How Does a Bastard Orphan Son of a Whore...

Unser Kolumnist wagt eine Prognose und nennt den Gewinner des Oscars für den Besten Film in einem der nächsten Jahre.

Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Ein junger Deutschtürke schreibt ein Rap-Musical über Friedrich, den Großen. Und zwar kein Lehrstück, mit dem sich Geschichtslehrer an ihre Schülerzielgruppe ranlanzen wollen, sondern ein intellektuell ansprechendes, unter Einsatz eines beeindruckenden Vokabulars entstandenes einnehmendes Stück über die persönliche Geschichte des preußischen Herrschers, die man als Allegorie auf die Geschichte eines ganzen Landes und einer ganzen Gesellschaft lesen kann. Im Ensemble spielen selbstverständlich Darsteller aus sämtlichen ethnischen Gruppen mit, und zwar nicht nur in den Rollen exotischer Figuren aus fernen Ländern. Das Stück enthält klare feministische Passagen und bedient sich in seinen Dialogen und Musikteilen moderner Sprache, bleibt aber doch seiner erzählten Zeit treu. Die auf den ersten Blick sonderbare Wahl des Genres entpuppt sich nicht als kulturtümelnder Reinfall, sondern als die perfekte Form, um diese Geschichte zu erzählen.

Das klingt für Sie etwas schräg?

Vielleicht. Aber ein junger puerto-ricanisch-stämmiger Amerikaner hat in seinem Land etwas ganz Ähnliches versucht – und damit einen grandiosen Erfolg am Broadway gelandet.

In «Hamilton» erzählt er die Geschichte des gleichnamigen Gründervaters der Vereinigten Staaten. Amerikaner kennen ihn als legendäre historische Persönlichkeit, als prominenten Teilnehmer am Verfassungskonvent, als den Verfasser der meisten „Federalist Papers“ und den ersten Finanzminister, der nach einer langen Fehde bei einem Duell erschossen wurde und dessen Konterfei noch heute auf dem Zehn-Dollar-Schein abgebildet ist. Ein ausbaufähiges Grundwissen.

Schon lange bevor es im Januar 2015 seine Premiere feierte, war dieses Musical ein Hit. Seit sein Schöpfer Lin-Manuel Miranda bei einem Poetry Slam im Weißen Haus die Ouvertüre vorstellte, die einem eindrucksvoll vor Augen führte, welches narrative, musikalische, intellektuelle und künstlerische Potential in diesem Stoff verborgen lag, aus dem ein großes Talent wie Miranda ein faszinierendes Kunstwerk gestalten könnte.

Spätestens seit der Premiere überschlagen sich die amerikanischen Journalisten mit Lobeshymnen; die Warteliste für Eintrittskarten hat eine enorme Länge erreicht. Barack Obama hat einmal gewitzelt, dass die Begeisterung für dieses Musical das Einzige sei, was er mit Dick Cheney teilte. Kurz: «Hamilton» ist nicht nur ein Game Changer im New Yorker Musical-Business, sondern wahrscheinlich eines der herausragendsten Kunstwerke, das Amerika je hervorgebracht hat. Hemingway. Rockwell. Welles. Miranda.

Neben der inhaltlichen Faszination an diesem Stück ist freilich auch die Beobachtung interessant, dass mit Miranda und einem großen Teil seiner Darsteller Mitglieder von ethnischen Minderheiten die Deutungshoheit über die Geschichte ihres Landes genauso in Anspruch nehmen wie weiße Männer, die sie bisher fast ausschließlich innehatten.

Aus all diesen Gründen wage ich die Prognose: Dieser Stoff wird, auch wenn es derzeit noch keine genauen Pläne gibt, wahrscheinlich nicht in allzu ferner Zukunft verfilmt werden. Und sofern diese Verfilmung nicht völlig an die Wand gefahren wird, kann ich an dieser Stelle den Gewinner des Oscars für den Besten Film des Jahres 2018, 2019 oder vielleicht auch erst 2020 präsentieren: «Hamilton. The Movie», Drehbuch und Hauptrolle: Lin-Manuel Miranda, vielleicht auch noch in Personalunion als Regisseur. Darauf, dass die Academy ihn auch in mindestens einer dieser Funktionen auszeichnen wird, verwette ich einen Satz Ron-Chernow-Biographien.
22.07.2016 14:20 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/87011