Die Kino-Kritiker: «Don't Breathe»

Sie hauchten bereits der «Tanz der Teufel»-Reihe neues Leben ein, jetzt legen Regisseur Fede Alvarez und Produzent Sam Raimi mit dem hochspannenden Horrorthriller «Don't Breathe» eine weitere Genreperle nach.

Filmfacts: «Don't Breathe»

  • Kinostart: 8. September 2016
  • Genre: Thriller/Horror
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 88 Min.
  • Kamera: Pedro Luque
  • Musik: Roque Baños
  • Buch: Fede Alvarez, Rodo Sayagues
  • Regie: Fede Alvarez
  • Darsteller: Daniel Zovatto, Dylan Minnette, Jane Levy, Stephen Lang, Emma Bercovici, Franciska Töröcsik, Christian Zagia
  • OT: Don't Breathe (USA 2016)
Die erste Zusammenarbeit zwischen Newcomer Fede Alvarez und Horror-Mastermind Sam Raimi endete darin, dass auf dem Poster des fetzigen «Tanz der Teufel»-Remakes «Evil Dead» der Schriftzug „Der schockierendste Film, den du jemals sehen wirst!“ prangte. Rückblickend ganz schön unüberlegt; entwertet es doch unterbewusst all die kommenden Alvarez-Raimi-Kooperationen, von denen mit «Don’t Breathe» in diesem Jahr bereits die nächste folgt. Doch denken wir zu Gunsten des Films einmal um die Ecke und beziehen die vollmundige Plakatankündigung von damals ausschließlich auf das Horrorgenre, dann passt es irgendwie ganz gut, dass Hauptdarsteller Stephen Lang in Interviews immer wieder betont, dass «Don’t Breathe» in seinen Augen gar kein Horrorfilm sei. Stattdessen handele es sich bei der zweiten Langfilm-Arbeit von Fede Alvarez vielmehr um einen Thriller mit Horror-Touch – und das wiederum ergibt dann zumindest den „schockierendsten Film im Jahr 2016“.

"Einen Blinden zu beklauen, ist nicht wirklich cool!"


Rocky (Jane Levy), Alex (Dylan Minnette) und Money (Daniel Zovatto) leben in einem nicht näher definierten Kaff in einer der ranzigeren Ecken der USA. Hier hält sich die Clique mit kleineren Diebstählen über Wasser. Eine richtige Perspektive hat keiner von ihnen. Als sie eines Tages davon erfahren, dass in ihrer direkten Nachbarschaft ein verwitweter Kriegsveteran (Stephen Lang) wohnt, der erst kürzlich seine Tochter verloren hat und nun – so glauben sie – in Geld schwimmen muss, beschließen sie, die Lage des blinden Mannes auszunutzen und des Nachts in sein Haus einzubrechen. Ein schwerer Fehler, wie sich bald herausstellen wird, denn der Hausbesitzer kennt seine eigenen vier Wände im Schlaf. Als er den Eindringlingen das Licht ausknipst, wird es für die Einbrecher brenzlig, denn irgendwas scheint ihr Opfer zu verbergen, das auf gar keinen Fall ans Licht kommen soll…

In einem Jahr, das uns bereits Genreperlen wie «The Neon Demon», «Conjuring 2» oder «Lights Out» beschert hat, muss das eingangs getätigte Lob schon etwas heißen. Doch das Autoren-Team aus Fede Alvarez himself und Rodo Sayagues, das auch das Skript zu «Evil Dead» verfasste, hat sich für diesen fiesen kleinen Schocker etwas ganz Besonderes überlegt. Aus der für Genreverhältnisse fast harmlosen Prämisse um eine Gruppe von Twens, die ins Haus eines blinden Mannes einbricht, um dessen Hab und Gut aus dem Tresor zu stehlen, kreieren die Schreiber einen unvorhersehbaren Adrenalinkick, angesiedelt irgendwo zwischen «Lights Out», «Das Schweigen der Lämmer» und White-Trash-Dramen wie «Winter’s Bone». Diesen skurrilen Genremix zu stemmen, ist schließlich die Aufgabe des Casts. Und der hat es nicht nur auf dem Papier in sich, sondern verhilft diesem kühn inszenierten Thriller zu einer Menschlichkeit, die das Thema eigentlich gar nicht zulässt. Schon direkt nach einer perfide inszenierten Eröffnungssequenz, die darüber hinaus überdeutlich die bereits in «Evil Dead» etablierte Handschrift von Alvarez‘ trägt, befasst sich «Don’t Breathe» lange mit den drei Hauptfiguren; Jane Levy (spielte Mia in «Evil Dead»), Dylan Minnette («Gänsehaut») und Daniel Zovatto («It Follows») schlüpfen in die Rollen von Mittzwanzigern, die, angesiedelt am Rande der Gesellschaft, nichts mehr zu verlieren haben. Wenn die von Jane Levy aufopferungsvoll verkörperte Rocky durchklingen lässt, den geplanten Raub bei einem ehemaligen Kriegsveteran nur deshalb begehen zu wollen, um gemeinsam mit ihrer Schwester endlich ihre drogenabhängigen Eltern verlassen zu können, wohnt «Don’t Breathe» eine Tragik inne, die schon den Einbruch beim blinden Opfer in gewisser Weise relativiert. Was jedoch weder Zuschauer, noch die Clique ahnt: Dieser Raubzug könnte die letzte Tat ihres Lebens sein.

Was ist gut, was ist böse?


Das Skript zu «Don’t Breathe» kommt mit einem Twist daher, der sich in Trailer und erstem Promo-Material bereits ankündigt, dessen Ausmaße sich jedoch erst so richtig offenbaren, als sich der Film bereits in Richtung Schlussakt bewegt. Was genau den drei Einbrechern wiederfährt, wollen wir an dieser Stelle aus Spoilergründen natürlich nicht verraten. Dass wir es bei dem blinden Mann (hervorragend und ganz und gar angsteinflößend gespielt von «Avatar»-Castmember Stephen Lang) jedoch nicht mit einem wehrlosen Opfer, sondern mindestens (!) mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun haben, erfahren wir bereits im eingangs erwähnten Prolog. Das Duell zwischen den Jugendlichen und dem blinden Mann findet alsbald – Obacht! – auf Augenhöhe statt; und typisch Alvarez macht die Geschichte obendrein nie einen Hehl daraus, dass keine der Figuren davor gefeit ist, am Ende vielleicht nicht mit dem Leben davon zu kommen.

Doch anstatt einfach die Situation auszunutzen, dass das irgendwann zum Antagonist werdende Opfer seinen Figuren das Licht ausknipst (wir erinnern uns: Im Reich der Dunkelheit ist der Blinde der König!), lässt das Drehbuch seinen Protagonisten ordentlich Spielraum. Wer kann, der wehrt sich mit allen erdenklichen Mitteln und ist obendrein mit einem weitaus höheren IQ gesegnet, als es für eine handelsübliche Horrorfilmfigur, erst recht, wenn diese noch zu der Kategorie „Jugendlich“ zählt, normalerweise vorgesehen ist. Auf der Flucht vor ihrem Peiniger die Treppe nach oben rennen? In «Don’t Breathe» ist das kein Klischee. Hier muss es so sein, denn Fede Alvarez zieht die Schlinge um den Hals seiner Figuren immer weiter zu. Wenn der blinde Mann schließlich auch noch Fenster und Türen vernagelt und es im wahrsten Sinne des Wortes kein Entkommen mehr gibt, fragt man sich das erste Mal seit vielen Filmen des Genres wirklich: Wie sollen die Figuren hier heraus kommen? Die Ausgangslage bleibt dabei stets so authentisch, dass der alles umwerfende Twist umso tiefer in die Magengrube trifft. Es ist lange her, dass man in einem Popcorn-Schocker eine solch abgrundtief böse Figur wie die des blinden Mannes zu Gesicht bekam. So verlässt sich «Don’t Breathe» auf eine eigentlich so simple Idee und holt in seiner auf den Punkt gebrachten Spielzeit von nicht einmal neunzig Minuten das Non plus Ultra adrenalinpeitschender Thrillerunterhaltung aus der Situation heraus. Dank mehrdimensional geschriebener Figuren und einer nur allzu beklemmenden Inszenierung mit viel Identifikationspotenzial erweist sich die neueste Zusammenarbeit von Fede Alvarez und Sam Raimi als nächster großer Coup des Genres. Das offene Ende, durch welches das Grauen kein Ende findet, rundet das Filmerlebnis auf perfide Weise ab.

Fazit


Mit «Don’t Breathe» beweist Fede Alvarez, dass eine clevere Inszenierung völlig ausreicht, um aus einer einfachen Prämisse einen hochspannenden Film zu kreieren, dessen doppelbödiges Ende dem Publikum den Boden unter den Füßen wegreißen wird. Da wird der Titel zum Programm!

«Don’t Breathe» ist ab dem 8. September bundesweit in den Kinos zu sehen!
06.09.2016 09:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/87899