoline Herfurth, Malte Welding («Nicht deine Liga») und Andrea Willson («Deutschland 83») ihre Figuren so sprechen und handeln, wie es auch im echten Leben passiert. Mit Ausnahme einiger eher als Karikaturen angelegter Nebenfiguren, ist es insbesondere die Interaktion zwischen Clara und Katja, welche die Handlung gerade in der ersten Hälfte mühelos tragen kann. Herumalbern, trauern, sinnlose Gespräche führen – die Freundschaft der beiden gerät zu jedem Zeitpunkt glaubwürdig. Ein gemeinsamer Marihuana-Rausch gehört zu den lustigsten Szenen, die das deutsche Kino in diesem Jahr hervorgebracht hat; so losgelöst, wie die beiden Frauen hier agieren, legt die Szene die Vermutung nahe, vollkommen improvisiert zu sein, was darüber hinaus auch für eine Handvoll anderer Momente gilt, in welchen sich die Darsteller nicht am vorgegebenen Text festzuklammern scheinen. Das ist vor allem eines: herrlich erfrischend!
Wieso Mark hingegen plötzlich der neue Nutzer von Bens alter Handynummer ist und auf die Nachrichten von Clara anspringt, zeichnet Karoline Herfurth liebevoll und niedlich. Mehr noch: Die Regisseurin und Autorin vertauscht die üblicherweise vom RomCom-Genre vorgegebenen Gender-Rollen und lässt nicht die Frau den Mann anschmachten, sondern den Mann aufgrund der Frau verrückt spielen. Friedrich Mücke («Add a Friend») spielt den Sportjournalisten Mark bezaubernd tollpatschig, als dieser Clara nach und nach verfällt. Den Macho und Frauenheld gibt indes Tom Beck («Männertag») in einer brillant-überzeichneten Gastrolle als Tinder-Date-Stereotyp. Auch die anderen Nebenfiguren erfüllen mitunter Klischees, haben jedoch so viel Spaß daran, die vorgegebenen Figurentypen auf die Spitze zu treiben, dass der hier an den Tag gelegte Humor bisweilen an Michael „Bully“ Herbigs Filme der frühen Nullerjahre erinnert. Neben «Schillerstraße»-Gesicht Cordula Stratmann als verhärmte Verlagsführerin, Friederike Kempter («Seitenwechsel») in ihrer Rolle als Marks kontrollsüchtige Freundin und Samuel Finzi («Kokowääh») als exzentrischer Textchef stiehlt Katja Riemann («Fack ju Göhte») allen die Show. Ihre Performance als unübersehbar als Andrea-Berg-Abziehbild angelegte Schlagerikone ist von einer energetischen Genialität durchzogen, an der man sich einfach nicht satt sehen kann. Komikerin Enissa Amani schlägt sich ebenfalls solide in ihrer ersten größeren Kinorolle, auch wenn es ihre Figur nicht unbedingt gebraucht hätte. Und Frederick Lau («Victoria») gibt für Friedrich Mücke das äußerst amüsante Sidekick-Pendant zu Karoline Herfurths Nora Tschirner.
Neben all dem Humor, der von schlagfertig über albern bis hin zu tiefsinnig-beobachtend reicht, gelingt Karoline Herfurth vor allem der Umgang mit den tragischen Zwischentönen. Die Tatsache, dass über der behutsamen Annäherung zwischen Clara und Mark immer noch der Tod Bens schwebt, lässt «SMS für Dich» während der gesamten Spielzeit nicht außer Acht. Die Gefahr, in einen vorhersehbaren Trott zu verfallen, hätte durchaus bestanden. Stattdessen lassen die Macher eine Unvorhersehbarkeit walten, die bei diesem Thema angebracht ist; auch im echten Leben sind es oft kleine, unterschwellige Dinge, die einen an Jemanden erinnern, der nicht mehr bei uns ist. Ebenso subtil gerät der weiter voranschreitende Verarbeitungsprozess Claras. Wenn die vorsichtig Verliebte eines Tages nicht mehr zwei, sondern nur noch ein Frühstücksbrötchen kauft und die Gespräche mit Ben weniger werden, lässt Karoline Herfurth diese Szenen für sich stehen, ohne dafür zu sorgen, dass eine Figur den Status Quo zusätzlich ausformuliert. In manchen Momenten droht «SMS für Dich» trotzdem, in kitschige Gefilde abzudriften, was in erster Linie an der Musikuntermalung liegt. Trotz des weitestgehenden Verzichts auf allzu bekannte Chartstürmer, hätte der Film die allzu starke Betonung gewisser Gefühlsregungen überhaupt nicht benötigt, um die Szene für sich sprechen zu lassen. Dafür besticht der Film zusätzlich mit einem ironischen Finale und trägt auch auf der visuellen Ebene nicht so dick auf, wie Til Schweiger und Konsorten. «SMS für Dich» hat Leinwandausmaße, die reif und unverfälscht daherkommen. Einen Filter oder besondere Farbspielereien braucht der Film nicht, um die kraftvollen Bilder von Kameramann Andreas Berger («Traumfrauen») so wirken zu lassen, wie sie sind.